Festivals in Bayern:Falls die Stimmung nach der Corona-Krise wieder steigt

Rock im Park 2018

Feiern an frischer Luft: "Rock im Park" ist eines der Open-Airs, auf das die Fans hoffen.

(Foto: Daniel Dostal)

300 000 Menschen würden die sieben größten bayerischen Open Airs besuchen - wenn sie wie geplant stattfinden. Momentan arbeiten die Veranstalter noch auf die Konzerte hin. Doch das Virus trifft eine Branche, die ohnehin kämpft.

Von Michael Zirnstein

Tausende Menschen dicht an dicht, einige eng umschlungen, feiern unterm Sommerhimmel die Musik, das Leben und sich selbst, teilen sich Bierbecher, Zelte und Dixieklos. Ein Traum für Festival-Fans, von denen gut 300 000 allein die sieben größten bayerischen Open-Airs heuer besuchen würden, und noch mal 180 000 die Volksrock-Party von Andreas Gabalier auf dem Münchner Messegelände, zwei mal 30 000 die Konzerte der Fantastischen Vier auf dem Königsplatz und wer weiß wie viele Zehntausend den Auftritt von Guns n' Roses im Olympiastadion. Man kann es sich kaum vorstellen just in der Riesenkrise der Konzertbranche, da sozialer Kontakt als die größte Sünde gilt. Aber eben genauso malen es sich viele Sehnende in ihren Stuben gerade aus: frische Luft, Berührungen, Unter-Menschen-Sein, sanfter Kontrollverlust - das fühlt sich jetzt schon an wie ewig nicht erlebt.

Im Fernsehen sagte der Sänger Max Giesinger, er baue nach der abgesagten Tour jetzt auf den Festival-Sommer. Sein Skype-Gegenüber, der Covid-19-positive Oliver Pocher, antwortete ernüchternd, es sei schwer vorzustellen, dass die Behörden binnen kurzer Zeit von Ausgangssperre auf Großveranstaltungen mit 50 000 Menschen schalten werden. Alle hoffen freilich, ganz besonders die Veranstalter. Niemand weiß, wie lange es dauert, aber am ehesten in eine Übergangsphase fielen "Rock im Park" und das "Puls Open-Air" am ersten Juni-Wochenende. Der Branchen-Riese Live Nation hatte für seine Festival-Zwillinge "Rock im Park" und "Rock am Ring" bereits im Dezember 125 000 Tickets verkauft, die will man ungern erstatten müssen und wartet, so lange es geht.

Die Groß-Open-Airs "finden derzeit wie geplant statt. Wir beobachten die Situation natürlich aufmerksam und folgen den Anweisungen der Gesundheitsbehörden. Die Gesundheit von Künstlern, Fans und Mitarbeitern hat für die Veranstalter der Festivals oberste Priorität und steht bei allen Überlegungen stets an erster Stelle", entgegnet Live Nation derzeit den vielen Verunsicherten. Ganz ähnlich begründet es der Bayerische Rundfunk, wo die Jugendwelle "Puls" derzeit weiter ihr fünftes Open-Air in Kaltenberg vorbereitet, solange die Lage und die Behörden dem nicht entgegenstehen. Das zehntägige "Uferlos"-Festival Ende Mai in Freising ist bereits abgesagt.

Das Corona-Virus trifft eine Branche, die ohnehin kämpft. Die großen Veranstaltungskonzerne ringen sich gegenseitig Zuschauer und vor allem Hauptattraktionen ab. Wohl ein Grund, warum das Münchner "Rockavaria" der DEAG heuer auch ohne Epidemie nicht stattgefunden hätte. Nach starkem Beginn und einer geschrumpften und doch tollen Wiederholung im Olympiastadion, dem Umzug zum Königsplatz samt Ausfall des Headliners Die Toten Hosen und danach einer Auszeit angeblich wegen Bauarbeiten hinter der Glyptothek nennt der örtliche Veranstalter für die Pause 2020 noch nicht einmal mehr Gründe.

Vor einem halben Jahr wagte sich überraschend ein neuer Big Player ins brachliegende Münchner Open-Air-Geschäft: Ausgerechnet im Olympiapark, der zwar spektakulär schön, aber wegen des Camping-Verbots für derlei Massensausen verpönt ist, will die "Superbloom GmbH", verantwortlich unter anderem für den Berliner Ableger des sagenumwobenen "Lollapalooza", ein Neo-Hippie-Happening mit Weltstars wie Miley Cirus und lokalen Künstlern, mit Kunst, Theater und Sport, steigen lassen. Das käme gerade recht, und im Nachhinein scheint der späte Termin am ersten Septemberwochenende glücklich gewählt.

Brach liegt weiterhin der Acker bei Übersee, wo der "Chiemsee Summer" jahrelang an die 35 000 Pop-Sommerfrischler anzog. Gestartet 1995 als Reggae-Nacht direkt am Ufer, baute man das Open-Air im Hinterland zum fünftägigen Pop-Allerlei aus, ehe man es 2017 in einem Sturm abbrechen musste und seine Fans seitdem im Internet Jahr für Jahr vertröstet. Der Chiemsee galt seit jeher wegen des unberechenbaren Berg-Wetters, der Polizei-Schärfe, linken Aktivisten und uneinigen Nachbargrundbesitzer als schwierige Lage. Die Gründer veranstalten derweil andere Feste wie eine "Wirtshaus-Roas", die zur Verstärkung geholten Großpartner FKP Scorpio aus Hamburg sagen, es gäbe "keine Neuigkeiten".

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Auf dem für sehr viel Geld befestigten Gelände stieg 2019 ein kleines "Almwiesn"-Bierfest mit Heimatsound-Combos, von denen man weit mehr bei der "Brass Wiesn" in Eching erleben konnte. Gerade dieses sich auch heuer noch weiter aufblähende Blasmusik-Spektakel für inzwischen 12 000 Besucher im Münchner Norden zeigt (von 30. Juli an, etwa mit Shantel), dass Veranstalter von spezialisierten Open-Airs, wenn sie nur durchhalten und die richtige Zugnummer zur richtigen Zeit bekommen, bestehen können. Das gilt etwa auch für den Metal-Massenauflauf "Summer Breeze" in Dinkelsbühl wie für den Elektro-Gipfel "Echelon" in Bad Aibling (21.-23. August).

Andere Kleine schmeißen wegen immer strengeren Auflagen der Behörden für Sicherheit und Sanitärer genervt oder ruiniert hin, wie das zauberhafte "Magic Lake" am Ammersee gleich nach dem ersten Mal 2018, andere wegen endlosem Umgehungsstraßen-Baus ("Prima Leben und Stereo"), und viele beklagen öffentlich, dass die Finanzämter nicht mal mehr Frei-Tickets und -Wurstsemmeln für (Hunderte) ehrenamtliche Helfer gestatten.

Das "Utopia Island" an einem türkisblauen Baggersee bei Moosburg wiederum wurde Opfer seines eigenen Erfolgs. Lorenz Schmid hatte die einstige "Havanna Night"-Party eines Rasensportvereins mit neuen Partnern, Sperrholzpiratenschiff, Techno-Iglu und Stargästen wie Deichkind zu einem Elektro-Pop-Traumland für 15 000 Gäste aufgetürmt. Drumherum bauten sie einen Konzern aus Immobilien-Holding, die den Aquapark Moosburg gleich kaufte, und Veranstaltungs-Service auf, der heute Bodenschutz, Sanitäranlagen und Absperrgitter fürs Wembley-Stadion bis zu den Olympischen Spielen liefert.

"Wegen des Erfolgs unserer Kerngeschäfts mussten wir unser Lieblings-Hobby schweren Herzens zurückstellen", sagt Schmid, heute Finanzvorstand der Evago-Gruppe. Das Gelände immerhin haben sie an FKP Scorpio vermietet, die einen "schönen Ort" im Raum München suchten, um dort "vom Reißbrett aus" (so FKP) und mit eigenem Team ein eigenes Großfestival hochzuziehen: Premiere für das "Limestone" mit den Zugkräften Post Malone und Seeed soll nach wie vor am 14. Juni sein, eine Absage hält man für "äußerst unwahrscheinlich".

Wegen des Corona-Virus gibt es kaum noch Großveranstaltungen, die Evago derzeit beliefern kann. Und doch brummt das Geschäft. "Wir sind der Marktführer für temporäre Infrastruktur", erklärt Schmid. Seine Firma hätte aus ihren weltweit verteilten 50 Lagerhallen schon gut 100 Supermärkte mit "Vereinzelungsanlagen" ausgestattet, also Gattern, Bänder und Eingangsschleusen, die Einkaufende auf Abstand halten. Auch gebe es Anfragen für Stationen zur Versorgung von Quarantäne-Patienten von Regierungen in Bayern, den Niederlanden und Großbritannien. Einst Experten darin, viele Menschen zum Feiern zusammenzubringen, sind sie nun gefragt, sie "koordiniert zu separieren".

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