Süddeutsche Zeitung

Platz der Opfer des Nationalsozialismus:Schwierige Erinnerung

Ein Parkplatz und zu viel Verkehr: Der Platz der Opfer des Nationalsozialismus in München war lange umstritten. Jetzt hat ihn die Stadt für fast vier Millionen Euro umgestaltet. Es ist nicht das erste Mal, dass München nachbessert, wenn es um die richtige Form des Gedenkens geht.

Von Jakob Wetzel

Die Idee war eigentlich gut: eine Tag und Nacht brennende Flamme, die aus einem bronzenen Kerker hervorleuchtet, ein Symbol für die Hoffnung, die weiterlebt, auch wenn sie unterdrückt wird. Das Denkmal steht auf dem Münchner Platz der Opfer des Nationalsozialismus; geschaffen hat es der Bildhauer Andreas Sobeck im Jahr 1985. Er wollte dem Platz mehr Aufmerksamkeit verschaffen, immerhin ist er ein zentraler Gedenkort der Stadt. Doch diesem Anspruch ist er bis jetzt nie gerecht geworden, auch mit der Flamme nicht.

Der Platz, früher ein Rondell zwischen Brienner Straße und Maximiliansplatz, lag bald an einer Sackgasse, die als Parkplatz und Taxi-Stellfläche genutzt wurde. Auf der anderen Seite rauschten Autos vorbei, doch den Fahrern fiel die Flamme kaum auf, auch den Fußgängern nicht, denn die Säule lag abseits der Sichtachse der Brienner Straße. Selbst im Adressbuch ist der Platz schwer zu finden: Die angrenzenden Häuser tragen die Anschrift "Maximiliansplatz" oder "Brienner Straße".

Die Adressen sind geblieben. Sonst aber hat sich einiges verändert. Seit 2012 hat die Stadt den Platz für 3,9 Millionen Euro umgestalten lassen. Er wurde ergänzt: Eine 18,5 Meter lange und 1,3 Meter hohe Bronzetafel erinnert nun an einzelne Opfergruppen, ein Bronzeband im Boden weist auf den Standort der früheren Gestapo-Zentrale und auf das künftige NS-Dokumentationszentrum hin. Vor allem aber ist der Platz ein würdigerer Ort geworden, um an die Opfer der Nationalsozialisten zu erinnern.

Bäume schirmen ihn vom Verkehr ab, der Parkplatz wurde zumindest verkleinert, die flammende Säule ist ins Zentrum gerückt - und erstmals seit 1946, als er in "Platz der Opfer des Nationalsozialismus" umbenannt wurde, lädt der Platz dazu ein, sich zu setzen, zu bleiben und sich mit der Geschichte zu beschäftigen. An diesem Montag um 13 Uhr legt Oberbürgermeister Christian Ude einen Kranz am neu gestalteten Platz nieder. Danach wird die Flamme in der Granitsäule neu entzündet. Der Umbau ist damit offiziell beendet. Es ist der Abschluss einer Gedenk-Korrektur.

Geschichtsklitterung erhielt ein Korrektiv

Es ist nicht das erste Mal, dass die Stadt nachbessert, wenn es um die richtige Form des Gedenkens geht. Sei es, dass Straßen umbenannt werden wie im Mai 2010 die ehemalige Meiserstraße in "Katharina-von-Bora-Straße", weil der frühere Namensgeber, der evangelische Landesbischof Hans Meiser, wegen antisemitischer Äußerungen als nicht mehr tragbar galt.

Sei es, dass der Obelisk am Karolinenplatz 2013 eine zusätzliche, wenn auch nur temporäre Hinweistafel erhielt, um eine irreführende Inschrift ins rechte Licht zu rücken. König Ludwig I. von Bayern hatte die Geschichte im Jahr 1833 so darstellen lassen, als wären 30 000 Bayern in Russland im Kampf um die bayerische Freiheit gestorben. Tatsächlich starben sie im Angriffskrieg Napoleons. Die königliche Geschichtsklitterung erhielt ein Korrektiv.

