Süddeutsche Zeitung

Konzert im Olympiastadion:Pinks wilder Ritt auf dem Kronleuchter

Die Pop-Majestät zeigt, was eine Bühnenshow ist. Gegen sie ist Helene Fischer bloß die Regionalfürstin eines eifrigen, aber spät entwickelten Stammes.

Von Michael Zirnstein

Das ist nun fast so fies, wie man es sich seit "I'm Trouble"-Zeiten von Pink wünscht: Bevor sie selbst zum ersten von zwei München-Auftritten vor 60 000 Schaulustigen erscheint, lässt sie einen Lederhosen-Seppl auf einer rosa Flöte eine Fanfare tröten. Wer da nicht an Andreas Gabalier denkt, der heuer schon durchs Olympiastadion schnulzte, hat den Spaß verpasst.

Eine Stichelei gegen Helene Fischer hingegen bleibt aus. Das ist schade, denn die an selber Stelle zuletzt 2018 massiv versammelten Fischer-Chöre halten ihre Vorsängerin vom Ammersee ja gerne für mindestens so toll wie Pink, schon weil sie der vieles nachmacht: trällern, tanzen, turnen. Nun hat es Pink als Pop-Majestät aus den USA gar nicht nötig zu sticheln. Sie tut, was sie tut, dann erkennt jeder: Gegen sie ist die schöne Helene bloß die Regionalfürstin eines Show-technisch eifrigen, aber spätentwickelten Stammes.

Alecia Moore alias Pink gibt gleich im alten Eröffnungskracher "Get The Party Started" Anschauungsunterricht. Sie katapultiert sich an einem Riesen-Kronleuchter über die Bühne, als wolle sie mal ausprobieren, was sich ihre Co-Songwriterin Sia einst im Ermutigungssong "Chandelier" ausmalte: Eines Tages werde sie am Kandelaber schwingen ... Pink macht sich solche Träume wahr, und alle schauen entzückt zu und fragen sich höchstens, wie man bei zehn Umdrehungen pro Minuten noch Atem zum Singen holt.

Zu "Secrets" wird es sexy, wenn Pink sich beinkleidlos mit einem oberkörperfreien Tänzer hoch oben an den Strapaten verschlingt. Zum Finale saust sie an Seilen wie der Magier Copperfield Kapriolen schlagend und "So what, I am a rock star" jauchzend in 40 Metern Höhe übers Menschenmeer durch den Nieselregen. Und wenn das auch alles nicht mehr neu, vielleicht weniger riskant, im Stadion etwas ferner und auf den Herzform-Videowänden zu hektisch präsentiert ist - den Luftraum hat sie sich locker von Helene Fischer zurückerobert.

Den feinen Unterschied sieht man auch beim Bodenturnen: Fischer lässt sich gerne mal von ihren Tänzern heben, Pink ebenso, hebt aber selbst mal einen. Und wie: Zum wehmütigen "Try" verwickelt sie sich vor Gehölzkulisse in einen Kampftanz mit Hirsch, Vogel, Fuchs und Maskenmann. Das ist kein Leistungsturnen, das ist offensichtlich Kunst, die man freilich nicht verstehen muss. Ihre Botschaft setzt Pink in Einspielern und Ansagen: Frauen sind stark.

Rührend, wie sie erzählt, dass ihre achtjährige Tochter Willow neulich sagte, sie sei hässlich, sie sehe aus wie ein Bub. Schluck. Das sei genau das, was sie selbst immer höre, tröstet Pink und sagt: "Wir helfen den Menschen, zu sehen, dass es viele Arten von Schönheit gibt." Dann trumpft sie mit einem, etwas zu sehr Techno-stampfenden "Raise Your Glas" auf, alle Tänzerinnen und Tänzer zeigen, was sie können (viel), bevor auch noch Willow Räder auf der Bühne schlägt. Politisch korrekte Botschaften sind bei Pink keine Frage des Protokolls, sondern höchst persönliche Anliegen. Mehr geht kaum im Pop.

Oder doch: In Boy-Friend-Jeans kommt Pink zur Zugabe wie Frau Nachbarin für "In The Glitter" zurück, strahlt und singt. Sonst nichts. Mit bewegter, bewegender, süßer, starker Soulgewalt. Auch hier können andere nur staunen und lernen.

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SZ.de/aner/kjan
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