Süddeutsche Zeitung

Verkehrspolitik:Was eine City-Maut für München bewirken könnte

  • Forscher der Bundeswehr-Uni empfehlen Gebühren wie in London oder Singapur, um Staus und Schadstoffe in den Griff zu bekommen.
  • Sensoren sollen in den Straßen die Verkehrsbelastung messen. Ist viel los, steigt der Preis. Ist weniger los, wird es billiger oder kostet gar nichts.
  • Der Stadt würde das auch viel Geld bringen, doch das schwarz-rote Bündnis im Rathaus winkt ab.

Von Marco Völklein

Kann eine City-Maut helfen, den Autoverkehr in München flüssiger und umweltverträglicher zu gestalten? Richtet man diese Frage an Klaus Bogenberger und Benedikt Bracher, antworten die Forscher von der Bundeswehr-Universität in Neubiberg klar mit "Ja". Einzige Voraussetzung laut Bogenberger: "Man muss sie intelligent machen." Und genau das schlagen die beiden Verkehrswissenschaftler vor: Eine City-Maut für das Gebiet innerhalb des Mittleren Rings, deren Höhe jeweils davon abhängt, wie viel gerade los ist auf den Straßen. Drängen viele Autos in die Stadt, wird es teurer; ist so viel Platz, dass der Verkehr rollt, wird nur ein geringer Betrag fällig oder gar nichts.

Vor knapp drei Jahren begann Bracher damit, für seine Doktorarbeit ein Simulationsprogramm zu entwickeln, das die Chancen und Risiken einer City-Maut am Beispiel der Landeshauptstadt aufzeigt. Aus Daten des städtischen Planungsreferats schrieb er zunächst ein Programm, das den Auto- und Lkw-Verkehr im Münchner Straßennetz an einem durchschnittlichen Tag abbildet. Viele kleine Autos kurven da auf Brachers Bildschirm herum. An Kreuzungen bilden sich mal kürzere, mal längere Staus. Springt die Ampel auf grün, löst sich der Stau auf - mal schneller, mal langsamer.

Was auf den ersten Blick wie ein Computerspiel wirkt, ist der Kern von Brachers Forschung. Er hat auch eine Art Kurve entwickelt. Die zeigt an, bis zu welchem Punkt der Verkehr noch fließt - und ab wann so viel los ist, dass die Autofahrer mit Behinderungen, stockendem Verkehr oder großflächigen Staus ausgebremst werden. In diversen Szenarien hat Bracher nun durchgespielt, wie sich verschiedene Maut-Arten und -Tarife auswirken könnten. Wie viel die Stadt also verlangen müsste, wenn sich die Kapazität auf den Straßen dem Punkt nähert, an dem es eng zu werden droht.

City-Maut ist dabei nicht gleich City-Maut, betont Bogenberger, Professor für Verkehrstechnik an der Bundeswehr-Uni und Brachers Doktorvater. Denn es gibt verschiedene Arten der Mautberechnung. Man kann Tagespauschalen verlangen oder die Tarife je nach Tageszeit staffeln. Die Abgabe lässt sich auch nach der Zahl der gefahrenen Kilometern abrechnen (wie beispielsweise bei der Lkw-Maut) oder nach der zeitlichen Dauer der Fahrt.

Singapur: Zahlen mit Prepaid-Karte

Der Pionier der City-Maut ist Singapur gewesen. Um die Staus in den Straßen zu bekämpfen und den Verkehr in Stoßzeiten besser zu steuern, wurde die Straßenbenutzungsgebühr dort 1975 eingeführt. Mittlerweile variieren die Preise je nach Ort und Zeit. Seit 1998 wird elektronisch abgerechnet über eine Box im Fahrzeug, die die Gebühren von einer Prepaid-Karte automatisch abbucht. Zur Gesamtstrategie der Stadtspitze gehört es auch, den öffentlichen Nahverkehr zu verbessern. Ein ehemaliger Transportminister sagte dazu: "Privates Autofahren kann nicht die Mobilitätslösung für Städte im 21. Jahrhundert sein." PERR

Auch könnte die Stadt nur diejenigen Autofahrer zur Kasse bitten, die aus dem Umland kommend den Mittleren Ring queren und weiter in die Innenstadt fahren. Bei einer solchen "Cordonmaut", so der Fachbegriff, würden all jene, die innerhalb des Rings losfahren, nicht von der Maut erfasst. Doch Brachers Simulation zeigt, dass sich per Cordonmaut der Verkehrsfluss insgesamt kaum verbessern lässt - unter anderem, weil sich dann auf dem Mittleren Ring lange Staus bilden.

Besser sähe es bei der "Gebietsmaut" aus, bei der nicht nur die Fahrten von außerhalb in die Maut-Zone hinein bezahlt werden, sondern auch die innerhalb des Mittleren Rings. Hier zeigt sich, dass der Verkehr deutlich besser fließen würde - einfach weil weniger Autos unterwegs wären, weil die Kosten viele Autofahrer abschrecken würden, sagen Bracher und Bogenberger. Insbesondere Autofahrer aus dem Münchner Umland würden bei einer solchen Gebietsmaut, das zeigt die Simulation, die Fahrt in die Stadt meiden. Bracher hat mehrere Varianten durchgespielt, bei denen zum Beispiel konstante Preise - eine Art "Flatrate" - von zwei, drei oder vier Euro pro Tag zugrunde gelegt wurden. Profitieren würde dabei auch die Stadt: Hochgerechnet auf ein Jahr könnten solche Mautmodelle bis zu 370 Millionen Euro in die Kasse spülen.

