Polizeigewalt in München:Zaghafte Ermittlungen gegen unbekannt

Münchner demonstrieren gegen Neonaziaufmarsch, 2012.

Der Protest gegen einen Naziaufmarsch vor zwei Jahren kommt einige Münchner teuer zu stehen.

(Foto: Robert Haas)

Auf den Videos sind sie deutlich zu sehen: Faustschläge eines Polizisten gegen einen Demonstranten. Doch monatelang ist nichts passiert. Wieder stellt sich die Frage, wie ausgeprägt der Aufklärungswillen der bayerischen Strafverfolger ist. Schon bei der Identifizierung des Beamten gibt es Probleme.

Von Bernd Kastner

Die Staatsschützer des Münchner Polizeipräsidiums haben sich große Mühe gegeben, haben genau hingeschaut - und doch ein wichtiges Detail auf den Videobändern nicht registriert: Zwei Faustschläge eines Polizisten, die offenbar einen jungen Mann an Brust und Kinn getroffen haben. Mehr als ein Jahr hat es gedauert, bis dies einer Richterin aufgefallen ist. Sie hält die Schläge für "nicht in Ordnung", sie seien "durch nichts gerechtfertigt".

Gewiss, diese Einschätzung ist kein Schuldspruch, doch der Vorfall könnte das Image der Polizei weiter beschädigen. Hat doch erst im Januar ein Beamter eine gefesselte Frau mit einem Faustschlag schwer verletzt. Wieder stellt sich die Frage, warum ein Uniformierter zuschlägt. Und wie ausgeprägt der Aufklärungswillen der Strafverfolger ist. Denn erst nach der Bemerkung der Richterin wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Körperverletzung im Amt eingeleitet.

Es sind viele schwarz gekleidete Menschen auf den Videos der Polizei zu sehen. Hier behelmte Beamte, dort Demonstranten, die an einem Januarsamstag 2012 nicht von der Sonnenstraße runter wollten. Sie wollten einen Neonazi-Marsch blockieren. Die Staatsschützer haben jene Nazi-Gegner herausgefiltert, die gegen die Polizeikette gedrückt und geschoben haben sollen, haben Standbilder in ihre Zusammenschnitte eingebaut, haben die mutmaßlichen Täter mit roten Kreisen gekennzeichnet.

Vor Gericht schauen sich später Richter und Staatsanwälte alles sehr genau an. Man geht akribisch vor, um das Agieren der Nazi-Gegner zu beurteilen. Auch mit Dominik A., 23, haben sich Polizei und Justiz eingehend beschäftigt. Er bekam zunächst wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte einen Strafbefehl über 60 Tagessätze zugestellt, widersprach, wurde dann vom Amtsgericht zu eben dieser Strafe verurteilt.

Erst das Landgericht sprach ihn vergangene Woche in der Berufung frei, und erst da fiel der Vorsitzenden Richterin auf, dass der Angeklagte geschlagen wurde. Von einem Polizisten. Der ist von seinen Kollegen nicht mit einem roten Kreis markiert worden.

"Gerechtfertigte" Schläge?

Warum hat keiner der über Monate ermittelnden Staatsschützer die Schläge für relevant erachtet? Wir dürfen nichts sagen, laufendes Verfahren, heißt es im Polizeipräsidium. Immerhin, der Staatsanwaltschaft seien die Schläge schon aufgefallen, sagt Sprecher Thomas Steinkraus-Koch. Allerdings habe man sie für "gerechtfertigt" erachtet angesichts des Gerangels. Nach der Bemerkung der Richterin aber werde man sich das nun "etwas genauer anschauen" und die internen Ermittler der Polizei mit der Prüfung beauftragen.

Die gehören seit kurzem nicht mehr zum Münchner Präsidium, sondern zum Landeskriminalamt. Das ist die Folge des Faustschlags, mit dem ein Polizist im Januar auf dem Revier in der Au eine gefesselte Frau schwer verletzt hat, um ihr "in Notwehr" Herr zu werden. Als daraufhin Münchner Polizisten gegen einen Münchner Polizisten zu ermitteln begannen, erkannte Innenminister Joachim Herrmann (CSU), dass das in der Öffentlichkeit nicht gut ankommt. Also wurden die "Internen" von heute auf morgen dem LKA eingegliedert, um dem "Anschein der Befangenheit" vorzubeugen.

Schleppende Ermittlungen

In der Debatte um Polizeigewalt vergisst die Polizeiführung nie, die Akribie der internen Ermittler zu loben. Doch was nutzen die besten Ermittler, wenn sie nicht eingeschaltet werden, zumindest nicht von den eigenen Leuten? In der Causa Au war es die verletzte Frau, die sich an die "Internen" wandte; und jetzt musste eine Richterin die Ermittler zum Ermitteln bewegen.

Polizeisprecher Wolfgang Wenger betont, dass in Sachen Au nichts vertuscht werden sollte. Die "Meldewege" seien einfach zu lang gewesen, so dass die Frau fünf Tage nach dem Vorfall mit ihrer Anzeige der polizeiinternen Information zuvorgekommen sei. Man habe daraus gelernt und die Kommunikation beschleunigt. Woran in der Causa Sonnenstraße die Nicht-Information lag, das klären jetzt vielleicht die internen Ermittler. Dass der getroffene Nazi-Gegner keine Anzeige erstattete, hat prozesstaktische Gründe: Er macht generell keine Angaben zu dem Geschehen, das ist sein Recht als Angeklagter.

Wer wann was getan hat: unklar

Unabhängig vom strafrechtlichen Ergebnis dürfte das Geschehen auf der Sonnenstraße das Präsidium noch aus einem anderen Grund beschäftigen: Wer war es überhaupt, der zugeschlagen hat? Das Ermittlungsverfahren richtet sich noch gegen unbekannt. Der Polizist nämlich gehört offensichtlich dem Unterstützungskommando USK an, und das trat in dunklen Overalls und Helmen auf, als die "Bereinigung" einer "schwierigen Einsatzphase" anstand, wie es aus dem Präsidium heißt.

Doch kein Bürger kann diese Beamten voneinander unterscheiden, geschweige denn sagen, wer wann was getan haben könnte. Anders als etwa ein Streifenpolizist, der sich auf Wunsch eines Bürgers auszuweisen hat, müssen Beamte in geschlossenen Einheiten wie dem USK ihren Ausweis nicht vorzeigen, und gekennzeichnet sind sie auch nicht. Kein Problem, heißt es im Innenministerium, die Beamten seien ja trotzdem zu identifizieren, nur eben über den Umweg des Einsatzleiters. Das war bei der Nazi-Demo Robert Kopp, der Polizeivizepräsident. Kann er seine behelmten Beamten auseinanderhalten? Keine Antwort, laufendes Verfahren.

Schwierige Identifizierung

Nicht immer ist in der Vergangenheit die Identifizierung von USK-Beamten geglückt. So ist weiterhin unbekannt, wer beim Fußball-Amateurderby zwischen dem FC Bayern und dem TSV 1860 Ende 2007 auf Fans einschlug. Die Bürger konnten die Beamten nicht benennen, und die Videoaufnahmen der Polizei sind lückenhaft. Zwar haben inzwischen mehrere Bundesländer die Kennzeichnung von Polizisten in geschlossenen Einheiten eingeführt oder wollen es tun, doch Bayern sträubt sich weiter dagegen. Man wolle Beamte davor schützen, im Internet angeprangert zu werden, so das Innenministerium.

Das macht die Ermittlungen nicht einfacher. Während sich die Staatsanwaltschaft als Behörde zu diesem Thema nicht äußert, weil dies eine politische Frage sei, hat Oberstaatsanwalt Steinkraus-Koch schon vor geraumer Zeit bei einer Expertenanhörung im Landtag erklärt, was er sich persönlich als Ermittler wünscht: Zum Beispiel eine verschlüsselte Kennzeichnung der Beamten, aus Ziffern und Buchstaben vielleicht. Er begrüße jedenfalls "alles", was helfe, Polizisten zu identifizieren. Dass gelte nicht nur dann, wenn sie beschuldigt sind, sondern auch, wenn man sie als Zeugen braucht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: