Politische Macher in München:Wer nach Ude wichtig wird

Christian Ude

Oberbürgermeister Christian Ude gibt in München seit vielen Jahren den Takt an.

(Foto: Stephan Rumpf)

Viele Jahre hat Christian Ude die Geschicke Münchens geprägt, doch im März 2014 ist Schluss - und die Stadt steht vor einer Zäsur. Neue Akteure machen sich bereit, alte Akteure müssen sich in neue Rollen hineinfinden. Nur für ein politisches Nashorn ändert sich nichts.

Von Peter Fahrenholz

Würde es die Altersgrenze für kommunale Mandatsträger nicht geben, Christian Ude hätte sich wohl nie für das Amt des Ministerpräsidenten interessiert. Warum auch? Ein direkt vom Volk gewählter Oberbürgermeister hat eine unerschütterliche Position, wenn er keine groben Fehler macht. Und als OB der mit Abstand größten Stadt des Landes ist man im Grunde der zweitwichtigste Politiker im Freistaat nach dem Ministerpräsidenten. Da reicht kein Landesminister heran, noch nicht mal ein Superminister.

Doch nicht nur Udes bevorstehender Abschied kündigt die politische Zeitenwende an, die der Stadt bevorsteht. Ein Blick in den rot-grünen Maschinenraum zeigt, dass nichts mehr so ist, wie es sich in den langen Jahren der rot-grünen Rathauskoalition eingeschliffen hatte. Denn das politische Geschäft, vor allem in einem Bündnis unterschiedlicher Partner, funktioniert dann am besten, wenn es belastbare Vertrauensachsen zwischen den wichtigsten Akteuren gibt.

Die Achsen sind brüchig

Die wichtigste rot-grüne Achse war immer die zwischen Ude und Hep Monatzeder, dem Dritten Bürgermeister. Doch Monatzeder wurde von seinen Parteifreunden vor der Zeit stillgelegt. Die Grünen haben ihn als OB-Kandidaten abgemeiert, seither sitzt er im Rathaus die restliche Zeit ab, ohne Prokura von den eigenen Leuten.

Und auch die zweite wichtige rot-grüne Achse ist brüchig geworden. Seit die Grünen ihre Fraktionsspitze ausgetauscht haben, macht SPD-Fraktionschef Alexander Reissl noch viel weniger als vorher ein Hehl daraus, dass er die Grünen nicht leiden kann. Die Zweite Bürgermeisterin Christine Strobl kann dieses Defizit nicht kompensieren, sie war nie als treibende Kraft für die gesamte Stadtpolitik gedacht. Als Bürgermeisterin für alles Soziale hat sie eher die Aufgabe, als Bindemittel für die klassische sozialdemokratische Klientel zu wirken.

Politisch Heranwachsende

Auch auf Parteiebene werden die Fliehkräfte nicht mehr zusammengehalten. Münchens SPD-Chef Hans-Ulrich Pfaffmann wird ausschließlich davon getrieben, dafür zu sorgen, dass die SPD auch den nächsten OB stellt und die führende kommunalpolitische Kraft bleibt. Alles andere ist ihm eher wurscht. Und die beiden Grünen-Chefs Katharina Schulze und Sebastian Weisenburger sind eher politisch Heranwachsende. Schulze hat als letzte ganz knapp den Sprung in den Landtag geschafft, Weisenburger sich nur mit Mühe und Not einen Platz auf der Stadtratsliste gesichert, der ihm die Chance lässt, auch gewählt zu werden. Prägende politische Figuren sind beide längst noch nicht.

Das würde Sabine Nallinger gerne werden, die OB-Kandidatin der Grünen. Auch Nallinger ist eine Newcomerin mit wenig Erfahrung. Dass sie wirklich Oberbürgermeisterin werden könnte, glaubt sie inzwischen vermutlich selber nicht mehr. Wie stark ihr politisches Gewicht nach der Wahl sein wird, hängt einerseits davon ab, wie sie sich im OB-Dreikampf schlägt und wie stark die Grünen werden. Andererseits aber kurioserweise auch vom Wahlergebnis des von ihr abgesägten Monatzeder. Denn der kandidiert zur allgemeinen Überraschung auf der Stadtratsliste. Sollte er am Ende der grüne Häufelkönig werden, wird er sich kaum still und leise auf die Hinterbank setzen. Selbst wenn er sich zurückhält, wird sein Gesicht immer die Botschaft widerspiegeln: Hab' ja immer gewusst, dass ich der Bessere gewesen wäre.

Reiter will nach oben

Der Bessere will am Ende auch Dieter Reiter sein, Udes Wunschnachfolger. Reiters Karriere ist völlig untypisch. Während sonst meist Parteipolitiker nach Ämtern streben, von denen sie nicht immer was verstehen, muss Reiter den umgekehrten Weg gehen: sich vom Beamten, der sein Leben in der Stadtverwaltung zugebracht hat, zum Parteipolitiker mausern, der um Wählerstimmen werben muss. In der Riege der städtischen Referenten hat Reiter mit der OB-Kandidatur im Rücken jedenfalls mächtig aufgeholt, besonders, seit er sich die publikumswirksame Aufgabe als Wiesn-Chef unter den Nagel gerissen hat.

Im politischen Machtgefüge der Stadt spielen die Referenten eine wichtige Rolle. Sie werden zwar gerne als Stadtminister bezeichnet, doch das gaukelt eine politische Beinfreiheit vor, die nur die wenigsten haben. Am straffen Zügel des Oberbürgermeisters sind die Referenten seltsame Zwitterwesen, die sich in der Grauzone zwischen Fachexperten, politischen Beamten und eigenen politischen Ambitionen bewegen. Wer die Mischung am besten verkörpert, kann aber eine starke Figur werden.

