Pöbelei in der S-Bahn:Kein Anschluss unter den Notrufnummern

Nach einer Pöbelei in der S2 versuchen Fahrgäste den Notruf zu tätigen - vergeblich. Am Ende müssen sie sich selbst helfen.

Monika Maier-Albang

Es ist ein Szenario, dass man inzwischen leider leidlich kennt: Mann telefoniert laut in der S-Bahn, anderer Fahrgast bittet um Ruhe, Telefonierer rastet aus. So geschehen am vergangenen Donnerstag in einer S2 auf dem Weg nach Dachau. Dank des beherzten Einsatzes der Fahrgäste ist dem Fahrgast am Ende offenbar nichts passiert - doch alle Notrufsysteme haben versagt.

Pöbelei in der S-Bahn: "Ihnen ist schon klar, dass dies eine Notrufnummer ist?" Sandra Breuers Anruf bleibt folgenlos.

"Ihnen ist schon klar, dass dies eine Notrufnummer ist?" Sandra Breuers Anruf bleibt folgenlos.

(Foto: Foto: ddp)

Sandra Breuer (Name geändert) fuhr am Donnerstagabend nach Karlsfeld, als auf Höhe Obermenzing der Streit entbrannte. Ein Fahrgast hatte einen Mann - Breuer schätzt ihn auf Anfang 20 - "höflich gebeten, leiser zu sprechen". Dieser habe daraufhin den dunkelhäutigen Mann angepöbelt. "Und er wollte ihn schlagen", erinnert sich die 25-jährige Karlsfelderin. Andere Fahrgäste gingen dazwischen, während Sandra Breuer zunächst eine Frau beruhigte, "die zitternd neben mir saß". Dann griff sie zum Handy, wählte die Notrufnummer 110. Ein anderer Fahrgast eilte in den vorderen Waggon, um den Lokführer über den Notrufknopf zu verständigen. Was passierte? Nichts.

Sandra Breuer erinnert sich so an den Ablauf ihres Notrufs: Sie schilderte einem Mann die Lage, wurde weitervermittelt, musste alles nochmal erzählen und bekam vom zweiten Mann in etwa zu hören: "Ihnen ist schon klar, dass dies eine Notrufnummer ist?" Diese Bemerkung, sagt Breuer, habe sie so entsetzt, dass sie das Gespräch beendete.

"Bedauerliche Verkettung unglücklicher Umstände"

Bei der Einsatzzentrale der Polizei geht Breuers Anruf um 18 Uhr, 22 Minuten, 28 Sekunden ein. Das Gespräch, so ist im Protokoll vermerkt, dauert 30 Sekunden. Dann leitet der Diensthabende den Anruf weiter an die Notfall-Leitstelle der Bahn. Der Polizist habe sich für dieses Vorgehen entschieden, sagt Polizeisprecher Andreas Ruch, "um auf dem schnellsten Weg zu helfen". Der Zug war kurz vor Karlsfeld, wo die Zuständigkeit der Münchner Polizei endet und die des Präsidiums Oberbayern beginnt. Absprachen hätten möglicherweise Zeit vergeudet. Rascher, habe sich der Mann gedacht, könne die Bahn klären, ob eigene Sicherheitsleute in Reichweite sind.

Auch bei der Bahn ist der weitergeleitete Anruf vermerkt. Allerdings, so erklärt Bahn-Sprecher Franz Lindemair, sei Breuers Anruf nicht bei der Notruf-Leitstelle eingegangen, sondern bei einem "Bahn-Disponenten" - also bei einem Mitarbeiter, der für Störfälle im Bahnbetrieb zuständig sei. Obendrein sei das Gespräch kurze Zeit später "zusammengebrochen", so dass der "Disponent" gar nicht mit der Anruferin habe sprechen können. Der zweite Mann, der Sabine Breuer verärgert hat, bleibt folglich ominös.

Während Breuer sich abmühte, Hilfe zu bekommen, drückte ein anderer Fahrgast den Notrufknopf im Zug. Hier nun, rekonstruiert die Bahn, sei folgende "bedauerliche Verkettung unglücklicher Umstände" passiert. Der Lokführer sah das Lämpchen, das auf einen "Sprechwunsch des Fahrgastes" hinweist. Er hörte eine männliche Stimme, doch just in diesem Moment piepste sein Betriebstelefon. Der Vorschrift entsprechend habe er sich zuerst um dieses Gespräch gekümmert. Als er sich später wieder dem Notrufknopf zuwendete, habe er niemanden mehr erreicht und beim Blick durch die getönte Glaswand habe auch alles ruhig gewirkt.

Der wegen seiner Bitte, doch leiser zu telefonieren, angepöbelte Fahrgast indes hatte Glück, dass in der Bahn Menschen saßen, die reagierten, statt auf Hilfe von außen zu warten. Einige Fahrgäste setzten sich zu ihm. Sandra Breuer stieg in Karlsfeld aus. Wie es weiterging, weiß Breuer nicht. Sie habe sich, sagt sie, "hilflos und verloren" gefühlt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: