Facebook und Twitter:Münchner Polizei auf Twitter: "Habt ihr eigentlich nichts Besseres zu tun?"

Facebook und Twitter: Oliver Timper, Chef der Social-Media-Abteilung der Münchner Polizei.

Oliver Timper, Chef der Social-Media-Abteilung der Münchner Polizei.

(Foto: Robert Haas)

Oliver Timper leitet bei der Münchner Polizei das wachsende Social-Media-Team. Wichtiger als Strafe und Strenge sind für die Beamten heute Witz und Wärme.

Von Philipp Crone

Als Oliver Timper am 9. Februar um 14.07 Uhr auf "posten" klickt, muss alles passen. "Wir befinden uns auf einem schmalen Grat", sagt der 45-Jährige, der an eine Mischung aus Robert de Niro und dem Narcos-Hauptdarsteller Wagner Moura erinnert. Er und seine Kollegen bewegen sich, wenn sie eine Nachricht bei Facebook oder Twitter ins Netz schicken, in aller Öffentlichkeit, zwischen Sympathie und Lächerlichkeit. Sie können mit jeder Botschaft ihren bislang sehr guten Ruf als angenehmer und kompetenter Partner festigen. Sie können ihn aber auch mit einem Satz ruinieren, wie es Timper beinahe schon passiert ist.

"Die ersten zehn Minuten sind entscheidend", sagt Timper und schaut auf seinen Bildschirm. Der Mann mit der halb trainierten, halb gemütlichen Statur, den kurzen dunklen Haaren, Jeans und Trekkingschuhen, sitzt im Großraumbüro. Keine Uniform, keine Waffe. Hier wird mit anderen Instrumenten gearbeitet.

Zwei seiner Kollegen an den Schreibtischen daneben sind auch in zivil. Einer schneidet den Faschingsfilm, der an eine Szene in "Münchner Geschichten" angelehnt ist, und bei der die Reiterstaffel am Siegestor im Einsatz ist, einer beantwortet Kommentare auf der Facebookseite der Polizei. An einem normalen Tag etwa 200.

Polizei-Arbeit im Jahr 2017, dazu gehört auch die große Möglichkeit, im Netz zu informieren, aufzuklären, Timper nennt das "Prävention". Warnen, erklären, fahnden - und das alles über die sozialen Kanäle. So gut wie München kann es keine andere Polizeidienststelle in Deutschland, gerade erst wurden die Münchner wieder ausgezeichnet. Wobei zu den Kollegen in England oder den USA noch große Unterschiede bestehen.

Die postenden Polizisten - eigentlich müssten sie in der abkürzungsfreudigen Behörde längst einen eigenen Namen haben, Postizisten oder Tweelizei - sind aber eben auch immer einer Gefahr ausgesetzt: Wer kommuniziert, kann missverstanden werden.

Ein beliebter Kommentar, den Timpers Twitter-Truppe regelmäßig liest: "Habt ihr eigentlich nichts Besseres zu tun?" Als lustige Videos von Faschingsreitern zu posten, Dankesgrüße zu veröffentlichen oder Fotos eines geretteten Kätzchens im Arm einer Beamtin? Die Antwort ist: ja und nein. Ja, sie haben auch anderes zu tun, wenn sie etwa bei einem Großeinsatz direkt auf Twitter und Facebook warnen und aufklären. Und nein. Sie sind davon überzeugt, dass sie auch den Ruf der Polizei als Partner und Mitmensch festigen müssen.

"Ein Post mit Reaktionen und unseren Antworten ist ja auch nichts anderes als das, was ein Beamter an einer Absperrung macht, wenn er einem Passanten freundlich erklärt, warum es da gerade leider nicht weitergeht", sagt Timper und schließt die Augen. Er spricht oft, ohne hinzusehen, das sind die Momente, in denen er zugleich darüber nachdenkt, was das jetzt bedeutet, seine Arbeit.

Der Post am 9. Februar ist einer der Kategorie Image-Förderung. Ein Foto zweier aus dem Auto lächelnder Beamter, ein großes "Danke" und dazu die Geschichte einer Festnahme, die nur dank der Aufmerksamkeit und richtigen Reaktion einiger Münchner möglich wurde. So konnte die Polizei einen Räuber festnehmen. Es ist ein Post, der fast alles zeigt, um das es bei Timper und Kollegen geht. Sie klären zum einen auf. Immer wieder bekommt der User, der die Polizei auf Twitter oder in seiner Facebook-Timeline abonniert hat, den Hinweis: Wählt die 110, wenn euch irgendwas seltsam vorkommt. Die Polizisten schreiben "ihr" und "euch". Im Singular ist man beim Sie. Marcus da Gloria Martins, der Münchner Polizei-Pressechef, sagt: "Am Ende sind wir noch immer die Polizei." Dass ein Pressesprecher einmal so einen Satz sagen würde, war vor Social-Media undenkbar.

Der Post am 9. Februar ist auch eine Art Belohnung. Die Bevölkerung hat dazu beigetragen, ein Verbrechen zu vereiteln. Drei Menschen haben an verschiedenen Orten den Räuber gesehen, der einen Juwelier überfallen hatte, und die 110 angerufen, weil ihnen der Mann seltsam vorkam. Sie haben reagiert, wie es sich die Polizei wünscht. Dafür bekommen die Facebook-User nun eine spannende Verfolgungsjagd-Story mit Happy End nachgeliefert und einen Dank. Einer schreibt: "Gar nicht angeschnallt?" Weil die Beamten ohne Gurt im Auto sitzen. Timpers Antwort: "Bei stehendem Fahrzeug ohne laufendem Motor? Gruß aus der Ettstraße." Aufklärung und Image-Verbesserung in zwei Sätzen.

Schmaler Grat: Zwischen Crime und Clown

Um 14. 17 Uhr hat der Post 2 491 Aufrufe, nach zehn Minuten. "Ist okay." Eine Aufgabe von Timper und seinen Kollegen ist es auch, die Reichweite weiter zu erhöhen. Damit im Extremfall wie etwa dem Amoklauf im vergangenen Juli möglichst viele Menschen mit Informationen versorgt werden können. Deshalb produziert auch die Münchner Polizei sogenannten Cat-Content, Inhalte, die erfahrungsgemäß gerne geklickt werden, wie Dank-Fotos und Katzen-Bilder. Timper sagt: "Die Kollegin, die unsere gerettete Katze auf dem Arm hatte, hätten wir x-mal verheiraten können."

Timper stammt aus Regensburg, ging nach dem Abitur zur Polizei, kam 1997 nach München, arbeitete im Streifendienst und in der Schleierfahndung. Seit 2013 ist er in der Pressestelle und begann im Januar 2015 als Leiter des heute fünfköpfigen Social-Media-Teams. Die älteste seiner drei Töchter ist elf, sie folgt dem Papa jetzt auch schon bei der Arbeit.

"Vor dem OEZ-Amoklauf hatten wir 70 000 Follower, danach 230 000." Damals haben sowohl Timpers Kollegen viel gelernt über den Umgang mit Polizei-Posts, aber auch die Bevölkerung. "Gerüchte von früher sind die Posts von heute", sagt Stefan Jarolimek, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Und Gerüchte gab es viele am Abend des Amoklaufs. "Wir haben festgestellt, dass die Leute vermeintlichen Informationen aus ihren Whatsapp-Gruppen glauben", sagt Timper.

Also war sein Twitter-Team permanent im Einsatz, um Dinge richtigzustellen, zu erklären, dass Informationen bei der Polizei angekommen seien und letztlich die User von den Gerüchten wegzulocken auf die zwar wenigen, dafür aber fundierten Aussagen der Polizei. Von der "golden Hour" spricht Jarolimek, der ersten wichtigsten Stunde, in der es ganz besonders darum geht, die richtigen Informationen an die Einsatzkräfte zu bekommen und falsche nicht zu verbreiten. Auch deshalb ist bei einem Großeinsatz immer einer von Timpers Leuten mit dabei.

Der schmale Grat in der Kommunikation. Zwischen Crime und Clown. Gerade in einer Behörde, die jahrzehntelang eher den Ruf hatte, unnahbar zu sein, mit spröden Fachbegriffen zu arbeiten und bürokratisch unflexibel zu sein. Jetzt nutzt dieses Haus die Chance, sich anders zu zeigen. Denn dann wende man sich auch an sie, sagt Da Gloria Martins. "Die Leute sollen wissen: Da kann ich nachfragen und bekomme eine normale Antwort."

In Timpers Büro ist nicht von Vuki die Rede, "Verkehrsunfall, klein, innerorts", wie an anderen Schreibtischen, sondern von Influencern oder Tonalitätenmix. "Zwischen objektiv-sachlich und der Gefühlsebene", sagt Da Gloria Martins und erklärt, dass man diese manchmal leicht kumpelige Ansprache, die er so nie nennen würde, nur im kulturellen Raum Bayern anwenden könne. "In unserer Sprachregion empfindet man das als angenehm."

Menschlich und nahbar wolle man sein, sagt Timper, "wir zeigen auch, wie wir ticken, man wird ja in zutiefst menschliche Situationen geworfen". In der Millionärs- wie in der Hartzfamilie würden die Beamten in sehr belastende Momente geraten. Und dann kommt da ein Polizist, der nicht einer mit dem erhobenen Zeigefinger ist, sondern den man durch Netz-Profilierung als sympathischen Mitmünchner kennt.

