Physiker Harald Lesch:Einfach die Welt erklären

Bei ihm kapiert man sogar als Laie etwas von Physik: Der Münchner Professor Harald Lesch erklärt in seinen Fernsehsendungen wie "Abenteuer Forschung" die Welt ganz einfach - ohne Bohei, aber mit viel Enthusiasmus.

Marlene Weiss

Harald Lesch passt einfach nicht in diese Zeit. In seiner ZDF-Sendung "Leschs Kosmos" läuft er wild gestikulierend durchs Studio, gerne mit dem Kaffeebecher in der Hand, erzählt und macht Gedankenexperimente. Er trägt dabei nicht einmal diese schillernden engen Anzüge, die Fernsehmoderatoren aussehen lassen wie windige Gebrauchtwagenhändler, sondern die typische Garderobe eines Gymnasiallehrers: Hemd, Pulli, Metallbrille. Wenn er "Abenteuer Forschung" moderiert, zieht er immerhin Sakkos an, die man wohlwollend als zeitlos bezeichnen könnte. Weder Musik noch prominente Studiogäste oder schicke Animationen. Braucht kein Mensch.

Physiker Harald Lesch: Professor Harald Lesch ist ein Sympathieträger der Wissenschaft. Seine Fernsehsendungen, in denen er Physik verständlich erklärt, sind auch bei Laien äußerst beliebt.

Professor Harald Lesch ist ein Sympathieträger der Wissenschaft. Seine Fernsehsendungen, in denen er Physik verständlich erklärt, sind auch bei Laien äußerst beliebt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Es ist ein altmodisches Modell, aber es funktioniert. Harald Lesch ist Physiker vom Dienst für alle Lebenslagen. Denn die deutschen Fernsehzuschauer mögen es, wenn er ihnen die Welt erklärt, weise, heiter und ohne viel Bohei, wie ein gutgelaunter Opa. Das tut Lesch für sein Leben gern, und man muss ihm lassen: Er hat es drauf. Eben erst war der 51-Jährige Münchner Professor in Hannover, um den Preis als Hochschullehrer des Jahres entgegenzunehmen. Der Deutsche Hochschulverband und die Wochenzeitung Zeit haben ihn als "Sympathieträger für die Wissenschaft" geehrt. Er hat schon viele ähnliche Preise bekommen - offenbar braucht die Wissenschaft dringend Fürsprecher wie ihn.

Zurück in München steht er im sonnigen Astronomie- und Astrophysik-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität an der alten Sternwarte und strahlt noch immer über das ganze bärtige Gesicht über das Lob von den Kollegen. Es gibt wohl wenige Erwachsene, die sich so schön freuen können wie Lesch.

Und dann springt er auf zur Kaffeemaschine auf dem Flur, holt eine Tasse, dann doch eine andere für den Espresso, verweist auf den Hofastronomen, der hier einst wirkte, und auf das altehrwürdige Institut, das den Vorteil habe, dass es unter Denkmalschutz stehe. Alle müssen raus nach Garching, nur das Astronomie-Institut darf bleiben, wo es ist. Im Garten steht der Pilzbau mit dem historischen Teleskop, an den Wänden hängen Filmplakate, in die Studenten andere Köpfe montiert haben.

Neben Leschs Tür hängt das "Men in Black"-Plakat, er prangt darauf breitbeinig neben Tommy Lee Jones, in der Hand eine riesige Alienwaffe. Aus dem Filmtitel ist "MHD-Magnetohydrodynamics" geworden, Physikerhumor, aber rührend. Direkt daneben ein Bild aus Goethes Wohnhaus in Weimar. Er sei ein leidenschaftlicher Goethe-Freak, sagt Lesch. Und rennt wieder ins Büro, wo noch ein Goethe-Portrait hängt. Neben Plakaten über die Kultur des Mittelalters, der Trophäe für den "Pfeifenraucher des Jahres 2009", und einem Foto mit Neil Armstrong.

"Ich bin hier ja der Malachias von Hildesheim", sagt Lesch verschmitzt in diesem Villa-Kunterbunt-Büro, und natürlich darf er es erklären, wer erinnert sich schon spontan an den Namen des Bibliothekarsgehilfen aus Umberto Ecos Roman "Der Name der Rose". Er hat sich um den Umzug der Institutsbibliothek gekümmert. Hauptamtlich ist er aber immer noch Professor für Physik und lehrt Naturphilosophie an der Münchner Philosophie-Hochschule der Jesuiten.

