Polizeipräsidium:Hier arbeitet die Münchner Polizei

Hinter der Fassade eines früheren Klosters an der Ettstraße ist das Polizeipräsidium untergebracht. 900 Menschen tun hier Dienst - und auch für ein paar unfreiwillige Übernachtungsgäste ist Platz. Ein Besuch.

Von Thomas Schmidt und Stephan Rumpf (Fotos)

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(Foto: Stephan Rumpf)

Die Stadt hat viele prägende Gebäude, die jeder kennt - doch meist sind nur einzelne Bereiche öffentlich zugänglich. Hinter der Fassade des ehemaligen Klosters an der Ettstraße geht es um Münchens Sicherheit. Hier sitzt das Münchner Polizeipräsidium mit seinen rund 900 Mitarbeitern.

Historisches Chefbüro

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(Foto: Stephan Rumpf)

Es ist ein historischer Raum, 103 Jahre alt, das Herzstück des Polizeipräsidiums. Ludwig von Grundherr zu Altenthann und Weyerhaus thronte einst als erster Münchner Polizeipräsident hinter dem imposanten Holzschreibtisch, es war das Jahr 1914. Bei seinem Anblick mussten die Beamten damals in gebückter Haltung verharren, erst nach seinem Gruß durften sie sich wieder aufrichten. Zwei Jahrzehnte später führte der NS-Massenmörder Heinrich Himmler die Münchner Polizisten von diesem Büro aus. Seitdem hat sich fast alles verändert, zum Guten. Aber dieser Raum ist weitgehend derselbe geblieben. Seit Juli 2013 steckt nun Polizeipräsident Hubertus Andrä seinen Tablet-PC in die Ladestation auf dem Holzschreibtisch, es ist der Tisch von 1914. Gebückt erstarren muss man vor dem 61-jährigen Oberbayern nicht, auch wenn er durchaus Respekt einflößt. Auf dem Schreibtisch steht ein Foto von seinen beiden Söhnen. Neue Bilder an die Wand hängen kann Andrä nicht, denn die ist holzvertäfelt oder mit rotem Stoff verkleidet. Auf der Fensterbank neben dem Besprechungstisch steht eine große, verzierte Bibel. "Die steht da ganz bewusst", sagt Andrä. "Sie soll uns immer im Hintergrund begleiten." Horst Seehofer saß schon hier, na klar, aber auch Gäste aus Oman, Russland. Andrä knüpft Kontakte zu Polizisten in aller Welt, schickt schon mal nachts eine Whatsapp-Nachricht nach Dubai. Auch das hat sich geändert seit Ludwig von Grundherr zu Altenthann und Weyerhaus.

Hartes Training

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(Foto: Stephan Rumpf)

Wenn sich Polizisten zu einem Rollenspiel treffen, geht es nicht zimperlich zu. Im Trainingszentrum im Keller simulieren Flure und kleine Räume eine Umgebung, auf die Beamte im Einsatz häufig stoßen. Hier üben sie, wie man sich in schwerer Schutzausrüstung in engen Gängen vorkämpft, sich Deckung gibt und Verbrecher überwältigt. Manchmal schießen sie mit Farbmunition aufeinander, selten auch mit Laserwaffen. Das Training ist hart und schweißtreibend. "Es passiert schon mal, dass der Trainer mit Blessuren und Zerrungen nach Hause geht", sagt Dienstgruppenleiter Christian Strobel. "Wir sagen den Kollegen immer, sie sollen nur 30 Prozent ihrer Kraft einsetzen, aber im Eifer des Gefechts ..." Entscheidend sei, bestimmte Handgriffe so oft zu wiederholen, bis sich ein Automatismus entwickle. "Das ist wie das Kuppeln beim Autofahren." In Gefahrensituationen müssen die Einsatzkräfte instinktiv richtig reagieren. Dafür nimmt man auch ein paar blaue Flecken in Kauf.

Alles unter Kontrolle

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(Foto: Stephan Rumpf)

Sie ist das Hirn des Präsidiums für alle Situationen, die nicht planbar sind: die Einsatzzentrale. Das lang gezogene Großraumbüro ist in mehrere Bereiche unterteilt, die alle eng zusammenwirken. Erstens: die Notrufannahme. An acht Arbeitsplätzen nehmen die Beamten pro Jahr rund 520 000 Notrufe entgegen, erklärt Kurt Reim, stellvertretender Leiter der "EZ". Jeder, der in Stadt oder im Landkreis München die 110 wählt, landet hier. Die Polizisten sitzen jeweils vor drei Bildschirmen, sprechen in ein Headset und protokollieren den Anruf mit wenigen, präzisen Zeilen im Computersystem. Diese Information senden sie an die zweite Station: die Disponenten. Sie priorisieren die Fälle und entscheiden, wen sie wann wohin schicken. Manchmal rufen bei einem Verkehrsunfall zehn Zeugen gleichzeitig an, da muss man den Überblick behalten. Etwas mehr als jeder zweite Anruf löst tatsächlich einen Einsatz aus. Unterstützt werden die Einsatzkräfte von vier Kollegen, die an den Bildschirmen der Videoüberwachung arbeiten. Die Polizei hat Zugriff auf alle Kameras der MVG, der U-Bahn und der Stadt München. Sie reagiert aber nur "anlassbezogen", betont Reim. Wenn ein Anrufer eine Schlägerei in der U-Bahn meldet, dauert es nur Sekunden und die passenden Bilder flimmern über die Schirme der EZ. Zusätzlich hilft die "Support"-Gruppe ihren Kollegen auf der Straße, indem sie per Funk gemeldete Personalien prüft oder Autohalter ermittelt. Jedes Jahr bearbeiten sie etwa 800 000 solcher Anfragen.

Auf der Matte

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(Foto: Stephan Rumpf)

Wie robbe ich über den Boden mit einer 16 Kilogramm schweren Ausrüstung? Und wie halte ich dabei die Waffe richtig im Anschlag? Das sind nur eine von vielen Übungen, die Polizeibeamte in diesem Dojo trainieren. Der kleine, mit weichen Sportmatten ausgekleidete Raum dient der "Gesunderhaltungspflicht", streng nach Beamtengesetz. Einfacher ausgedrückt: Hier wird gesportelt. Ein verpflichtendes Sportprogramm gibt es nach der Ausbildung zwar nicht mehr, doch für die Einsatzkräfte im Außendienst kann Fitness überlebenswichtig sein. Während der Dienstzeit sind vier Stunden Sport pro Monat erlaubt, erklärt Dienstgruppenleiter Christian Strobel. Nach Feierabend so viel, wie man möchte. Im Dojo wird auch der Nahkampf trainiert, kein Karate oder Judo, sondern ein "einfaches System, das in der Praxis effektiv umzusetzen ist". Im Beamtendeutsch heißt das: "Einsatzbezogene polizeiliche Selbstverteidigung und Eigensicherung".

In der Schusslinie

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(Foto: Stephan Rumpf)

Die modernste Schießanlage der Münchner Polizei liegt am Ende eines verwinkelten Kellerflurs. Sie ist nicht sonderlich groß, aber vollgepackt mit Technik. Auf vier 20-Meter-Bahnen feuern die Beamten auf eine Leinwand aus dünner Pappe, auf die Filmszenen im "Point-of-View"-Stil projiziert werden: Aus dem Blickwinkel eines Polizisten im Einsatz sieht man erst ein Treppenhaus, dann eine Tür. Die Tür öffnet sich. Im Flur beugt sich ein Mann bedrohlich über eine Frau, dann holt er mit dem rechten Arm aus, ein großes Messer in der Faust. Binnen Sekunden muss der Beamte entscheiden: schießen oder nicht? Setzt er einen Treffer, friert das Bild ein. Das Computer-System kann sogar unterscheiden, ob ein Schuss tödlich war oder der Verbrecher nur verwundet wurde. Hinter den vier Bahnen, abgetrennt durch eine dicke Glasscheibe, liegt das Kontrollzentrum. Von hier aus kann Dienststellenleiter Franz Hindl Sequenzen einspielen, die oft gleich anfangen, plötzlich aber unterschiedliche Bedrohungen simulieren. Um den Stress-Level zu erhöhen, können Licht- und Geräuscheffekte hinzugeschaltet werden, zum Beispiel ein hektisch flackerndes Stroboskop. Jedes Jahr verfeuert das Präsidium auf vier Anlagen rund eine Million Schuss schadstoffarmer Munition. Kollegen im Außendienst müssen viermal im Jahr zum Schießtraining, Innendienstler zweimal. Eine surrende Lüftung im Keller saugt den Pulverdampf ab. Per Knopfdruck fährt ein neues Stück Pappleinwand in Position.

