Polizeipferde:Helfer auf vier Hufen

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"Unsere Pferde sind zufrieden, weil sie psychisch und körperlich ausgelastet sind", sagt der stellvertretende Ausbildungsleiter Karl Dratva. (Foto: Claus Schunk)

Ob auf dem Oktoberfest oder bei einem Fußballspiel: Die Pferde der Reiterstaffel erledigen Jobs, für die sonst Dutzende Polizisten nötig wären. Doch das Training der Tiere ist mühsam.

Von Katrin Blawat

Wenn er könnte, würde Ikarus jetzt grinsen. Mit dem Kopf stupst er gegen den Vorhang aus rot-weißen Plastikbändern in der Mitte der Reithalle. Das Geflatter scheint dem Pferd Spaß zu machen. "Polizei-Absperrung" steht auf den Bändern. Ikarus dürfte trotzdem durch, er arbeitet bei der Polizei. Seit vier Jahren zählt der braune, siebenjährige Wallach zur Reiterstaffel der Münchner Polizei. Und ebenso lange gehört der Unterricht in der Dienststelle nahe der Riemer Galopprennbahn zu seinem Arbeitsalltag.

Die 36 in München beheimateten Pferde der Polizeireiterstaffel müssen vor allem lernen, ihrer angeborenen Fluchtneigung zu widerstehen. Denn auch wenn die tonnenschweren Tiere allein durch ihre Größe vielen Menschen mindestens Respekt einflößen, sind Pferde von Natur aus sehr ängstliche Wesen. Als Pflanzenfresser, die auf dem Speiseplan großer Raubtiere stehen, rennen Wildpferde lieber einmal zu viel weg. Besser feige als tot - diese Haltung haben auch die heutigen Rösser noch verinnerlicht. Dabei gruseln sie sich mitunter auch vor völlig harmlosen Gegenständen.

Die Pferde der Reiterstaffel müssen in allen Situationen ruhig bleiben. (Foto: Claus Schunk)

Doch was das Überleben in der Natur erleichtert, bereitet in der Polizeipferde-Ausbildung einige Mühe. Die Tiere der Reiterstaffel dürfen sich von Krach, Enge, bunten und hektischen Massen nicht aus der Ruhe bringen lassen, etwa wenn sie vor einem Fußballspiel Fangruppen voneinander getrennt halten sollen.

Solche Einsätze gehören zu den Routineaufgaben der Reiterstaffel. Dabei hilft die respekteinflößende Wirkung der Rösser: Ein paar Pferde erledigen auf friedliche Weise einen Job, für den es sonst viele Dutzend Polizisten und womöglich deren Schlagstöcke bräuchte.

Ebenfalls zu den Aufgaben der Reiterstaffel zählen der sogenannte Objektschutz, etwa vor der Amerikanischen Botschaft, und ganz normale Streifen, auch durch Wohngebiete. Um Bürgernähe zu demonstrieren, eignet sich niemand so gut wie Ikarus und seine Kollegen, die unterwegs oft Streicheleinheiten von Passanten bekommen. Auf Streifen im Nordteil des Englischen Gartens sorgt die Springwiese für Abwechslung für die Tiere. "Unsere Pferde sind zufrieden, weil sie psychisch und körperlich ausgelastet sind", sagt der stellvertretende Ausbildungsleiter Karl Dratva. "Das beste Einsatzpferd nützt nichts, wenn es vor einem Fußballspiel zwei Tage lang in einer Box stehen musste."

Im Training gehen sie deshalb durch bunte Absperrungen. (Foto: Claus Schunk)

Dratva und seine Kollegen haben eine klare Aufgabe: "Wir bringen den Pferden bei, nicht in Panik zu geraten. Selbst wenn sie mal zur Seite springen, sollen sie schnell wieder zurück in die Formation finden." Regelmäßig bekommen Pferd und Reiter Unterricht. An diesem Morgen übt Ikarus zusammen mit drei Artgenossen. Gerade haben sie und ihre Reiter den ersten Teil absolviert: Gymnastik- und Gehorsamsübungen, die unspektakulär wirken, aber die Grundlage schaffen für ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Reiter und Pferd.

