Digitale Kunst:Daten tanzen

Digitale Kunst: Fließen, wabern, blubbern: Refik Anadols Datenskulptur an der Pinakothek der Moderne.

Fließen, wabern, blubbern: Refik Anadols Datenskulptur an der Pinakothek der Moderne.

(Foto: Haydar Koyupinar, Bayerische Staatsgemäldesammlungen/© Refik Anadol)

An der Pinakothek der Moderne ist seit Dienstagabend die digitale Skulptur des KI-Medienkünstlers Refik Anadol zu sehen.

Von Evelyn Vogel

Die Farben schieben sich über die Fläche, fließen, wabern, blubbern, springen, spritzen, schlagen Wellen, türmen sich auf, stürzen nieder, stoßen an die Ränder, bilden Strudel und verebben - bis sie in einzelne Pixel zerbröseln. Hunderte Menschen - überwiegend junge Menschen übrigens - standen am Dienstagabend staunend vor der Pinakothek der Moderne, um die von einem ebenfalls wabernden Sound begleitete digitale Datenskulptur des KI-Medienkünstlers Refik Anadol zu sehen. Auf gut fünf Metern Breite und fast achteinhalb Metern Höhe taucht die Projektion, sobald es dunkel wird, an der Nordseite des Gebäudes auf. Das Museum hat die Arbeit anlässlich seines 20-jährigen Bestehens bei dem international renommierten Datenkünstler in Auftrag gegeben. Zuvor hatte Refik Anadol in einer Art Hochgeschwindigkeitsvortrag während des Künstlergesprächs in der Rotunde der Pinakothek der Moderne einen Streifzug durch seine künstlerische Medien- und Datenwelt unternommen.

Refik Anadol gilt als einer der international bedeutendsten Pioniere der Datenkunst. Seine oft ortsspezifischen Großinstallationen tauchen seit Jahren weltweit an Gebäuden auf. Geboren 1985 in Istanbul, studierte Anadol zunächst Fotografie, Video und Kunst in Istanbul und im Anschluss Design- und Medienkunst in Los Angeles. Dort lebt er seit acht Jahren und unterhält ein eigenes Studio sowie das RAS Lab, mit dem er sich der Erforschung und Kultivierung neuer Wege zu Datenerzählungen und künstlicher Intelligenz widmet. Seit 2021 unterrichtet Refik Anadol, der inzwischen auch mit zahlreichen Preisen für seine Medienkunst ausgezeichnet wurde, zudem an der Design Media Arts School in Los Angeles.

Digitale Kunst: Refik Anadol vor seiner Datenskulptur.

Refik Anadol vor seiner Datenskulptur.

(Foto: Haydar Koyupinar, Bayerische Staatsgemäldesammlungen/© Refik Anadol)

Für die Datenskulptur an der Pinakothek der Moderne hat Anadol 74 000 Bild- und Sounddatensätze verwendet, die ihm zum Teil die vier Museen für Kunst, Graphik, Architektur und Design der Pinakothek der Moderne sowie ihre Kooperationspartner zur Verfügung gestellt haben. Aber er ließ auch das Museum, dessen Umgebung und den Stadtraum von seinen Mitarbeitern visuell und akustisch festhalten. Und ganz zu Beginn seiner Laufbahn ist Refik Anadol auch nach München gereist, um Motive der Stadt zu fotografieren. All das wanderte in den Datenpool für seine neue Arbeit. So kam ein Konvolut an Bildquellen zustande, das von knallig farbigen Gemälden und Designobjekten über zarte schwarz-weiße Grafiken und Architekturzeichnungen, formbetonte Skulpturen und Modelle, wilde Installations-, Depot- und Ausstellungsansichten bis hin zu Bilderrahmen und der Architektur des Gebäudes oder Momentaufnahmen der Umgebung reicht. Was Angelika Nollert, Direktorin des Designmuseums und als Gesprächspartnerin auf dem Podium beim Künstlertalk, von einem ortsspezifischen Werk sprechen ließ, "das die DNA des Hauses in sich trägt".

Die traditionellen Grenzen der Betrachtung sollen überschritten werden

Etwa sechs Monate hat Anadol an dem Objekt gearbeitet. Dabei lässt er die Daten von einer künstlichen Intelligenz so bearbeiten, dass ihre Bestandteile zu neuen Verbindungen mutieren. Die datenbasierten, maschinellen Lernalgorithmen machen aus den flachen Projektionen immer neue, dreidimensional erscheinende Farb- und Formräume. Und wo bleibt da der künstlerische Input, fragten sich viele Betrachter angesichts des wie von einem Zufallsgenerator zu einer morphenden Farbmasse geformten Werks? Es ist die Auswahl der Datensätze, die er herausgreift und zulässt, wie er erklärt. Er scheint dabei eine Symphonie aus Farbe in drei Sätzen zu je vier Minuten zu komponieren, die den Betrachter umfängt. Er wolle die Betrachtenden in einen Zustand der "Immersion", des Versinkens, versetzen, um die traditionellen Grenzen der Betrachtung zu überschreiten und das Bewusstsein zu erweitern. Ziel sei, die Gegensätze zwischen Fläche und Raum, Realität und Fiktion, Physis und Virtualität aufzulösen.

Dabei sieht Anadol die KI nicht nur als Instrument, dessen er sich bedient, sondern als Partner. Doch ebenso wenig, wie er sich als Herrscher über die KI versteht, leugnet er die Gefahr für die Menschheit, die im Zuge der Digitalisierung und der unermesslichen Datenflut von Algorithmen ausgehen kann. Aber gerade weil er die Mechanismen dahinter so gut kennt, fürchtet er sie nicht. Wenn er über sie spricht und davon erzählt, dass er die KI bei seinem datenbasierten Arbeiten "zum Träumen bringt", schwingt sogar so etwas wie Zärtlichkeit in seinen Worten mit. Vor allem aber sieht er die KI als "große Chance" in der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Eine Zusammenarbeit, die ihm ganz offensichtlich eines bringt: einen Heidenspaß.

Digitale Datenskulptur von Refik Anadol, Fassade der Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, bis 27. November

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