Vor knapp einem Jahr flog Konfetti durch den Bundestag, als das Plenum die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnete. Die Entscheidung war für die LSBTI-Community (schwul, lesbisch, bi, trans- und intersexuell) ein Meilenstein auf dem Weg zur Gleichbehandlung. Doch damit ist ihr Kampf für die Rechte von homosexuellen Menschen nicht vorbei. Akzeptanz, Gleichstellung und Vielfalt sind deshalb in diesem Jahr die zentralen politischen Forderungen des Christopher Street Day (CSD) in München.
"In der Gesellschaft gibt es den Eindruck, dass die LSBTI mit der Ehe für alle nun alles erreicht hätten", so Thomas Niederbühl, politischer Sprecher des CSD und Stadtrat der Rosa Liste. Eine in diesem Jahr veröffentlichte Studie der Hanns-Seidel-Stiftung stellt fest, dass 20 Prozent der Befragten in Bayern finden, dass zu viel für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften getan wird - mehr als 70 Prozent sind aber der Ansicht, dass genug oder gar zu wenig getan werde.
Da müsse man laut Thomas Niederbühl jedoch differenzieren. Viele Menschen seien zwar für die Ehe für alle. "Wenn es aber darum geht, dass sich zwei Frauen oder Männer in der Öffentlichkeit küssen, sehen die Ergebnisse schon anders aus." Bei lesbischen Paaren empfinden das laut einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes 30 Prozent unangenehm, bei schwulen Paaren sogar fast 40 Prozent.
Es gehe laut Niederbühl nun vor allem darum, gegen die Diskriminierung im Alltag zu kämpfen. Auf vielen Schulhöfen wird "schwul" immer noch als Schimpfwort benutzt. "Wir müssen jetzt auch die Herzen und Hirne der Leute erreichen." Denn die Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte ließen sich auch zurückdrehen, wenn man sich den Rechtsruck im Land anschaue. "Die CSU hängt in Bayern immer noch einem konservativen Familienbild hinterher und meint, sie könne mit homo- und transphoben Verhalten auch noch Politik machen."
Das sei laut Niederbühl mit einer der Gründe, warum der Christopher Street Day in den vergangenen Jahren wieder politischer geworden ist. Im Hinblick auf die Landtagswahlen hat der CSD ein politisches Motto: Bunt ist das neue Weiß-Blau. "Wir haben so viel Gleichstellung und Akzeptanz erreicht wie nie. Gleichzeitig kommen aber die rechtskonservativen Gegenbewegungen, die uns das Leben schwer machen."
Mehr Menschen werden Opfer von Gewalt
Christopher Knoll vom schwulen Kulturzentrum Sub in München hält es sogar für plausibel, dass es einen Zusammenhang zwischen homophober Gewalt und Rechtspopulismus gibt. "Wenn man verbal alle Schranken fallen lassen kann, macht man es nonverbal vielleicht auch", meint der Berater vom Sub. 2017 wendeten sich deutlich mehr Opfer von Gewalt an das Kulturzentrum - insgesamt 38. Deutschlandweit wurden 2017 laut Kriminalstatistik etwa so viele Hassverbrechen gemeldet wie im Vorjahr, nachdem die Zahl 2016 stark angestiegen waren.
Verlässliche Zahlen gibt es allerdings kaum, da die Dunkelziffer von Straftaten laut des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) extrem hoch ist. Darum gibt es beim Sub mittlerweile auch einen anonymen Online-Meldebogen für Opfer von homo- und transphober Gewalt. Laut Thomas Niederbühl wäre die Politik gefragt, mit Aufklärungskampagnen gegen die Probleme vorzugehen. "In Bayern gibt es kein einziges Projekt, das im LSBTI-Bereich gefördert wird. Es gibt keine Ansprechpartner bei der Regierung. Es gibt keinen wirklichen Maßnahmenplan."
Schon diese Woche gibt es in der Stadt im Zuge der sogenannten Prideweek zahlreiche Veranstaltungen der LSBTI-Community (Infos unter www.csdmuenchen.de). Wichtigste Veranstaltung des Christopher Street Day am Samstag ist wie jedes Jahr die Politparade durch die Münchner Innenstadt, die um 12 Uhr am Marienplatz startet. Dort wird auch die Showbühne stehen, auf der am Abend unter anderem die Weather Girls ("It's Raining Men") auftreten. Christopher Knoll und Thomas Niederbühl glauben, dass 2018 wieder 140 000 Menschen kommen. Auch weil sich deutlich mehr Gruppen zum Umzug angemeldet haben, mehr als 130 - von Parteien über Firmen wie Microsoft bis hin zum Arbeitskreis homosexueller Angehöriger der Bundeswehr.