Placebo in München:Ordinär-konservativ statt Rock 'n' Schwul

Placebo in München: Lead-Sänger Brian Molko von Placebo, hier während eines Konzerts in Beirut im Jahr 2010

Lead-Sänger Brian Molko von Placebo, hier während eines Konzerts in Beirut im Jahr 2010

(Foto: AFP)

Brian Molko ist als nihilistisches Zwitterwesen berühmt geworden, er sang von Drogen, schnellem Sex und der Nichtigkeit des Seins. Jetzt ist der Placebo-Frontmann 40, Vater und ein routinierter Star. Beim Auftritt in München wird deutlich, dass sich die Gefühle von damals nicht einfach zurückholen lassen.

Von Sebastian Gierke

Beim 8. Song, beim 13. und beim 18., da wird das Publikum überdeutlich daran erinnert: Ihr seid da unten, wir hier oben - und jeder bleibt bitteschön, wo er ist. Die vierte Wand wird hier sichtbar, in Form eines transparenten Vorhanges, heruntergelassen von der Hallendecke. Für ein paar Songs spielen Placebo hinter diesem kunstvoll illuminierten Schleier. Es sieht dann ein bisschen so aus, als stünde die Band in einem Aquarium, abgeschnitten von der Außenwelt, und die Schatten auf dem Vorhang streichen die Musiker durch.

Den Vorhang hätte es indes gar nicht gebraucht. Ihr da unten, wir hier oben, das ist die von der Band vorgegebene Ordnung. Das gesamte Konzert über versucht Frontmann Brian Molko nicht, eine Verbindung zu den 7500 Fans in der gut gefüllten Münchner Olympiahalle zu schaffen. Placebo, das ist keine Identifikationsmaschine mehr. Danke dafür!

Zu ihren großen Zeiten, Ende 1990er, als Molko und seine Jungs mit Rock'n'Schwul, den Alben "Black Market Music" und "Without You I'm Nothing" berühmt wurden, war das anders. Damals gab es kaum eine Band, die dem Gefühl der Verlorenheit Tausender junger Menschen mit ihren Armytaschen voller Träume eine schönere, auch massentauglichere Tonspur verpasste. Brian Molko inszenierte sich als nihilistisches Zwitterwesen, sang von Drogen und schnellem Sex, von der Nichtigkeit allen Seins. Das Spiel mit den Geschlechterrollen war aufwühlend und aufregend.

Doch schon wenige Jahre später, Molko war Mitte 30, passte das nicht mehr. Die Kluft zwischen Künstler und Publikum war zu groß geworden. Außerdem steht heute jedem eine Fülle von inneren Rollenmustern zu Verfügung, Und die kann man wechseln wie Kleidung, die Auflösung von Geschlechteridentitäten ist nichts Besonderes mehr.

Placebo waren schlau genug, das zu erkennen und nicht einfach weiter zu machen wie bisher. Deshalb ist Molko auf der Bühne heute kaum mehr geschminkt, er trägt schlichte schwarze Klamotten. Er ist 40 Jahre alt und Vater geworden. Teenage Angst kann er, das weiß er, nicht mehr überzeugend inszenieren. Viele Songs des aktuellen Albums klingen sogar fast weltzugewand, freundlich, als hätte Molko tatsächlich ein bisschen Frieden gefunden.

Die Gefühle von damals lassen sich nicht zurückholen

Auch auf der Bühne gibt er nicht mehr den Schmerzensmann. Wo er sich früher exponiert, das Androgyne, das Körperliche sichtbar und beobachtbar gemacht hat, sich geöffnet, entblößt hat, auf faszinierende, fast grausame Art und Weise, zieht er sich heute auf seine Rolle als Frontmann einer leidlich erfolgreichen Band zurück. Leicht gebeugt steht er auf der linken Seite der Bühne, beschränkt die Interaktion mit dem Publikum auf einige routiniert-herausfordernde Blicke. Er arbeitet an seiner Rolle als Star. Er ist das große Ganze.

Das ist auch die einzige Möglichkeit für Placebo - wenn sie sich schon partout nicht auflösen wollen -, ein solches Konzert heute noch zu spielen ohne zur Parodie ihrer selbst zu werden. Die Londoner müssen diese seltsame, immer spürbare Distanz aufbauen. Zum Publikum, aber auch zu ihrer Musik.

Grade bei einigen der schwächeren neuen Songs geht von der Band dann etwas schon fast ordinär Konservatives aus. Die erste Zeile der Single "Too many Friends", einer Abrechnung mit sozialen Netzwerken, lautet: "My Computer thinks I'm gay / I threw that piece of junk away / On the Champs-Élysées / This is my last communiqué / down the super highway". Peinlicheres hat Molko nie gereimt.

Placebo spielen Blockbuster-Rock, laut und breitbeinig, darüber aber das markante, kühle Falsett Molkos, schnarrend, näselnd - immer noch großartig. Placebo machen in München nichts wirklich falsch, entgehen so der Peinlichkeit, aber nicht der Langeweile.

Die Fans, darunter wenige Teenager, denn die meisten sind mit der Band gealtert, spenden herzlichen, aber kaum enthusiastischen Applaus. Es wird nichts mit dem von vielen erhofften Nostalgie-Trip. Die Gefühle von damals lassen sich so nicht zurückholen. Auch nicht für einen Abend. Der Vorhang fällt.

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