Doch Bogenberger und Bracher finden: Eine solche Abgabe würde "Akzeptanzprobleme" mit sich bringen; Autofahrer würden protestieren. Deshalb schlagen sie eine dritte Variante vor, bei der die Preise nicht starr sind, sondern ständig im Fluss. Sensoren messen in den Straßen die Verkehrsbelastung. Ist viel los, steigt der Preis; ist weniger los, wird es billiger oder kostet gar nichts. Laut Brachers Simulation würde bei einer solchen Lösung eine Maut von 0,30 bis 0,50 Euro je Kilometer innerhalb der Maut-Zone fällig - aber nur zu den Hauptverkehrszeiten am Morgen und am Nachmittag; kurzzeitig seien sogar mal 1,25 Euro je Kilometer nötig, etwa dann, wenn besonders viel los ist. Zu den anderen Tages- und Nachtzeiten wäre die Straßenbenutzung weiterhin kostenlos.

Weil sich viele Autofahrer nach einer gewissen Zeit anpassen würden - also zum Beispiel zu einem anderen, günstigeren Zeitpunkt losfahren oder auf öffentliche Verkehrsmittel sowie das Fahrrad umsteigen -, würde sich unterm Strich der Verkehrsfluss verbessern, laut Bracher und Bogenberger selbst zu Stoßzeiten. Auch die Schadstoffbelastung lasse sich so mindern: Feinstaub um vier Prozent, Stickoxid um knapp zwei Prozent, CO₂ um zweieinhalb Prozent. Und der Stadt würden jährlich mehr als 30 Millionen Euro zufließen. Geld, das in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs investiert werden müsste, finden Bogenberger und Bracher.

London: Die Software passt auf

Der Bürgermeister befürchtete Stau und Chaos nach dem Start: "Aber nichts ging schief. Es war unglaublich", sagte Ken Livingstone. Bis 2008 war er der Rathauschef in Englands Hauptstadt, und im Jahr 2003 führte er gegen große Widerstände die Congestion Charge ein. Autos müssen zahlen, wenn sie in Londons Innenstadt fahren. Damals waren es fünf Pfund am Tag, inzwischen sind es 11,50 Pfund, also knapp 13 Euro. Kameras filmen den Verkehr, eine Software erkennt die Autonummer und prüft, ob für die Autos Geld überwiesen wurde. Steht der Pkw nicht auf dieser Liste, muss der Halter Strafe zahlen. BFI

Die Forscher würden sich freuen, wenn die City-Maut-Idee wieder intensiver diskutiert werden würde - als ein Ansatz, um die Verkehrsprobleme in den Griff zu bekommen. Schließlich hatte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) angekündigt, im Januar eine große Generaldebatte zu Verkehrsfragen führen zu wollen. Er sei die "kleinteiligen Diskussionen" leid, etwa über den Verkehr in einzelnen Bebauungsplänen, hatte Reiter Anfang Dezember betont, "es muss eine Gesamtlösung her". Und die könnte neben dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs sowie der Stärkung des Radverkehrs auch die Einführung einer City-Maut beinhalten, finden Bogenberger und Bracher.

Zuvor müssten - neben datenschutzrechtlichen und technischen - zunächst juristische Fragen geklärt werden. Denn bisher hatten vor allem SPD und CSU im Stadtrat eine Maut-Debatte stets mit dem Hinweis abgelehnt, die Stadt könne eine solche Abgabe gar nicht einführen, weil die gesetzlichen Grundlagen dafür fehlten. Tatsächlich hatte das Bundesverkehrsministerium 2009 in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen erklärt, dass es nicht seine Aufgabe sei, solche Regeln zu schaffen. Wohl aber "könnten die Länder in eigener Zuständigkeit eine City-Maut für Kommunal- und Landesstraßen einführen", hieß es. Die Maut-Befürworter im Rathaus, etwa ÖDP-Stadtrat Tobias Ruff, hatten mehrmals an den Freistaat appelliert, die entsprechenden Grundlagen zu schaffen. Wenn man etwas wolle, dann "kann man die Gesetze auch ändern", sagt Ruff.

Stockholm: Eine Kamera zählt mit

"Drängelsteuer" oder Staugebühr - so nennen die Schweden die City Maut, die 2006 in Stockholm probeweise eingeführt worden ist. Nach einer Testphase stimmte die Mehrheit der Stockholmer in einem Referendum für eine dauerhafte Straßenbenutzungsgebühr, denn der Verkehr nahm tatsächlich deutlich ab. 2013 zog Göteborg nach und verlangte Gebühren für die Straßenbenutzung. Auch hier funktioniert das System automatisch. Eine Kamera nimmt das Nummernschild von jedem Auto, das durch die Station fährt, auf. Am Monatsende gibt es dann eine gesammelte Rechnung. SIBI

Doch bislang wehren sich viele gegen eine City-Maut. Die Bundesregierung etwa lehnt sie ab, weil sie "Kaufkraft aus den Innenstadtbereichen" abziehen sowie "die Bürger zusätzlich finanziell belasten würde". Auch die Industrie- und Handelskammer sowie die Handwerkskammer haben sich dezidiert gegen eine City-Maut ausgesprochen. Und aus der CSU heißt es in der Stadt wie auch auf Ebene des Freistaats immer wieder, man könne den Autofahrern nicht noch mehr Abgaben aufhalsen.

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SZ vom 29.12.2018/haeg
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