Süddeutsche Zeitung

Verzicht auf Kunststoff:"Bitte kein Lego schenken!"

Anneliese Bunk und ihre Familie versuchen, so weit wie möglich ohne Plastik zu leben. Beim Einkauf gibt es viel zu beachten. Aber allzu dogmatisch soll es auch nicht zugehen.

Von Lea Weinmann, Haidhausen

Es hat einfach Klick gemacht. Anneliese Bunk sieht den Dokumentarfilm "Plastic Planet" vor fünf Jahren zum ersten Mal. 90 Minuten lang macht der Film deutlich, wie viele Facetten der Plastikkonsum hat und wie viele Folgen - für unsere Umwelt und unsere Gesundheit. Anneliese Bunk ist schockiert: Wenn es jeder weiß, warum tut dann keiner was? "Nach der Stein-, Bronze- und Eisenzeit beginnt jetzt die Plastikzeit", lautet der erste Satz des Films, der ihr Leben und das ihrer Familie grundlegend umkrempelt. Sie beschließt, ihre Plastikzeit zu beenden. Von einem Tag zum anderen wird die Familie Bunk zu Plastik-Aussteigern.

Was im Kopf schnell beschlossen ist, lässt sich in der Realität nicht sofort umsetzen. Bunk schaut sich in ihrer Wohnung um. Sie ist ein Bauchmensch, impulsiv und spontan, aber sie überlässt auch nichts dem Zufall. Schritt für Schritt soll die Plastikvermeidung laufen, angefangen bei dem Produkt mit dem schlechtesten Verhältnis von Inhalt und Verpackung. Flüssigwaschmittel ist der erste ausgemachte Teufel, ein "Umwelt-Supergau", also weg damit, von nun an wird es selbstgemacht: Ein paar Flocken Olivenseife, warmes Wasser, etwas Waschsoda. Fertig. Genauso der Badreiniger, der schneller zusammengemischt ist, als der neue eingekauft - "das haben wir getestet!"

Die Planerin in Anneliese Bunk probiert alles aus, vergleicht Preise, Zeiten und Rezepte, bilanziert Kosten. Ihr Mann hofft zu Beginn, es sei "nur so eine Phase", wie sie Frauen nun einmal immer wieder hätten. Sie ist zu dem Zeitpunkt Geschäftsführerin einer Münchner Werbeagentur, beschäftigt eine Festangestellte und zwölf freie Mitarbeiter. Sie arbeitet sehr viel, daneben die Familie mit den beiden Jungs, heute neun und elf Jahre alt. Schon damals glaubt sie, nachhaltig einzukaufen, viel Bio landet im Einkaufswagen, aber eben auch viel Plastik. 2014 hängt die gelernte Grafikdesignerin ihren Job zusammen mit dem Plastik einfach an den Nagel - wieder eine Bauchentscheidung.

Plastikvermeidung wird zu ihrer Lebensaufgabe. Nach kurzer Zeit will sie auch die Plastiktüten an Obst- und Gemüsetheken einsparen: "Allein die Obst- und Gemüseverpackungen füllen jährlich 61 000 Müllfahrzeuge in Deutschland". Sie näht sich kleine Stoffbeutel mit Gummizug, die sie mit zum Einkaufen nimmt. Es dauert nicht lange, da sprechen die Verkäufer sie darauf an, wollen ihr die Taschen abkaufen. Sie startet eine Crowdfunding-Kampagne, um Produkttests zu finanzieren. Als Dankeschön will sie den Spendern ein Booklet mit 50 Tipps zum Plastiksparen schenken. Beim Sammeln "wurden es immer mehr Tipps". Mit Unterstützung einer befreundeten Journalistin bringt sie 2016 gleich ein ganzes Buch heraus, das es in die Spiegel-Bestsellerliste schafft.

Ihre Stoffbeutel werden mittlerweile in einer Näherei mit acht Angestellten produziert. Parallel erhält Anneliese Bunk "täglich" Einladungen zu Vorträgen in ganz Deutschland: Berlin, Frankfurt, Hamburg, Stuttgart - aus ihrem spontanen Sinneswandel ist ein neuer Vollzeitjob geworden. Richtig gut fühlt sie sich dabei noch nicht, die ganze Reiserei sei "auch nicht nachhaltig" und damit ein Widerspruch zu ihrer Intention. Ihr schwebt vor, stattdessen die konsumbewussten Menschen in Deutschland besser zu vernetzen, Teamwork statt One-Woman-Show.

Plastik muss man in der Wohnung von Familie Bunk heute, knapp fünf Jahre nach dem Wandel, aktiv suchen. Ein Blick ins Badezimmer: die Seife am Stück ("Kein Mensch braucht Duschgel!"), selbst angerührte Cremes, handtellergroße, feste Stücke Shampoo, auch Deo und Haarwachs sind selbstgemacht. Bunk redet von Natron, Maisstärke, Sheabutter und Ölen, die sie zur Herstellung benutzt hat - alles lebensmitteltaugliche Zutaten.