Starke Figuren im Hintergrund

In München trifft dies in erster Linie auf zwei Männer zu: Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle und Stadtkämmerer Ernst Wolowicz. Der KVR-Chef als oberster Ordnungshüter kann das politische Klima der Stadt entscheidend prägen. Wer wüsste das besser als Peter Gauweiler und Hans-Peter Uhl. Die beiden CSU-Männer haben sich ihren Ruf als Law-and-order-Politiker in ihrer Zeit als Kreisverwaltungsreferenten erworben. Blume-Beyerle ist aus ganz anderem Holz geschnitzt und muss deshalb fast als Idealbesetzung gelten. Er führt sein Amt mit fester, aber nicht harter Hand. Kaum wegzudenken im Münchner Machtgefüge ist auch Wolowicz. Ein Kämmerer, der ein unpolitischer Zahlenheini ist, kann leicht zum Spielball aller möglichen Begehrlichkeiten werden. Bei Wolowicz paaren sich hingegen Fachwissen und enormer politischer Instinkt. Keine Frage von Belang kann an ihm vorbei entschieden werden.

Eine ganz eigene Machtkategorie in München sind die Alt-Oberbürgermeister. Hans Jochen Vogel, nach Helmut Schmidt der zweite große Alte der SPD, hat sich zu einer moralischen Instanz entwickelt, die über alle Parteigrenzen hinweg Gehör findet. Georg Kronawitter hat sich zwar aus gesundheitlichen Gründen fast völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Aber zu was ein Alt-OB in der Lage ist, hat er 2004 beim Hochhaus-Bürgerbegehren gezeigt, bei dem er seinen Nachfolger Ude unerbittlich in die Knie zwang. Bald gehört auch Ude in diese Riege und es wird spannend sein, wie er seine neue Rolle interpretiert. Wird er sich zurückhalten? Oder wird er hineingrätschen, wenn die Dinge nicht in seinem Sinne laufen. Einen Zugang zu den Medien wird einer wie Ude immer haben.

Die CSU war auf lokaler Ebene lange abgemeldet, man könnte auch sagen, sie hat sich selber zum Schmuddelkind gemacht mit den falschen OB-Kandidaten und internen Skandalen. Jetzt setzen die Christsozialen auf eine neue Chance in der Nach-Ude-Zeit. Mit Josef Schmid haben sie einen präsentablen OB-Kandidaten. Und ihr Parteichef Ludwig Spaenle ist gar der Aufsteiger des Jahres. Durch seine Verwicklung in die Verwandtenaffäre des Landtags war er politisch schon angezählt, doch die nahe Kommunalwahl und der politische Instinkt von Horst Seehofer haben ihn gerettet.

Die besondere Rolle des Ludwig Spaenle

Seehofer hat Spaenle zum Superminister gemacht und damit zu einer ganz wichtigen Münchner Figur. Spaenle ist nun auch für Wissenschaft und Kunst zuständig und wird so zum begehrten Gesprächspartner in diesen für München wichtigen Milieus werden. Denn er kann dort jetzt selber etwas bewegen, statt Wünsche nur einfach weiterzugeben. Spaenle könnte kurioserweise nach der Wahl, wenn der neue OB seine Rolle erst noch finden muss, für eine gewisse Zeit sogar der stärkste politische Akteur in München werden. Das hätte vor kurzem außer Spaenle selbst kaum einer für möglich gehalten

Eine weithin unterschätzte Rolle im bisherigen Oppositionslager spielt Michael Mattar, der FDP-Fraktionschef. Auf den ersten Blick hat einer wie er nichts zu melden. Doch in einem Stadtrat, der aus lauter ehrenamtlichen Mitgliedern besteht, politischen Amateuren gewissermaßen, zählt nichts so sehr wie Sachkunde. Und die hat Mattar in vielen Fragen zu bieten. Wenn er redet, lohnt es sich, zuzuhören.

Ein politisches Nashorn

Das gilt erst recht für einen, der ein Unikat im Rathaus ist. Wer kann schon, wie CSU-Mann Walter Zöller, auf mehr als 40 Jahre im Stadtrat zurückblicken? Für Zöller gilt das alte Bonmot von Franz Josef Strauß: Er hat alles schon erlebt und das Gegenteil davon. Ende der Achtzigerjahre der "Schwarze Riese" mit eigener "Gestaltungsmehrheit", danach abgemeiert in der Gauweiler-Ära der CSU. Zöller ist ein altes politisches Nashorn: versiert, schlau, unabhängig. In allen Fragen der Stadtgestaltung hat sein Wort noch immer Gewicht.

Wäre München ein Stadtstaat wie Hamburg oder Berlin, der Glanz von Christian Ude wäre wohl noch ein bisschen größer gewesen. Denn dann hätte er nur noch die Bundesebene über sich gehabt. So aber hat immer wieder auch das Land seine Finger im Spiel. Und da gilt dann oft das alte bayerische Prinzip: Der Ober sticht den Unter. Zuletzt hat sich das beim Verkauf der landeseigenen GBW-Wohnungen gezeigt. Die wurden eiskalt an einen Privatinvestor verkauft, das kommunale Konsortium unter Führung Münchens ging leer aus.

Und der Finanzminister kann sich sogar bei rein lokalen Fragen querlegen. Denn als Herr über die staatliche Schlösser- und Seenverwaltung hat er auch im Englischen Garten das Sagen. Dass dort seit Jahren mit fadenscheinigen Argumenten eine Trambahn verhindert wird, hat übrigens nichts mit einer München-Aversion in den fränkischen Genen von Markus Söder zu tun. Seine Vorgänger Kurt Falthauser, ein Münchner und Georg Fahrenschon, ein Quasi-Münchner, waren in dieser Frage genauso stur.

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