Philosophy-Slam:Halbnackt auf dem Weg zur Erkenntnis

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Sie schlüpfen in die Rolle eines missverstandenen Tsunamis oder schreien mit schriller Stimme: "Lüge, Lüge. Die Welt ist eine Lüge." Nach dem Vorbild der Poetry-Slams haben LMU-Studenten den ersten Münchner Philosophie-Wettbewerb veranstaltet.

Julius Leichsenring

Zwei Pfeile malt sich Thomas Lehnen auf den nackten Bauch. Der eine zeigt in Richtung seines kahl rasierten Kopfs, der andere auf die Snoopy-Unterhose. "Erkenne dich selbst" steht zwischen den Pfeilen geschrieben. T-Shirt und Jogginghose hat der Philosophie-Student auf dem Weg zur Erkenntnis bereits ausgezogen.

"Haben Tiere eigentlich so was wie einen freien Willen?" Diese Frage stellte sich Jan Borner zunächst nach dem Unfalltod seines Katers. Nun beschäftigt er sich damit auf der Bühne des Philosophy-Slams. (Foto: N/A)

Halbnackt steht er also auf der Studiobühne der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in der Ludwigstraße, vor knapp 100 Zuschauern. Bestimmen der Geist oder die Triebe den Menschen? Darüber möchte er Aufschluss geben. "Aristoteles würde sagen, beides ist wichtig", ruft Lehnen dem konzentrierten Publikum entgegen.

Kontrovers und meist geistreich ist die Premiere des Philosophy-Slams in München. In Anlehnung an die Kultur des Poetry-Slams liefern sich an diesem Januarabend vier Studenten einen Denkerwettstreit. Zehn Minuten hat jeder von ihnen auf der Bühne Zeit, das Publikum von seinem philosophischen Text zu überzeugen. Die Zuschauer stimmen am Ende per Zettel über den Sieger ab.

Ins Leben gerufen hat das Ganze die 21-jährige Studentin Janina Bojahr gemeinsam mit "Ludwig und Kunst". Die Gruppe aus Theaterwissenschafts-Studenten stellte den Raum mit Bühne zur Verfügung. Black Box, schwarzer Kasten, nennt er sich. Schwarz ist in dem kleinen Saal tatsächlich alles: die Decke, die Wände und der abgeschabte Dielenfußboden.

Die Initiatorin Bojahr, die selbst im dritten Semester Philosophie studiert, kam durch einen Freund in Kassel auf die Slam-Idee. "Dort gibt es das schon längere Zeit", sagt sie. "Aber gerade in München, wo viele Philosophen im Elfenbeinturm sitzen, macht eine solche Veranstaltung Sinn." Es soll Philosophie für jedermann sein. Das kommt an: Bereits zwanzig Minuten vor Beginn ist der Saal voll.

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Vor der Tür warten noch einmal genauso viele Menschen, vergebens. Während noch der Protest der Ausgeschlossenen in die Black Box dringt, betritt der erste Slammer die Bühne. Daniel Schlick, wegen seines Barts Dan Cotletto genannt, schreit mit schriller Stimme in den dunklen Saal: "Lüge, Lüge. Die Welt ist eine Lüge." Sein Credo: Die absolute Wahrheit gibt es nicht. "Jede Wahrheit ist solange wahr, bis es eine bessere gibt?", sagt er. Immerhin sei die Erde auch schon eine Scheibe gewesen.

Mit viel Witz und Spielfreude behandeln die jungen Dichter und Denker nicht nur die großen Fragen der Philosophie. So spricht Jan Borner mit ernster Miene über den Suizid seines Katers, der sich mit einer Kordel erwürgt habe. "Haben Tiere eigentlich so was wie einen freien Willen?", fragt er.

Ein paar Minuten später gibt Lukas Leucht auf der Bühne zu: Sartre habe er nie verstanden. Deshalb wendet er sich schnell von den Großdenkern ab und schlüpft für seinen Vortrag in die Rolle eines missverstandenen Tsunami: "Habt ihr Menschen überhaupt auch nur einmal darüber nachgedacht, welche Konsequenzen es für uns hat, dass Ihr uns allen Frauennamen gebt? 2012 ist unser Jahr. Wir lehnen uns auf!", kündigt Leucht mit Blick auf die kursierenden Weltuntergangsszenarien an.

Wer anfängt zu philosophieren, landet manchmal auch beim Kalauer. Das Publikum lacht schallend und kürt den Studenten am Ende zum Sieger des Abends. Als Preis erhält er einen Schierlingsbecher aus Glas. Seit dem Tod von Sokrates, der einen solchen Giftbecher leeren musste, ist er ein Zeichen von Weisheit. Verdient hätten den Becher alle, sagt Zuschauerin Verena Mühleger. "Die Künstler waren eigentlich zu verschieden, um einen wirklichen Gewinner auszuwählen."

Eine Fortsetzung des Slams werde es auf jeden Fall geben, verspricht Veranstalterin Bojahr. "Dann brauchen wir aber einen größeren Raum. Und es wäre schön, wenn das nächste Mal noch mehr Menschen auf der Bühne stehen", sagt Bojahr." Wann und wo der nächste Philosophy-Slam stattfinden wird, steht bisher nicht fest. Interessierte können sich vorab auf der Internetseite der Fachschaft Philosophie informieren und sich als Slammer anmelden.

© SZ vom 30.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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