Interview mit Philipp Poisel:"Der Leidensweg ist immer, neue Musik zu erschaffen"

Philipp Poisel

Die Konzerte werden "nüchterner als sonst", sagt Philipp Poisel. Für den 39-Jährigen geht es damit "back to the roots".

(Foto: Sophie Seybold)

Sänger Philipp Poisel über Krautrock, sein Architekturstudium und die aktuelle Tour.

Von Michael Zirnstein

Soft war das neue Cool. Tränen waren okay. Das brachte Philipp Poisel den Deutschen in Liedern wie "Wo fängt Dein Himmel an?" bei. Das lebte er auch selbst vor, transparent, liebesleidend, verhuscht vernuschelt, zerbrechlich. Vielleicht machte man sich auch deshalb Sorgen um den Ludwigsburger, als es nach dem Nummer-1-Album "Mein Amerika" stiller um ihn wurde. Erst recht während Corona: "Wie soll ein Mensch das ertragen?" Aber man hörte: Er studiert. Er modelt. Er strahlt - mit dem vierten Album "Neon" und jetzt, 39 Jahre alt, wieder auf Tour.

SZ: Es ist lange her seit den letzten Konzerten. Sie sagten damals, Sie hätten große Lust darauf, aber auch große Angst davor, in so großen Sälen wie der Olympiahalle Party zu machen.

Philipp Poisel: Ich war etwas überfordert von der Größe, das war für mich das erste Mal in dieser Dimension. Es war auch eine Herausforderung, ein Partygefühl herzustellen und mich gehen zu lassen und eine Show abzufeuern.

Sie standen am Ende in einer DJ-Kanzel und alle tanzten um Sie herum im Lichter- und Beat-Gewitter. Wie fühlten Sie sich dabei, Sie sind ja eher als schüchterner, scheuer Zeitgenosse bekannt?

Ich sage mal: Im Terrain "kleine Kneipe" hatte ich mich schon öfter gezeigt als in so einer Halle. Dafür musste man sich einiges einfallen lassen. Ich habe mir das selber nicht zugetraut, das alleine mit der Gitarre zu bewerkstelligen. Da ist vieles aus Unsicherheit drum herum gebaut worden um mich, wie eine Schutzmaßnahme. Auf der anderen Seite macht es mir auch Spaß zu überlegen: Wo war ich noch nicht? Und dann auch mal Fehler zu machen.

Jetzt sind Sie wieder im Circus Krone angekommen, wo Sie einst im fast intimen Rahmen die DVD zu "Projekt Seerosenteich" aufgenommen haben. Ist das ein Rückschlag? Oder eine Erleichterung?

Hauptsache es wird gut und ist den Umständen angemessen. Nichts ist schlimmer als eine riesige Halle, wo keine Stimmung aufkommt. Man könnte jetzt sagen: Es ist schlechter als geplant. Aber ich sehe es so, dass ich froh bin, überhaupt die Möglichkeit zu haben aufzutreten. Das ist nicht bei allen so nach Corona.

"Projekt Seerosenteich" hatte viele Gäste wie Matthias Schweighöfer, liebevoll selbstgezimmerte Kulissen, eine zauberhafte Stimmung. Das ist genau zehn Jahre her. An was erinnern Sie sich?

Aus meiner Sicht ist es ein Best-of gewesen. Die Lieder hatte ich schon. Ich konnte mich ganz auf die Interpretation konzentrieren, auch wie man das ganze illustrieren kann. Früher wollte ich immer Illustrator werden. Mir macht es Spaß, Sachen, die es schon gibt, auf eine andere Art und Weise zu beschreiben. Der Leidensweg ist immer, neue Musik zu erschaffen, wenn sie dann da ist, fängt der Spaß an.

Was haben Sie sich für die Tour zum Album "Neon" überlegt?

Da wird es nüchterner als sonst. Vielleicht nicht das Gegenteil der Arena-Tour, aber vielleicht das Pendant, wo ich die Leute verstärkt mit der Musik zu packen versuche. Für mich: back to the roots. Was in der Olympiahalle zu viel war, ist es vielleicht diesmal zu wenig. Am Ende finde ich vielleicht die Balance.

"Neon" ist ein typisches Poisel-Album, aber variantenreicher. Woher kommt's?

Ich habe mir diesmal kein Konzept überlegt. Ich will jeden Song für sich sprechen lassen. Über Konsistenz habe ich mir keine Gedanken gemacht, das ermöglicht mir ein weiteres Spektrum, dadurch habe ich eine größere Kraft.

Der Song "Benzin" sticht heraus, der ist härter als gewohnt. Da lassen Sie auch ein Faible für Krautrock erkennen. Gab es das schon vor Ihrer Begegnung mit Michael Rother von "Neu!" auf dem Grönland-Label-Geburtstagsfest?

Ich kannte seine Sachen schon vorher. Es ist eine Facette der Musikgeschichte, die ich mit Spannung verfolge. So etwas fließt sicher ein, wenn auch unbewusst.

Textlich ist der Song auch extremer, mit dem Kokain, der Unterwerfung. Ziemlich radikal für einen Liebespoeten.

Manches hat vielleicht auch mit einem Frust zu tun über enttäuschte Erwartungen. Was ich rückblickend als positiv bewerte. Als bei mir die Erfolgswelle abebbte, dachte man an manchen Stellen ... na, egal ... hm, wie beschreibe ich das am besten?

Als Trotz?

