Poetry-Slams:In Zungen reden, bis der Brecher kommt

Ausgerechnet an Pfingsten finden in München gleich zwei Poetry Slams statt - und ein dritter auf dieser Seite. Eine Abstimmung darüber, welcher Text am besten slammt.

(SZ v. 07.06.2003) Der Heilige Geist kam auf die Jünger, auf dass sie in den verschiedensten Zungen redeten - so ähnlich muss man sich das Pfingstwunder vorstellen. Kein Zufall kann es also sein, dass just an diesem Pfingstwochenende gleich zwei Poetry Slams in München stattfinden: Auch hier geht es ja um das Sprechen in den unterschiedlichsten Sprachen und Spielarten, und im besten Fall ist gar ein Hauch von mehr oder weniger Heiligem Geist auf die Autoren hinabgekommen.

Wir haben einige der Dichter, die sich an diesem Wochenende dem Wettkampf um die beste Bühnen-Performance stellen, um Texte gebeten. Die Beiträge von Timo Brunke, M.L. Liebler, Georg M. Oswald und Francis R. sind eigens für die SZ geschrieben beziehungsweise bisher nicht veröffentlicht.

Natürlich ist die Situation auf der Bühne eine andere, der möglichst effektvolle Vortrag spielt beim Slammen ja eine nicht unwichtige Rolle. Doch eine Wettbewerbssituation gibt es hier auch: Folgen Sie dem Link! Dort können die Leser abstimmen, welcher der Texte ihnen am besten gefallen hat.

Und wer den Vergleich mit dem Live-Erlebnis sucht: Am Sonntag veranstalten Rayl Patzak und Ko Bylanzky den Poetry Slam zum "Saisonabschluss des größten Poetry Slams Europas" im Substanz (Ruppertstraße28, 20 Uhr), und am Montag geht im Café Gap ein "speak&spin"Feiertagsprogramm über die Bühne (Goethestraße 34, 20 Uhr).

Overcast

von in perfect light for portraiture no promise of let go silence isbelongings wishes insightsinside cautiously forget lockedin escapethroughyour lips une coccinelle qui ne s'enlève pas de ton doigt thoughts, words, and works dive deep higher hey play some more with fate, care less ons unbearable banality of beauty without eyes stained by perspectives picture in frames/none now connected to off-screen space I on hills and sunthere already when you leave

Francis R. (Detroit/München) machte ihre ersten Slam-Gehversuche im Substanz, zog dann nach Detroit und wurde im Poetry-Kultclub "Urban Break" zum Nachwuchstalent Nr. 1. Detroit stellte 2002 den nationalen Slam-Champion der USA. Francis R. war im Team dabei.

Standarte

Ich träumte eine fette Fahne Die aller Länder Flaggen frisst Je mehr ich wob, je mehr ich ahne: Ich hab zuviel mir aufgehisst.

Ich wob ein Tuch aus roten Streifen Von roten Streifen rot durchsetzt Am Ende musste ich begreifen: Ich hab im Geist mich überschätzt -

Ich wollt das Rot von West-Samoa Das Rot von China, der Türkei Dazu das Rot noch von Angola Dazu das Rot der Mongolei.

Das Rot von Spani-, Kolumb-, Belgi- Von Norweg-, Syri- und Rumän- Das Rot von Äthiop- und Boli- Albani- und Jordanien.

Dazu das Rot der DDR Im nachhinein, das Rot der Schweiz Das Rot der UdSSR Von Liechtenstein und Österreiz.

Dazu den roten Ball von Japan Das Rot von Portugal, Peru Dazu das rote Rot von Taiwan Das Rot der NATO, der EU.

Das grüne Rot noch von Uganda Das blaue Rot der Bahamas Das schwarze Rot von Propaganda, Das weiße Rot der Caritas.

Nun fragt ihr mich nach dem Designe Als ich zusammen sie genäht: Nun, ich gestehe, nun, ich meine Als sie sich dann im Wind gebläht -

Sie flatterte so rot da oben Standartenkühn globalisiert - Ich konnt' mich doch dafür nicht loben: Sie wirkte so - standardisiert:

Das Muster, das ich ihr verpasste, Schien wie erdacht vom Schneider Tod. Da pflückt' ich sie enttäuscht vom Maste Und wurde selbst ein wenig rot:

Statt ihrer hiss ich nun zum Gag Mein Taschentuch als Standard-Flagge Drauf prangt als Friedenstaubenkacke Mein Popel und ein Tintenfleck.

Timo Brunke lebt in Stuttgart und ist derzeit erfolgreichster deutscher Slam-Poet. Er gilt als bester deutscher Spoken-Word-Dichter, ist Gastgeber einer eigenen Poesie-Show am Stuttgarter Schauspielhaus und Veranstalter des Stuttgarter Poetry Slams in der Rosenau.

Verpasste Chance

Es ist allerdings auch schon drei Jahre her, dass ich mich mit der Kuppe meines linken kleinen Fingers wahrhaftig bis zum äußersten Rand der Brustwarze eines bereits gut entwickelten Mädchens vorgearbeitet hatte, und ich hätte sogar noch weiter gehen können, hätte mich dann nicht plötzlich und unerklärlich der Mut verlassen. Es geschah auf der Abschlussparty der Skiferien der achten Klasse, ich war gerade mal vierzehn. Das Mädchen hieß Katja und ich beobachtete sie eine Woche lang im Speisesaal so diskret aus den Augenwinkeln, dass mir die Sehnerven schmerzten. Als sie mich im Partykeller küsste, wäre ich beinahe in Ohnmacht gefallen. Am nächsten Tag auf der Heimfahrt saßen wir im Bus nebeneinander und knutschten wortlos von Sulden in Südtirol bis München. Ich wagte mich mit der linken Hand in ihre Bluse vor, wogegen sie nichts einzuwenden hatte, aber wie gesagt, als ich mit der Kuppe des linken kleinen Fingers am äußersten Rand ihrer - ich glaube rechten - Brustwarze angekommen war, schien es mir, als hielten mich höhere Wesen zurück. Ich konnte nicht weiter. Nach dem Skilager sah ich Katja nie wieder. Sie schrieb mir Briefe, die ich unbeantwortet ließ. Ich hatte nichts gegen sie, aber mir schien, dass mich das, was sie mit mir vorhatte, in Sphären des menschlichen Lebens führen würde, die zu erkunden ich noch nicht bereit war. Heute könnte ich mir in den Arsch beißen, dass ich ihr nicht dorthin gefolgt bin, denn es war meine bisher einzige Gelegenheit. Jedes Mädchen, das sich seither hochmütig lächelnd von mir abgewendet hat - und das waren bestimmt ein oder zwei - schien mich nicht nur abzuweisen, sondern überdies für meine verpasste Chance zu verhöhnen.

Auszug aus der Erzählung: "Die Kunst, unsichtbar zu sein". Georg M. Oswald lebt in München, er ist Jurist und Autor zahlreicher Erzählbände und Romane.

Rock 'n' Roll

I've thought About the many nights Of rock 'n' roll I've spent In my youth Hardcore - -

My grandma taught me How to rock. She hemmed my pants. She liked Elvis. She liked him so much That she bought me A black leather jacket With zipper and a motorcycle hat Like Marlon Brando's. That really teed Mrs. Taylor off! She kicked me out of first grade. She said I'd be a bad influence On all the other kids.

Ah - I didn't like those snotty-nosed kids anyway They couldn't rock Like grandma.

M.L.Liebler ist Slammaster und Literaturhistoriker in Detroit.

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