Süddeutsche Zeitung

Kriminalität:Münchner Polizei glückt Schlag gegen internationale Bande

  • Der Münchner Polizei ist gemeinsam mit Europol ein Schlag gegen eine international agierende Gruppierung aus dem Bereich der organisierten Kriminalität geglückt.
  • Die Bande war darauf spezialisiert, sich in geklauten Autos ihren Opfern zu nähern und ihnen teuren Schmuck abzunehmen. Dann brausten die Täter mit der Beute im gestohlenen Auto davon.
  • Laut Europol wurden 42 Bandenmitglieder identifiziert. Zehn wurden jetzt festgenommen.

Von Martin Bernstein

Die Münchner Polizei hat ihren Kollegen von den italienischen Carabinieri geholfen, eine europaweit agierende Gruppierung aus dem Bereich der organisierten Kriminalität auffliegen zu lassen. In geklauten Autos näherten sich die Bandenmitgliedern ihren Opfern - um ihnen dann in einer "Hug and mug"-Aktion (wörtlich: umarmen und ausrauben) Schmuck und teure Uhren, zumeist der Marke Rolex, abzunehmen. Das berichtet die europäische Polizeibehörde Europol. Sie beziffert allein den Wert der gestohlenen Autos auf mehr als 13 Millionen Euro.

Die Masche der Bande war ausgeklügelt. Zunächst ließ sie Autos stehlen. 261 Fahrzeuge wurden bereits sichergestellt, doch rund 1400 weitere sind laut Europol noch nicht gefunden. Die Bande steuerte buchstäblich mit diesen Autos ältere Menschen an, die sie als leichte Opfer im Visier hatte. Dann entstieg ein Bandenmitglied - in den meisten Fällen eine Frau - dem Auto und sprach das Opfer an. Das Gespräch wurde immer emotionaler, plötzlich umarmte der Lockvogel unvermittelt sein Gegenüber und brachte bei dieser Gelegenheit dessen Schmuck oder auch teure Uhren unbemerkt an sich. Dann brausten die Täter mit der Beute im gestohlenen Auto davon.

Wie viele der Fälle sich in München ereigneten und wie genau der Beitrag der Münchner Polizei zum Fahndungserfolg war, konnte die Pressestelle im Präsidium nicht sagen. Tatsächlich aber gab es seit 2017 - in diesem Jahr wurden die italienischen Carabinieri auf die Serie aufmerksam - mehrere Vorfälle, die in die Serie passen. Im Dezember vor eineinhalb Jahren häuften sich die "Hug and mug"-Diebstähle sogar: In Milbertshofen, Perlach und Ismaning wurden Rentner von einer Frau, die in einem Auto mit Dortmunder Kennzeichen flüchtete, angesprochen, umarmt und bestohlen.

Bei einem für das Vorgehen der Bande besonders typischen Fall wurde im Oktober vergangenen Jahres einem 87-Jährigen aus Großhadern Hilfsbereitschaft zum Verhängnis. Ein Trickdieb, der den Rentner vermeintlich um Rat gefragt hatte, stahl unbemerkt eine mehrere Tausend Euro teure Rolex - direkt vom Handgelenk des alten Mannes. Der Rentner war zurück zu seinem in der Heiglhofstraße geparkten Auto gekommen. Als er eingestiegen war, klopfte es plötzlich an der Seitenscheibe und ein dunkelhaariger Mann hielt ihm eine Zwei-Euro-Münze hin, die er gewechselt haben wollte. Während der 87-Jährige nach Wechselgeld suchte, öffnete der unbekannte Mann die Fahrertür und fasste an den linken Arm des Rentners. Dabei fragte der Unbekannte mehrmals in gebrochenem Deutsch nach einer "Massage". Schließlich verschwand der Mann. Kurz darauf bemerkte der Rentner, dass seine hochwertige Armbanduhr im Wert von mehreren Tausend Euro weg war. Der unbekannte Mann hatte sie während des Ablenkungsmanövers vom Handgelenk des 87-Jährigen gezogen.

Wie viele Fälle der jetzt ausgehobenen Bande zugerechnet werden können, ist offen

Nach einem Rückgang im Vorjahr ist im Bereich des Polizeipräsidiums München die Zahl gestohlener Autos im Jahr 2018 deutlich angestiegen. Insgesamt 192 Wagen wurden vergangenes Jahr in Stadt und Landkreis geklaut. Gleichzeitig registrierte die Polizei 1998 Taschendiebstähle - das ist der Tiefstwert seit Anfang der Neunzigerjahre. Wie viele Fälle möglicherweise der jetzt ausgehobenen Bande zugerechnet werden können, ist offen.

Die Ermittlungen, an denen auch Polizeieinheiten aus Rumänien und Spanien beteiligt waren, begannen im April 2017. Laut Europol wurden 42 Bandenmitglieder identifiziert. Zehn wurden jetzt festgenommen. Etliche Bandenmitglieder reisten laut Europol offenbar ohne festen Wohnsitz durch Europa. Nach Angaben italienischer Medien stammen die Mitglieder der Gruppe aus den Städten Tandarei und Fetesti im Südosten Rumäniens. Rumänen stellten 2017 in Bayern laut Landeskriminalamt die größte Gruppe ausländischer Tatverdächtiger in Verfahren wegen organisierter Kriminalität. Sie treten nach Erkenntnissen der Ermittler in ethnisch besonders geschlossenen Banden auf.

Die Autos der Bande, von denen die meisten nach italienischen Medienberichten offenbar auf nur sechs Hintermänner zugelassen waren, wurden außer in Italien auch in Deutschland, Spanien, Rumänien, Frankreich, Ungarn, Bulgarien, der Schweiz, Belgien, Österreich und den Niederlanden sichergestellt. Die von Europol koordinierte länderübergreifende Zusammenarbeit der Polizei war nach Angaben der Zentralbehörde aus Den Haag vom Freitag für die Carabinieri aus der norditalienischen Region Venetien der "Schlüssel" zum Erfolg der Aktion "Abbraccio" ("Umarmung").

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SZ vom 27.05.2019/smb
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