Planegg:Boomende Branche

So manches Start-up im Martinsrieder Innovations- und Gründerzentrum IZB ist schon von Großkonzernen übernommen worden. Das Wachstum dort scheint kaum Grenzen zu kennen - die verfügbaren Flächen allerdings schon

Von Rainer Rutz, Planegg

3,75 Milliarden Euro an Finanzierungen und Deals innerhalb von knapp zweieinhalb Jahren - mit dieser beeindruckenden Zahl wartet der Geschäftsführer des Innovations- und Gründerzentrums für Biotechnologie (IZB) auf dem Campus in Martinsried, Peter Hanns Zobel, auf, wenn es darum geht, den Zustand der rund 60 dort angesiedelten Start-ups zu beschreiben. Zobel, seit 25 Jahren Chef des IZB Martinsried mit Dependance in Freising-Weihenstephan, lässt keinen Zweifel daran, dass man sich inmitten eines Booms befindet. "Wenn man mir vor 20 Jahren eine derartige Entwicklung prognostiziert hätte, hätte ich nur müde gelächelt", sagt Zobel: "Heute weiß ich, dass die Grenzen des Wachstums noch nicht erreicht sind. Es gibt unendliche Möglichkeiten für Start-ups. Und vor großen Zahlen habe ich keine Angst."

Planegg: Beengt geht es zu im Martinsrieder IZB mit seinem weithin sichtbaren Hotelturm.

Beengt geht es zu im Martinsrieder IZB mit seinem weithin sichtbaren Hotelturm.

(Foto: Robert Haas)

Die großen Zahlen sind in Martinsried schon zur Gewohnheit geworden. Einige Beispiele: Ende Juni wurde das zu einem US-Konzern gehörende Unternehmen Exosome Diagnostics für bis zu 575 Millionen Dollar an den Life-Science-Riesen Bio-Techne verkauft. Exosome ist führend bei der Entwicklung und Durchführung von molekulardiagnostischen Tests für schwere Erkrankungen, will heißen: Patienten müssen sich keinen belastenden Eingriffen mehr unterziehen, die Diagnose kann per einfachen Bluttest oder über die Analyse anderer Körperflüssigkeiten gestellt werden. Exosome wolle in Martinsried bleiben, wie Vize-Präsident Mikkel Noerholm betont. Er weiß um die Standortvorteile: In unmittelbarer Nähe befinden sich drei Max-Planck-Institute, Fakultäten der Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU) für Medizin, Pharmazie, Biologie, Chemie, das Klinikum Großhadern und etliche medizinische High-Tech Einrichtungen.

Peter Zobel im Innovations- und Gründerzentrum Biotechnologie (IZB) in Martinsried, 2015

Geschäftsführer Peter Hanns Zobel hätte gern mehr Platz für neue Firmen.

(Foto: Catherina Hess)

Ein zweites Beispiel für die Geldmengen, die in den Gründerzentren umgewälzt werden: Die Firma Rigontec, ein alter Bekannter im IZB und ein führender Entwickler für Medikamente in der Krebsimmuntherapie, ging vor einigen Wochen für 464 Millionen Euro an den US-Riesen MSD/Merck - ein weiterer Beweis für die zukunftsträchtige Arbeit, die in Martinsried geleistet wird. Ein drittes Beispiel, das zur Zeit in der Branche Furore macht und zeigt, dass es in Martinsried nicht nur um die Erforschung wichtiger Medikamente geht: Amsilk, innovativer Hersteller synthetischer Seiden-Biopolymere, hat soeben einen Kooperationsvertrag mit dem Flugzeugbauer Airbus abgeschlossen. Der weltweit gefragte Flugzeugbauer will zusammen mit den Martinsriedern die nächste Generation von Verbundmaterialien für Leichtbau- und Hochleistungsjets entwickeln. Genutzt wird dafür die von Amsilk entwickelte Biosteel-Faser, die im Vergleich zu herkömmlichen Fasern erheblich mehr Flexibilität ermöglicht. Das Unternehmen 4 SC schließlich, längst kein Start-up mehr, sondern an der Börse notiert, entwickelt seit Jahren mit dem Wirkstoff Resminostat ein Therapeutikum für fortgeschrittenen Leberkrebs und andere Krebsarten. Für das Mittel wartet man auf eine Freigabe durch die Gesundheitsbehörden - auch dies könnte möglicherweise ein großes Geschäft werden.

Max-Planck-Gelände am IZB Residence in Planegg, 2016

Etliche Flächen gehören zum Trenngrün zwischen der Landeshauptstadt München und dem Umland (im Bildhintergrund das Universitätsklinikum München-Großhadern).

(Foto: Catherina Hess)

Zwei weitere ehemalige Martinsrieder Start-ups sind längst auf dem internationalen Markt per Börsenorientierung eine Größe: Morphosys und Medigene. Und auch dort wird ergebnisorientiert gearbeitet: Mittlerweile gibt es in Martinsried entwickelte Medikamente gegen Krankheiten wie die gefährlichen, weil kanzerogenen Genitalwarzen oder auch ein neues, von Morphosys entwickeltes Mittel gegen die weit verbreitete Schuppenflechte. Etliche Medikamente sind in der "Pipeline", wie es bei den Wissenschaftlern heißt, und haben Testphasen bereits hinter sich. Dabei muss man wissen: Die Entwicklung eines solchen Medikaments kostet nicht nur in der Regel weit mehr als eine Milliarde Euro - sie zieht sich auch mitunter über mehr als zehn Jahre bis zur Freigabe hin.

Die Grenzen des Wachstums sind einerseits noch lange nicht erreicht in Martinsried. Andererseits kann das IZB derzeit keinen Platz mehr anbieten, alle Flächen sind vermietet. Wenn ein Unternehmen geht, etwa weil es verkauft wird, steht das nächste schon bereit. Geschäftsführer Zobel wünscht sich mehr Flächen, doch die vorhandenen sind noch nicht freigegeben: Die Grundstückseigentümer - meist der Freistaat und die Landeshauptstadt München - haben da ein gehöriges Wörtchen mitzureden. Eine klare Linie ist aus Sicht der Nutzer jedenfalls nicht zu erkennen - vielleicht auch deswegen, weil etliche Flächen zum Trenngrün zwischen der Landeshauptstadt München und dem Umland gehören. Und das greift man naturgemäß nicht so gerne an.

Bei der Gemeinde Planegg, die jedes neu geplante Bauwerk genehmigen müsste, sieht man den Martinsrieder Boom weitgehend positiv. Nicht nur weil das Image des Standorts ständig wächst, sondern auch, wie Bürgermeister Heinrich Hofmann (SPD) und seine Wirtschaftsreferentin Bärbel Zeller betonen, weil die Life-Science-Unternehmen mittlerweile zu einem festen und nicht zu unterschätzenden Faktor für die Gemeindekasse geworden sind: Etwa ein Drittel des Gewerbesteuereinkommens stammt aus der Wissenschaft. Ob es noch weitere Flächen für die Biotechnologie geben wird, hängt auch vom neuen Flächennutzungsplan für die Gemeinde ab, der gerade heiß diskutiert wird. "Forschungsnahe Unternehmen", sagt Hofmann, könnten durchaus noch Platz finden, etwa beim Obi. Die Gemeinde will im übrigen neue Parkdecks rechts von der LMU anregen - ein Beleg dafür, dass die Expansion längst nicht abgeschlossen ist. Das "Sondergebiet Life Sciences", wie die Vorbehaltsfläche Wissenschaft demnächst offiziell heißen soll, dürfte also weiter wachsen.

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