Ja, wenn man eh nicht erreicht, was man sollte, kann man sich andere Sachen trauen und muss diese Rolle nicht immer erfüllen.

Als der Hype um Sie abflachte, fragte man sich: Wo ist er denn? Dann sah man immer wieder etwa Kandidaten bei "Voice of Germany" Ihre Lieder singen. Der Bedarf nach Ihrer Stimme war immer noch da. Wie empfanden Sie das, dass Ihnen gehuldigt wurde?

Ich sag mal so: Wenn ich es geschafft habe, den einen oder anderen Song zu haben, der auch mal eine Generation überspringt, dann ist das ganz wunderbar auch für mich. Das bedeutet, dass, auch wenn ich nicht auf der Bildfläche bin, ich die Chance habe, doch mal wieder größer aufzutauchen. Diese Hoffnung gebe ich nicht auf.

Interview mit Philipp Poisel: Wieder auf Tour: Philipp Poisel mit seiner Band.

Wieder auf Tour: Philipp Poisel mit seiner Band.

(Foto: Sophie Seybold)

Was haben Sie denn gemacht in der Zeit, als es etwas stiller war? War immer Musik da, oder war die auch mal ganz fern?

Ich habe nebenher angefangen zu studieren, ich weiß noch nicht, ob ich das durchziehe.

Architektur, richtig?

Genau. Ich wollte mich auf andere Gedanken bringen. Und das hat mich teilweise etwas überfordert. Aber es hat mir gut getan und mir gezeigt, dass mir die Musik schon sehr sehr wichtig ist, aber dass ich mich in meinem Leben nicht nur mit Musik beschäftigen sollte, um nicht durchzudrehen. Sonst beißt sich irgendwann die Katze in den Schwanz. Wenn die Erfahrungen, aus denen sich meine Musik speist, immer nur die gleichen sind und man nur vom Tourbus erzählen kann, dann fehlt irgendwann die Inspiration.

Inspiration ist meist die Liebe. Was tut sich da bei Ihnen? Sie sagen nie etwas zu Ihrem Beziehungsleben.

Das ist das letzte Stück Privatheit, das ich für mich behalte.

Dafür sind Sie öffentlicher geworden, zeigen sich in "Was uns bleibt" politischer. Sie haben in einem Interview gesagt, Sie seien als Aktivist bisher zu wenig in Erscheinung getreten.

Ich muss mich dann aber auch hinterfragen: Mache ich das, weil es gerade in ist? Oder ist das eine Überzeugung? Meine Werte werden jetzt durch die jüngere Generation aufgerüttelt. Glücklicherweise. Aber ich habe dazu noch keine abschließende Bewertung, weil ich ehrlich bleiben will, und nicht so tun möchte, als sei ich Klimaaktivist. Das wäre kokett.

Was Sie noch mit der nächsten Generation verbindet, ist Ihre Kooperation mit den Hip-Hoppern Juju und Chapo 102 bei "Erkläre mir die Liebe". Was bringt der Remix Ihrer Musik Neues?

Man kann sich zum einem in einem frischeren, ungewohnten Sound sonnen. Auch das Video sieht ganz anders aus, als man es sonst macht. Da entsteht etwas Neues, auch wenn ich es mir am Anfang gar nicht vorstellen konnte. Ich bin schon oft sehr eingefahren, und da ist es ein Geschenk, wenn da jemand an einen denkt und einen herausholt.

Sie standen für Armin Petras als Musiker und Akteur im Stück "Love You, Dragonfly" im Deutschen Theater Berlin auf der Bühne. Wie fühlt sich dieses Umfeld für Sie an?

Ich hatte das Theater gar nicht auf dem Schirm, meine beste Freundin hat mich in diese Szene hereingeholt. Und es ist auch eines der größten Geschenke meines Lebens, da mal in eine neue Welt eintauchen zu können. Nach wie vor bin ich inspiriert von der Erfahrung. Ich sag mal, wenn ich wieder die Möglichkeit hätte, so etwas zu machen, vielleicht eher in meiner Nähe, nicht gleich in einer ganz anderen Stadt, wäre ich sofort wieder dabei. Die Stimme von einem Schauspieler zu hören, unverstärkt, empfinde ich als Genuss. Die Theaterwelt hat etwas Ursprüngliches, was mir manchmal fehlt in Zeiten, wo bei jeder Show Leinwände und viel Technik dabei sein müssen.

Reinhard Mey neulich in der Olympiahalle hatte nichts außer einem schwarzen Vorhang, einem Mikro und einer Gitarre.

Ich habe ihn mal getroffen. Er ist ein unfassbares Energiebündel, der steckt mich in die Tasche.

Hatten Sie zuletzt Kontakt zu Herbert Grönemeyer, Ihrem Förderer, der seine jüngste Tour wegen Corona absagen musste?

Ich habe größten Respekt für ihn. Ob ohne ihn jemals jemand von mir gehört hätte, steht in den Sternen. Es gibt niemanden, auf dessen Meinung ich so viel geben würde wie auf seine. Und trotzdem, so wie man seinem Vater nicht ewig auf der Tasche liegen will, würde ich nicht erwarten, dass er mich mitträgt auch durch schwierige Zeiten. Dazu haben wir uns neulich auch getroffen und ausgetauscht. Und was er sagt, diese Worte hallen lange in mir nach, wie ein inneres Gesetz.

Philipp Poisel, Mi., 23. Nov., München, Circus Krone, Marsstr. 45

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