"Mami- und Papi 2.0 für Erwachsene", sagt Da Gloria Martins. Gerade in einer Zeit, in der man in der Gesellschaft immer mehr dazu übergehe, "eigenes Fehlverhalten abbiegen zu wollen". Die Kollegen berichten beim Schichtwechsel mittlerweile davon, wenn sich mal jemand entschuldigt für seinen Fehler, "weil das fast nicht mehr vorkommt". Dabei habe man doch die größte Chance, mit einem "Schönen Abend" verabschiedet zu werden von der Streife, wenn man einsieht: Ja, da habe ich Mist gebaut, tut mir leid. Timper kann das auch.

"Ich muss bei Antworten ein @ verwenden."

Neulich hat er allerdings auf Twitter einen schweren Fehler gemacht. Er hat das @-Zeichen vergessen am Anfang seiner Antwort, als er einem User direkt antworten wollte. Also ging der Tweet an alle 300 000 Follower raus, in dem stand: "Bitte bei der nächsten Polizeidienststelle melden." Einer schrieb sofort zurück: "Alle?" Peinlich für die Polizei, war der Eindruck, die können nicht richtig twittern. Einen Tag später stellte sich Timper an die Tafel im Büro und schrieb darauf: "Ich muss bei Antworten ein @ verwenden." Der neue und wieder positive Eindruck: Die stehen zu ihren Fehlern.

Als die Polizei einen Tag auf der Wiesn 2016 mit lockeren Sprüchen begleitete, indem sie etwa erklärte, dass "No Smoking" keine Kleiderordnung sei, traf sie einen Nerv. Die sind ja eigentlich ganz in Ordnung, denkt sich der User, sogar ganz cool und lustig. Und gleichzeitig bewirken solche Tweets, dass aus einer vorher angekündigten und befürchteten Hochsicherheitswiesn eine etwas entspanntere wird. Auch auf die Gefahr hin, dass ein paar wenige Twitter-Leser der Meinung sind, dass die Polizei "Menschen verhöhnt", sagt Da Gloria Martins. Aber wie alle muss auch die Polizei mit Hatern und Nörglern leben, wenn sie sich in die Netzwelt begibt.

Wenn man eine personifizierte Veränderung im Umgang der Polizei mit der Öffentlichkeit am Beispiel München sehen will, dann ist das auch der Pressesprecher, der eine Sprache an den Tag legt, die sonst nur Konzerne à la Apple mit ihrer Eleganz, Brillanz und gleichzeitiger Zurückhaltung schaffen. Da Gloria Martins sagt zum Beispiel: "Wir verbreiten Präventionsbotschaften, eingebettet in einen Content-Mantel." Das ist etwa der Fall, wenn eine junge Beamtin sich im Video vorstellt ("Ich bin die Caro") und im Anschluss den Münchnern erklärt, dass sie zur Sicherheitskonferenz doch bitte die Parkverbotsschilder beachten sollen. "Achtung, wir schleppen euch ab!", heißt das - diesmal nur in wunderbar internette Watte gepackt.

Jeder Post wird nach dem Vier-Augen-Prinzip erstellt. Es schaut noch einmal jemand drüber, versteht man das, "Oli als Teamleiter und ich als Spaßbremse", sagt Da Gloria Martins, der seinen Teamleiter mit einem Fistbump begrüßt, Faust auf Faust. Da ist er wieder, der Grat. Ist das jetzt einfach ehrlich und menschlich, oder anbiedernd?

Die Münchner Polizei lernt täglich dazu, sich im Netz zu bewegen. Und schaut dafür auch ins Ausland. In den USA haben Streifenwagen eigene Twitter-Accounts, in England haben Beamte eigene Twitter-Dienst-Accounts, "da ist die Verbreitung von Twitter aber auch noch deutlich höher", sagt Timper.

Früher gab es den Freund und Helfer, heute gibt es Follower und Hater. Manche Videos sind vielleicht etwas unprofessionell, manche Witze nicht wirklich witzig, aber wenn Timper ein Foto aus seinem Bürofenster postet, auf dem man sieht, wie die Sonne scheint, aber nur auf die oberen Stockwerke, mit dem Satz: "Chef, kann ich heute früher Schluss machen?", muss man sich nur den Kommentarverlauf ansehen, von "Zeit, dass ihr euch im Präsidium weiter nach oben arbeitet" bis "Ja, geht klar", um zu erkennen, wie wirkungsvoll die Web-Wachmänner längst sind.

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