Dann sollen sich Ikarus, Hidalgo, Enrico und Lancelot durch eine etwa zehn Meter lange Gasse wagen. Seitlich ist sie von Fahnen begrenzt, die in Verkehrshütchen stecken, und von dem Flatter-Vorhang, mit dem Ikarus gespielt hat. Reitlehrer Dratva breitet eine knisternde blaue Plane auf dem Boden aus. Davor schüttet er zerbeulte Plastikflaschen auf den Hallenboden. Als dritte und letzte Station müssen die Pferde durch waagerecht angebrachte Schwimmnudeln gehen. Auch von solchen Berührungen, wie sie in der Enge eines Einsatzes oft vorkommen, können sich Pferde bedroht fühlen.

Hidalgo an der Spitze der kleinen Prozession ist zwar erst seit zwei Jahren dabei, aber schon sehr routiniert. Geschickt setzt er auch im Trab seine Hufe zwischen die Flaschen und überquert unbeeindruckt die Plastikplane und das Schwimmnudel-Tor. Dabei betrachtet er aufmerksam jede Station. "Die Pferde sind entspannter, wenn sie sich die Gegenstände genau angucken können", sagt Dratva. In der nächsten Übung schießt er einen großen gelben Gummiball gegen die Pferde. Der prallt von Hidalgos dunkler Brust ab wie ein Fußball vom Torpfosten. Auch Ikarus schlägt sich tapfer. Dafür mag er keinen Radau hinter sich. "Jedes Pferd hat irgendetwas, auf das es besonders empfindlich reagiert", sagt Dratva. Die Beamten, die normalerweise immer dasselbe Pferd reiten, kennen die jeweiligen Eigenarten ihrer Partner.

Der Reitlehrer folgt nun den vier nebeneinander aufgereihten Pferden mit einer laut durch die Luft knallenden Fahne in der einen und klappernden Blechdosen in der anderen Hand: eine Miniatur-Simulation einer Gruppe lärmender Fußballfans. Ikarus zappelt. "Er ist gerade in der Flegelphase", sagt der Reitlehrer. "In ein, zwei Jahren wird er ruhiger." Bis dahin achten Dratva und seine Kollegen darauf, den braunen Wallach immer als Nachhut von Fangruppen einzusetzen und nicht davor. Auch bei noch so sorgfältiger Ausbildung fallen einem Pferd manche Aufgaben eben leichter als andere.

Auch knisternde Planen, auf denen Plastikflaschen herumrollen, gehören zum Trainingsprogramm. (Foto: Claus Schunk)

Damit ein Pferd überhaupt in Frage kommt für den Polizeidienst, muss es mindestens 1,66 Meter groß und ebenso ausgeglichen wie neugierig sein. Kommt ein neuer Kandidat zu Dratva, lässt er ihn frei in der Halle laufen und beobachtet, wie der Neuankömmling auf die fremdartigen Gegenstände reagiert. Rast er nur kopflos davon, oder schnuppert er nach dem ersten Schreck vorsichtig an der Knisterplane? Erst die pferdetypische Neugier ermöglicht es, die Fluchttiere für die Polizeiarbeit auszubilden. Vor besonderen Ereignissen wie dem Oktoberfest absolvieren die Pferde einen zusätzlichen Test. Nur wer einigermaßen ruhig einer eigens eingeladenen Musikgruppe der Polizei zuhören kann, darf als Generalprobe mit zum Umzug des Straubinger Gäubodenfestes - und danach vielleicht auch zur Wiesn.

Doch auch eher ruhig verlaufende Einsätze bei Fußballspielen haben es in sich. "Am schwierigsten für die Pferde sind Fußballeinsätze mit vielen optischen und akustischen Reizen, bei denen sie wegen der Einsatzlage lange am selben Ort stehen müssen", sagt Dratva. Bewegung hingegen hilft den Pferden, innere Spannung abzubauen.

In der Reithalle strecken sich die vier Rösser schnaubend unter ihren Reitern. Für heute wurde genug geübt. Die Gruppe steuert auf das große Hallentor zu. Hidalgo positioniert sich so, dass sein Reiter es bequem vom Sattel aus öffnen kann. Manchmal ist es einfach praktisch, auf einem ausgebildeten Polizeipferd zu sitzen.

© SZ vom 13.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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