Kunden in der Zelle

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(Foto: Stephan Rumpf)

Konsequent spricht Jürgen Hermann von "Kundschaft", für die er ein "Dienstleister" sei. Nur dass vermutlich die wenigsten seiner Kunden gesteigertes Interesse an diesen Diensten haben. Hermann kümmert sich um die Haftanstalt im Präsidium, offizieller Name: Zentrale Verwahreinrichtung. In 32 Einzel- und neun Sammelzellen können bis zu 95 Kunden übernachten. Maximal bleiben sie 48 Stunden hier, spätestens dann geht es entweder zurück in die Freiheit oder weiter in eine Justizvollzugsanstalt. Die kargen Räume mit den schweren Stahltüren sind gut gebucht, im Durchschnitt werden hier rund 5000 Personen pro Jahr vorübergehend eingesperrt. "An einem normalen Arbeitstag", sagt Hermann, "sind es zwischen 15 und 20." Zur Wiesn, bei Großdemonstrationen oder Fußballspielen wird es schnell voller. Für Wiesn-Kundschaft besonders gut geeignet ist die Ausnüchterungszelle. Statt einer richtigen Toilette gibt es hier nur ein Loch im Boden. Der große Abfluss macht die Reinigung der Zelle deutlich leichter, notfalls kann man die letzte Nacht einfach "wegkärchern". Außer dem Bodenloch gibt es in dem etwa sechs Quadratmeter großen Raum nur noch eine Matratze und ein Fenster aus Glasbausteinen. Einmal pro Stunde schaut ein Polizeibeamter durch die "Kostklappe" nach dem Rechten, denn videoüberwacht sind die Zellen nicht. Die viereckige Luke in der Tür heißt nur noch aus historischen Gründen so. "Heute nutzen wir sie zur Kommunikation mit unfreundlichen Kunden", erklärt Jürgen Hermann serviceorientiert.

Fälle fürs Museum

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(Foto: Stephan Rumpf)

Hier ist der Anzug ausgestellt, den Rudolph Moshammer am Tag seiner Ermordung trug, auch das Kabel, mit dem er 2005 erdrosselt wurde. Hier steht ein mit Kugeln durchlöchertes Fragment des Hubschraubers, mit dem palästinensische Terroristen und ihre israelischen Geiseln 1972 ausgeflogen wurden, kurz bevor das Olympia-Attentat in einer katastrophalen Tragödie mit 17 Toten endete. In dem winzigen Museum des Präsidiums werden Artefakte der Münchner Kriminalgeschichte ausgestellt, vom Bezug des Gebäudes im Jahr 1913 über die NS-Zeit bis heute. Darunter finden sich auch Asservate vom ersten Bankräuber der deutschen Nachkriegsgeschichte, der Geiseln nahm, außergewöhnliche Originale, die von der Polizei sichergestellt wurden. Der Verein "Münchner Blaulicht" organisiert alle zwei bis drei Monate Führungen, unter anderem mit Polizeisprecherin Elizabeth Matzinger (Foto). Die Termine werden im Internet angeboten, pro Person kostet die Führung 13 Euro.

Erfasst und überprüft

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(Foto: Stephan Rumpf)

Was in diesem Raum Tag für Tag geschieht, nahm seinen Anfang 1832, weit entfernt von München. Per Gesetz wurde damals in Frankreich verboten, Verbrecher durch Brandzeichen zu markieren. Für die Gerichte ergab sich das Problem, Wiederholungstäter zu identifizieren. Der Pariser Kriminalist Alphonse Bertillon entwickelte eine Lösung: Die standardisierte fotografische Erfassung und Vermessung von Delinquenten. Bis zum heutigen Tag sprechen Ermittler von "Bertillonage", wenn sie Straftäter erkennungsdienstlich erfassen. Im Präsidium geschieht das in einem hellen Raum, der gleich neben dem Zellentrakt liegt. Die Insassen werden durch eine Tür geführt und auf einen Stuhl gesetzt, der am Boden montiert und schwenkbar ist. Thomas Remlein drückt auf den Auslöser einer Zwölf-Megapixel-Kamera und macht Fotos, von vorne, schräg von der Seite, im Profil. Zusätzlich protokolliert er alle körperlichen Merkmale. Auch Fingerabdrücke werden hier genommen, aber nicht wie früher mit Tintenkissen, sondern digital mit einem Scanner. Die Daten werden dann zum Bundeskriminalamt in Wiesbaden geschickt. Findet sich kein Treffer in der Datenbank, dauert es nur eine Minute, bis Remlein das negative Ergebnis bekommt. Spuckt das System jedoch eine mögliche Übereinstimmung aus, dann werden die Abdrücke von einem Spezialisten geprüft. Die Datenmengen sind beachtlich: Rund 8000 erkennungsdienstliche Behandlungen werden Jahr für Jahr im Münchner Präsidium durchgeführt.

© SZ vom 25.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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