Und niemand soll denken, er würde über Bücher und Fernsehauftritte seine Pflichten vernachlässigen. Im nächsten Semester organisiert er wieder ein physikalisch-theologisches Seminar, eine bizarre Kombination, aber Lesch ist schließlich auch Protestant: "Ich glaube an Gott, er glaubt an mich."

Von seiner Forschung trennt er das. "Die Theologen sind ja neidisch auf uns, wie wir uns emporirren", sagt Lesch. Damit ist er wieder bei der Philosophie, und spricht vom Damaszenerschwert der experimentellen Überprüfung, von Neutralismus, Hermeneutik und Hegel. Bei wichtigen Punkten beugt er sich vor und sticht mit dem Finger klackend auf den Schreibtisch.

Eigentlich wäre er auch gerne Astronaut geworden, aber mit Brille ging das nicht. Lange hat er mit sich gekämpft, ob er nicht Geschichte studieren sollte. "Aber das große Latinum, das Graecum, und dann am Ende noch das, wie heißt das, das Hebrai... na, also Hebräisch, das hätte ich nicht gekonnt", sagt er. Daher blieb es bei Physik, und wen die einmal packt, den lässt sie nicht mehr los. "Also, im frühen Kosmos: Da muss das Deuteron überleben, aber die Uhr läuft, Neutronen zerfallen, und dann habe ich Photonen, die das Deuteron wieder zerschlagen!" Es knallt, Lesch hat in die Hände geklatscht. Das war das Deuteron.

Vielleicht ist Lesch mit seiner Liebe zu Anekdoten und freiem Vortrag nicht für jeden Studenten der Idealprofessor. Er gibt schon mal Hausarbeiten zu einem völlig fachfremden Thema auf, damit die Studenten über den Tellerrand hinausdenken. Manche Studenten mögen so etwas, andere macht es verrückt. Aber Laien finden das großartig, es nimmt ihnen die Angst vor der Wissenschaft. Im Internet hat Lesch einen Fanclub.

"Fernsehphysiker" ist keine anerkannte Berufsbezeichnung, es gibt keine Ausbildung und kein Diplom. Die Liste von Anforderungen an Bewerber wäre lang: Sie brauchen akademische Würden für die Autorität; sie dürfen gleichzeitig keine Scheu vor Vereinfachung haben, was unter Wissenschaftlern selten ist; außerdem müssen sie eine fernsehtaugliche Ausstrahlung und keine Angst vor der Kamera haben - was noch seltener ist. Im Fernsehen hat Harald Lesch nicht viel Konkurrenz, eigentlich nur Ranga Yogeshwar, und der ist nicht Professor.

Er kam durch Zufall zum Fernsehen. "Frag doch mal den Lesch", sagte ein kamerascheuer Kollege den Leuten vom Fernsehen, als sie 1998 für eine Wissenschaftssendung jemanden suchten, der einigermaßen würdevoll komplexe Zusammenhänge erklären sollte. Harald Lesch sagte ja, weil er gerne Dinge ausprobiert. Seither ist Lesch fest in Millionen Wohnzimmern verankert: Neun Jahre lang beantwortete er in der BR-Sendung Alpha-Centauri Fragen über Physik; danach wechselte er zum ZDF. So bekannt wie er sind sehr wenige Physiker in Deutschland, in seinem hessischen Heimatort ist er ein richtiger Star. Manchmal mache er auch da einen Vortrag, für die Kirche. "Wenn du kommst, ist der Laden voll", heißt es dann. Wer kann da nein sagen.

Lesch ist kein Mensch, der gut dasitzen und auf einem Thema herumkauen kann, das lieben seine Fans an ihm. Dass sein Fach, die theoretische Astrophysik, viel Knochenarbeit und Durchhaltevermögen fordert, das sagt er nicht im Fernsehen. Aber durchgeschummelt hat er sich nie. Für seine Dissertation gab es die renommierte Otto-Hahn-Medaille, später war er Gastprofessor an der Universität Toronto und bekam einen hochdotierten Förderpreis. Neben Büchern, Interviews, Fernseharbeit und Vorlesungen veröffentlicht er weiter regelmäßig Artikel über Magnetfelder in Galaxien.

Nicht schlecht für einen, der eigentlich am liebsten von Gott und der Welt erzählt.

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