Süddeutsche Zeitung

Polizei und Justiz:Sehschwäche auf dem rechten Auge

Drei Fälle, drei ganz verschiedene Antworten: Wie die Justiz mit möglicherweise gewaltbereiten Menschen umgeht.

Kolumne von Martin Bernstein

Ein junger Mann, der sich selbst als Antifaschisten bezeichnet, hat einen bewaffneten Diebstahl begangen und bei einer Demonstration gegen Pegida eine Fahne in der Hand gehalten, die die Polizei als Waffe einstuft. Der 24-Jährige hat zumindest zeitweise keinen festen Wohnsitz - das bedeutet Fluchtgefahr. Deshalb sitzt er zwei Monate lang in Untersuchungshaft, ehe ihn das Amtsgericht München zu einer Haftstrafe von neun Monaten auf Bewährung und 100 Sozialstunden verurteilt.

Die Waffe ist eine Knüppelfahne - ein 40 Zentimeter langer Holzstock mit Tuch dran. Zugeschlagen hat der junge Mann damit nicht. Hätte er aber "gegebenenfalls" tun können, meint der Staatsanwalt. Und der bewaffnete Diebstahl? Der junge Mann hatte weggeworfene Lebensmittel geklaut.

Keine Untersuchungshaft für offensichtlich Rechtsradikale

Acht offensichtlich Rechtsradikale überfallen bewaffnet mit Messer, Hammer und Baseballschläger einen Döner-Imbiss am Ebersberger Bahnhof. Sie sind polizeibekannt mit Einträgen, die von Nötigung über gefährliche Körperverletzung bis hin zu Drogendelikten reichen. Zwei Menschen werden verletzt, eines der Opfer muss ins Krankenhaus.

Noch am Tag des Überfalls werden die Tatverdächtigen ermittelt, aber nicht vernommen. Erst nach vier Tagen werden die Wohnungen der Hauptbeschuldigten durchsucht. Untersuchungshaft wird nicht angeordnet, schließlich besteht keine Fluchtgefahr. Und das Messer? Der Staatsanwalt sagt: "Nur wenn jemand ein Messer mitbringt, ist er noch kein versuchter Totschläger."

Ein Bewaffneter späht Flüchtlingsunterkunft aus und darf weiterfahren

Ein Mann wird in der Nähe von geplanten und bestehenden Flüchtlingsunterkünften von der Polizei kontrolliert. Er hat keinerlei Papiere dabei, aber - zum Teil im Auto versteckt - Messer, Beil, Axt, Nachtsichtgerät und einen gefüllten Benzinkanister. Beim Staatsschutz ist der Mann als rechtsgerichtet bekannt. Die Polizisten erkennen die Brisanz und informieren höhere Stellen. Am Ende gibt der Mann sein Messer ab und darf weiterfahren. Er hat sich laut Innenministerium nur eine Ordnungswidrigkeit zu Schulden kommen lassen.

Ein Schelm, wer der bayerischen Justiz Sehschwäche auf dem rechten Auge vorwirft.

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SZ vom 08.12.2015/mkro
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