Auch heute noch ist Gedenken vor allem eins: politisch. Um umstrittene Denkmäler entspinnen sich heftige, emotional geführte Debatten, zuletzt um das Denkmal für Münchner "Trümmerfrauen" auf dem Marstallplatz, das ein Verein aufgestellt hat - gegen den Widerstand der Mehrheit im Stadtrat und von Historikern, die bemängelten, Kriegsschutt sei in München vornehmlich von gefangenen Nationalsozialisten und von Profis geräumt worden.

Aber auch wenn der Verdienst der Geehrten unstrittig ist, kommt es immer wieder zum Streit. Der Stadtrat hat 2002 und 2004 beschlossen, künftig nur noch in Ausnahmefällen Gedenktafeln aufzuhängen oder Denkmäler zu errichten und historische Themen stattdessen vorrangig in kleinen Büchern, den vom Kulturreferat herausgegebenen Kultur- und Themengeschichtspfaden zu behandeln. So könnten Zusammenhänge besser vermittelt werden, heißt es im Kulturreferat.

Außerdem legt die Stadt Wert auf zentrale Gedenkorte anstelle von vielen, über das Stadtgebiet verteilten Denkmälern. Auch deshalb, weil sich ein einmal gesetztes Denkmal nur schwer wieder entfernen lässt. "Das traut man sich in der Regel nicht", heißt es dazu aus dem Kulturreferat.

Bei Bezirksausschüssen und Privatleuten, die sich für mehr sichtbares Gedenken in der Stadt einsetzen, stößt diese Haltung dennoch oft auf Unverständnis. In der Orleansstraße etwa kämpften Stadtteilpolitiker und ein Politikwissenschaftler zehn Jahre lang für eine Gedenktafel für die Widerstandsgruppe "Weiße Rose". Die Stadt verwies auf andere Gedenkorte in der Stadt und auf das künftige NS-Dokumentationszentrum. Beide Seiten blieben hart, doch seit Juli 2013 ist der Streit beigelegt: Die Tafel hängt seitdem auf Privatgrund.

Ungelöst dagegen ist ein Konflikt zwischen der Stadt und dem Bezirksausschuss der Schwanthalerhöhe: Die Stadtteilpolitiker möchten am Sinti-Roma-Platz ein Denkmal für die von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma aufstellen. Nach einer ersten Abfuhr durch die Stadt im Jahr 2005 ließen sie zwei Jahre später eine Künstlerin 16 Stelen errichten, nur vorübergehend und von der Stadt geduldet. Doch seitdem diese wieder abgebaut worden sind, fordert der Bezirksausschuss wieder ein dauerhaftes Denkmal. Die Stadt dagegen verweist auf den zentralen Gedenkort: den Platz der Opfer des Nationalsozialismus.

Streit um "Stolpersteine"

Eine Ausnahme dagegen machte die Stadt für die von der Terrorgruppe NSU ermordeten Münchner: Hier beschloss der Stadtrat, an den Münchner Tatorten in der Bad-Schachener- und in der Trappentreustraße jeweils eine Gedenktafel aufzuhängen. Ähnliche Tafeln hängen in den sechs anderen Städten, in denen die Rechtsradikalen gemordet hatten.

Ganz andere Gründe stehen hinter dem Streit um "Stolpersteine": Der Künstler Gunter Demnig erinnert mit golden schimmernden Pflastersteinen an Opfer der Nationalsozialisten. Die Stadt aber teilt die Bedenken von Charlotte Knobloch, der Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde: Sie fürchtet, dass mit den Steinen die Ermordeten erneut mit Füßen getreten würden. Im September 2014 will sich der Stadtrat erneut mit dem Thema befassen.

Auch der Platz der Opfer des Nationalsozialismus war lange umstritten: Den einen strahlte er zu wenig Würde aus, die anderen aber empfanden ihn überhaupt als Zumutung. Als er 1946 den heutigen Namen erhielt, waren viele Anwohner empört. Und noch 1985, als die Säule mit der Ewigen Flamme eingeweiht wurde, reagierte der Stadtrat eigenwillig: Drei Wochen nach der Einweihung hieß es, die sogenannte Ewige Flamme solle nur an besonderen Gedenktagen und nachts brennen, um Kosten zu sparen. Die Einschränkung wurde im November 1986 wieder aufgehoben.

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Quelle:
SZ vom 27.01.2014
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