Poetry-Slam-Stadtmeisterschaft 2024 im Volkstheater:Die richtige Sprache finden

Lesezeit: 2 Min.

Mit Gefühl zu Sieg: Sina Bahr überzeugt im Volkstheater. (Foto: Robert Haas)

Am Wochenende fand die alljährliche Poetry-Slam-Stadtmeisterschaft im Münchner Volkstheater statt. Neun Poetinnen und Poeten tragen ihre Texte vor, und wer zum Stadtmeister gekürt wird, entscheidet allein das Publikum.

Von Johanna Schmees

Kein Kostüm, keine Requisiten – vom herkömmlichen Theater ist das, was sich am Sonntagabend im größten Saal des Münchner Volkstheaters abspielte, weit entfernt. Denn bei der Poetry-Slam-Stadtmeisterschaft 2024 begeistern die neun talentiertesten Münchner Poetinnen und Poeten den prall gefüllten Zuschauerraum einzig mit der Kraft der Sprache.

Aber was ist eigentlich ein Poetry Slam? Es handelt sich, so erklären es die Moderatoren Ko Bylanzky und Darryl Kiermeier um einen „modernen Literaturwettstreit“, in dem freie, lyrische Texte zur Schau gestellt werden. Ein Wettkampf also, aber es soll respektvoll zugehen. Hier darf das Publikum mit den Füßen auf das Parkett trampeln und jubeln, wenn ein Text besonders imponiert.

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Die Zuschauer sind aber nicht nur für die gute Stimmung hier, sie sind auch fester Bestandteil der Show, und sie bestimmen mit, wie der Abend verläuft. Fünf Jury-Paare aus dem Publikum haben die Aufgabe, nach jedem Slam-Text eine Punktzahl von eins bis zehn zu vergeben. Nach drei Durchgängen mit jeweils drei Texten kommen die Darbietungen mit den meisten Punkten ins Finale. Dann entscheidet sich – wieder allein durch das Publikum – der Meister des Abends.

Nach einer kleinen Slam-Einlage als Vorgeschmack vom deutschen Meister im Poetry-Slam von 2022, Florian Wintels, geht es endlich richtig los. Bylanzky und Kiermeier nehmen auf der roten Couch am Bühnenrand Platz, und Sina Bahr betritt die Bühne. An diesem Abend ist sie die Erste, die das selbst verfasste Wort ergreift. Was sie noch nicht weiß: Sie wird auch den letzten Text des Abends im Finale vortragen. Ihre erste Darbietung erzählt andächtig von Trauer und Mitgefühl und leitet so die turbulente Reise dieses Abends durch die Themenwelten des Poetry-Slams ein. Es wird geschmunzelt, gelacht, wild gestikuliert, ein bisschen geweint und ein bisschen mehr über Präsidenten mit „überfahrenen Frettchen als Toupet“ geschimpft. Politik und süffisante Unternehmensberatung haben hier genauso Platz wie Tagebucheinträge und Anekdoten aus der Schulzeit.

Nach jedem Slam-Text werden aus dem Publikum Punkte vergeben. (Foto: Robert Haas)

Der Abend selbst ist also schon Gewinn genug, für die Poetinnen und Poeten, aber auch für das Publikum. Die Sprecher machen ihre innere Gefühlswelt greifbar und zugänglich, und füllen den Saal mit Anteilnahme, herzlichem Lachen und dem Gefühl, die eigenen Sorgen nicht allein bewältigen zu müssen. Die Autorinnen und Autoren sind also keineswegs ausschließlich wegen des Preises hier. Das ist nicht nur anhand der bewussten Banalität desselben zu erkennen: Eine kleine Stoffbrezel zieren mit beschrifteten Schleifen die Namen der vorangegangenen Gewinner.

Julius Althoetmar hat einen Entschuldigungsbrief über die Faulheit geschrieben und ihn an Christian Lindner adressiert. (Foto: Robert Haas)

Um einen Platz an der Brezel, sozusagen, kämpft neben Sina Bahr im Finale auch Julius Althoetmar mit einem ironischen Entschuldigungsbrief über seine Faulheit – direkt an Christian Lindner. Etwas ernster meint es die dritte Finalistin, Svea Paul. Sie ist nicht einmal 20 Jahre alt, und dennoch gelingt ihr in ihrem Text eine beeindruckende Analogie zwischen der Benutzung eines Stiftes und der Unterdrückung, die Frauen in einer durch männliche Bevormundung geprägten Gesellschaft ertragen müssen. „Du hast mich fest in deiner Hand“, ruft sie mehrfach ins Publikum. Dass schlussendlich Sina Bahr am meisten überzeugt, liegt an ihrer gefühlvollen Art, mit der sie in ihrem finalen Text das Gedenken an einen Verstorbenen thematisiert. Sie lässt das Publikum nachdenklich zurück – und holt sich damit den verdienten Sieg.

Mit der Vergabe des „Pokals“ geht ein langer Abend zu Ende, der inhaltlich nicht vielfältiger sein könnte. Doch eins ist klar: Um einen Text zum Leben zu erwecken, braucht es nicht viel – wenn man nur die eigene Sprache richtig nutzt.

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