Im Kühlschrank, zwischen einer Unmenge an Einmachgläsern und Stoffbeuteln, findet er sich doch noch, der Übeltäter Plastik, in Form einer Packung Cheddarkäse. "Mein Mann ist Engländer", lacht sie. "Er kann nicht ohne seinen Cheddar." Der eingeflogene Käse aus England - für die Münchnerin eine "Katastrophe" - gehört zu den ganz wenigen Ausnahmen im Hause Bunk.

Anneliese Bunk hält nichts von Plastikverboten im Haus, die "gab es nie und wird es nie geben". Ihre Familie hat sie mehr oder weniger freiwillig zu Plastikvermeidern gemacht, ihr Mann war lange skeptisch, die beiden Kinder haben es relativ schnell akzeptiert. Mittlerweile, so erzählt es die Mutter, lehnen die Jungs Gummibärchen, Traubenzucker und Taschentücher in der Apotheke ab, der Satz "Eine Cola ohne Strohhalm, bitte" ist im Restaurant zum Automatismus geworden. Verzicht spüren die Kinder nicht, meint ihre Mutter, obwohl sie sehr wohl auf vieles verzichten, um Plastik zu umgehen. Auf Chips beispielsweise, und auch Schokolade ohne Plastik ist selten. Dafür mampft der neunjährige Noah gerade selbstgebackenen Kuchen, als seine Mutter einkaufen geht. Wenn sie fährt, dann mit dem Fahrrad.

Der Bio-Markt ist zwei Straßen weiter. Anneliese Bunk packt Paprika, Kohlrabi, Bananen, Birnen und Gurken in den Korb und geht schnurstracks vorbei an den Plastikpackungen mit Müsli, Tofu und Frischkäse. An der Frischetheke legt die Verkäuferin Oliven, Salami und Schafskäse auf einem Hygienetablett in die mitgebrachte Metallbox.

Ein Schild auf der Theke weist Kunden darauf hin, wie sie hier ganz ohne Plastik einkaufen können. Trotzdem machen das nur wenige, "vielleicht einer am Tag", meint die Verkäuferin. Nicht in allen Geschäften ist es so einfach. Ein Käseladen um die Ecke hat sich vier Jahre lang geweigert, den Käse in ihre Box zu füllen, erzählt Bunk. "Ich war bestimmt 25 Mal dort und habe immer wieder diskutiert. Dann haben sie es gemacht." Was andere penetrant nennen würden, sieht sie als neuen, kleinen Erfolg und lacht wieder. Mit einem Lachen beendet sie generell fast jeden Satz.

Im Bio-Markt bezahlt sie am Ende mehr als 45 Euro. Natürlich sei es dort teurer, meint sie, aber man müsse auch die bessere Qualität miteinrechnen. Hinzu kommt: Vieles stellt sie selbst her, das spart wieder Geld. Den Supermarkt sieht sie "höchstens dreimal im Jahr" von innen, um Artikel wie Klopapier in großen Vorratsmengen zu kaufen. Insgesamt - "wir haben das mal ausgerechnet" - seien ihre Lebenshaltungskosten nicht merklich gestiegen.

Immer und überall kann aber sogar Anneliese Bunk nicht auf Plastik verzichten. Wenn der Wasserkocher oder der Staubsauger kaputt geht, gibt es keine komplett plastikfreie Alternative. Den sauren Apfel, in den sie dann beißt, macht sie etwas süßer, indem sie oft auf gebrauchte Gegenstände zurückgreift. Alles andere wird benutzt, "bis es auseinanderfällt." Es ist auch gar nicht ihr Ziel, überhaupt kein Plastik zu benutzen, sondern "so wenig wie möglich neues Plastik zu verbrauchen".

Mittlerweile geht die Familie noch einen Schritt weiter und versucht, auch das Plastik "hinter der Bedientheke" zu vermeiden. Tomaten kaufen sie nur aus deutschem Anbau und im Winter gar nicht, weil beispielsweise spanische Tomaten in Gewächshäusern aus Plastikplanen angebaut werden. Auch Gurken und regionales Obst gibt es nur im Sommer. Anneliese Bunk ist ein großer Fan von asiatischem Essen, "aber jetzt muss ich eben warten, bis der Thai-Basilikum auf dem Balkon blüht". Dadurch genieße man das Essen viel bewusster. Bewusstsein, dieses Wort benutzt sie sehr oft.

Es scheint, als hätte sich das Bewusste vom Einkauf, auf das Essen und ein bisschen auf ihr Leben übertragen. Extreme Lebensformen und Zwang sind nicht ihr Stil. Sie spricht auch nicht von "plastikfreiem", sondern von "plastikreduziertem" Leben. Sie rennt nicht mit erhobenem Zeigefinger durch die Welt. "Bringt auch nichts", sagt sie, "das muss von innen kommen." Die Bunks sind Plastik-Aussteiger und eine Familie wie jede andere auch. Anderen fällt ihr Lebensstil gar nicht auf, außer, einer der Jungs, "der Große", schreibt wie kürzlich Einladungskarten zu seinem Geburtstag. Darauf stand: "Bitte kein Lego schenken!"

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Quelle:
SZ vom 07.09.2018/bhi
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