Nachts in der Münchner Innenstadt, Ende Januar. Ein 24-Jähriger greift zwei Studenten an. Erst beschimpft er sie queerfeindlich, dann wird er gewalttätig. Die per Notruf alarmierte Polizei kann den Tatverdächtigen festnehmen. In mehr als 600 derartigen Fällen von „Hatecrime“ hat die Polizei 2023 ermittelt, aktuellere Zahlen gibt es noch nicht. Zu befürchten ist, dass sie weiter steigen. Siegfried Benker von der Hilfsorganisation Before sagt: „Das gesellschaftliche Klima führt zu Opfern und Betroffenen.“
Gerade sie aber wurden bislang zu wenig mitgedacht. „Und jetzt?“, würden ihn Opfer von Straftaten häufig nach der Anzeigenerstellung fragen, erzählt ein Polizist. „Dann konnte ich nur sagen: Jetzt geht das zur Staatsanwaltschaft.“ Künftig wird das anders sein. Das Polizeipräsidium München – zuständig für die Sicherheit von knapp zwei Millionen Menschen in Stadt und Landkreis – arbeitet seit Mittwoch eng mit drei zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen zusammen.
„Niedrigschwellig“, dieser Begriff fiel bei der Vorstellung der Kooperation immer wieder. Denn für Opfer von Hassverbrechen ist es eine hohe, oft eine zu hohe Hürde, sich mit allen Details der Gewalttat, der Bedrohung oder Beleidigung zunächst an die Polizei zu wenden – und dann noch einmal zum Hörer zu greifen und eine Opferberatungsstelle anzusprechen.
In Zukunft bahnt die Polizei den Kontakt an. Betroffene können bereits bei der Anzeigenerstattung mit ihrer Unterschrift der Übermittlung ihrer Daten zustimmen. Die Polizei darf dann die Daten an drei Münchner Beratungsstellen für die Opfer von Hatecrime weitergeben. Diese sollen dann schnellstmöglich von sich aus mit den Opfern Kontakt aufnehmen. Zusätzlich erhalten die Betroffenen einen Flyer mit weiteren Informationen sowie einem QR-Code, der zur Website der Polizei zum Thema Hasskriminalität führt.
Partner des Münchner Präsidiums sind die Beratungsstelle für Betroffene von Diskriminierung und von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (Before), die LGBTIQ-Fachstelle gegen Diskriminierung und Gewalt (Strong!) und der Weiße Ring, der generell Opfern von Kriminalität und Gewalt hilft.
Unter Hasskriminalität fallen laut Polizei „Straftaten, die sich auf die echte oder vom Täter vermeintlich angenommene Zugehörigkeit der Opfer zu einer Gruppe oder zu einem Geschlecht beziehen und mit einem Vorurteilsmotiv begangen werden“. 603 Fälle wurden 2023 der Münchner Polizei angezeigt, ein Drittel aller bayernweit registrierten Hassverbrechen.
Und ein Zuwachs gegenüber dem Vorjahr um 30 Prozent. 377 Taten wurden von Tätern mit rechtsextremer Motivation begangen. Die Übergriffe waren rassistisch oder judenfeindlich, islamfeindlich oder gegen die sexuelle Orientierung der Opfer gerichtet. In 93 Fällen übten die Täter körperliche Gewalt aus.
„Die Aggression auf der Straße und im Netz nimmt zu“, sagt Münchens Polizeipräsident Thomas Hampel, der „Krisen und Kriege“ für diese Tendenz verantwortlich macht. Er verspricht: „Wir wollen mit dieser Initiative kein Opfer von Hasskriminalität alleine lassen und die bestmögliche Unterstützung anbieten!“