Pop:Die vergessenen Hits der Gastarbeiter

Metin Türköz

Metin Türköz kam Anfang der 1960er als Gastarbeiter nach Deutschland und wurde zum singenden Schöpfer eines erstaunlich großen Werkes.

(Foto: Import Export)

Ein Vortrag spürt der engen Verbindung von deutscher und türkischer Musik nach und bringt Überraschendes ans Licht

Von Dirk Wagner

Als Mark Twain 1880 in seinem Essay "Die schreckliche deutsche Sprache" darüber klagte, wie lang deutsche Sätze sind, hatte er keine Ahnung, wie viel länger türkische Wörter sein können. Dabei werden diese mit Nachsilben, die dem Wortstamm angehängt werden, nicht nur länger. Sie haben plötzlich auch eine andere Bedeutung. Mit solcher Tücke allein ist jedoch nicht erklärt, warum die Deutschen so wenig türkische Texte lesen. Dabei lieben sie ihre Fremdsprachenkenntnisse und goutieren darum gerne auch englischsprachige, französische, spanische oder italienische Literatur im Original. Was indes türkische Texte betrifft, wird die Mehrheit der Deutschen nicht einmal sagen können, welche davon überhaupt lesenswert wären. Denn obwohl Einwanderer aus der Türkei bereits in der vierten Generation in Deutschland leben, bleibt deren Kultur hierzulande noch fast unberücksichtigt.

Türkische Schriftsteller, Künstler, Filmemacher oder Musiker kommen weder im deutschen Schulunterricht noch im deutschen Alltag vor. Dabei füllen türkische Musiker dank der hier lebenden türkischstämmigen Menschen auch hierzulande große Konzerthallen. Etwa die Pop-Ikone Sezen Aksu, die in den 1990ern auch mit Udo Lindenberg zusammenarbeitete. In Belalım, seinem zweiten Duett mit Aksu, sang Lindenberg sogar selbst in türkischer Sprache. So wie die Neue-Deutsche Welle-Band Ideal bereits auf ihrem 1982er-Album "Bi Nuu" den Song "Ask Mark Ve Ölüm". Oder wie Herbert Grönemeyer später auf seiner 2018er-Single "Doppelherz/ Iki Gönlüm".

In einer "Listening Session" über deutsch-türkische Musikverhältnisse diskutieren der türkischstämmige Münchner Moderator, Musiker und Blogger Tuncay Acar und die Berliner Kunst-, Medien- und Musikwissenschaftler Cornelia und Holger Lund am Donnerstag im Import-Export aber auch über eine von türkischen Musikern geprägte Popmusik, die aus Deutschland hervorging. Das in München ansässige Label Trikont hatte vor Jahren schon mit der Kompilation "Songs of Gastarbeiter Vol. 1" auf jene türkischen Produktionen aus Köln, Frankfurt oder München verwiesen, die in den 60er- und 70er-Jahren trotz ihrer hohen Verkaufszahlen in den deutschen Hitparaden verschwiegen wurden. Und das, obwohl sogar deutsch gesungen wurde. Holger Lund vermutet, dass solche Ignoranz bewusst verhinderte, dass die kulturellen Errungenschaften der türkischen Gastarbeiter, die den gering geschätzten Tätigkeiten zugeteilt waren, mit der deutschen Kultur hätten wetteifern können. "Eine Begegnung auf Augenhöhe war nicht gewünscht", behauptet Lund.

Ähnlich empfanden das auch türkisch-stämmige Rapper in Deutschland, die sich 1994 als Cartel zusammenschlossen. In der Türkei schoss deren Debütalbum sogar an die Spitze der Verkaufscharts. Es wurde aber auch in England, Frankreich oder den Niederlanden gefeiert, weil darauf traditionelle türkische Klänge auf den Hip-Hop einwirken. Zusammen mit dem deutschen Rockmusiker Peter Maffay gelang Cartel später noch eine weitere Mischung: nämlich die von Rock und Hip-Hop. Für diese Mischung auf Maffays 1998er-Album "Begegnungen" sang auch Peter Maffay türkisch: "Ich habe mir natürlich von meinen Partnern erklären lassen, worum es da geht. Aber selbst spreche ich leider kein Türkisch. Insofern musste ich mich auch reduzieren auf die wenigen Einsätze in diesem Lied", sagt Maffay, der sich mit solcher interkulturellen Zusammenarbeit gegen die Fremdenfeindlichkeit positioniert: "Wir wollten einen kleinen musikalischen Akzent setzen dafür, dass es sinnvoller ist, anderen Kulturen auf Augenhöhe zu begegnen und Synergien zu schaffen, als sich abzuschotten." "Miteinander statt gegeneinander zu reden", nennt Maffay das auch mal und bedauert, dass eine hundertprozentige Integration der türkischstämmigen Migranten in Deutschland noch nicht gegeben sei. Zugleich hat er aber auf beiden Seiten aufgeklärte Menschen wahrgenommen, die ein Interesse füreinander haben: "Wir werden vielleicht noch ein, zwei Generationen brauchen. Deswegen nehmen wir auch türkische Literatur und türkische Kunst noch nicht so wahr wie die eigene", sagt Maffay.

Immerhin wächst gerade auch hierzulande das Interesse an türkischer Musik. Türkische Bands wie Baba Zula werden längst auch von deutschen Fans gefeiert. Die in Holland lebende türkische Band Altın Gün wurde bereits mit dem Grammy ausgezeichnet. Und mit einem Konzert- und DJ-Programm, das auch türkische Musik berücksichtigt, hat sich nicht zuletzt in München das Import-Export ein vorbildlich gemischtes Publikum verdient, das dort weltoffen und neugierig sein Miteinander feiert.

Deutsch-türkische Musikverhältnisse (Vortrag), Do., 24. Juni, 19 Uhr, Import-Export, Schwere-Reiter-Str. 2h oder Live-Stream via import-export.cc

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