Süddeutsche Zeitung

SZ-Reihe "München redet":Impfen: Lahm sieht Kimmich als Vorbild in der Verantwortung

Im Gespräch mit der Philosophin Carolin Emcke formuliert Philipp Lahm klare Forderungen - an den Nationalspieler, aber auch an die neue Bundesregierung in Sachen Fußball-WM in Katar.

Von René Hofmann

Borussia Dortmund ist natürlich eine Steilvorlage. Carolin Emcke ist Philosophin und Publizistin; unter anderem den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels hat sie bekommen. Doch die 54-Jährige ist auch eine fanatische Fußballanhängerin, die Leidenschaft glüht so heiß, dass sie sich selbst bei dem Thema als "semizurechnungsfähig" bezeichnet - vor allem, wenn es um die Gelb-Schwarzen aus Dortmund geht.

Philipp Lahm ist auch ein fanatischer Fußballfan. Aber seine Lieblingsfarbe ist das satte Rot des FC Bayern, und so verwundert es wenig, dass er Emckes Angebot, er dürfte seinen Sohn gerne einmal bei ihr vorbeibringen, wenn dessen Fußballleidenschaft wieder einmal zu anstrengend werde, mit der feinen Bemerkung kontert: "Danke, aber da könnte er unter falschen Einfluss kommen!"

Auch die Idee, man könne in der Fußball-Bundesliga doch, um wieder mehr Ausgeglichenheit zwischen den Teams herzustellen, ein Draft-System für die besten Talente wie in den US-Profiligen einführen, weist Lahm später mit dem Hinweis zurück: "Für mich wäre das nichts gewesen. Da hätte ich ja in Dortmund enden können."

Elegant landet ein Tritt an Kimmichs Schienbein

Mitunter launig, meist aber nachdenklich: Das ist die Grundstimmung dieses Aufeinandertreffens. Parallel zur zweiten DFB-Pokalrunde wird es - moderiert von SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach - am Dienstagabend im Münchner Residenztheater vor einem gebannten Publikum ausgetragen. Und am Ende dauert es so lange wie ein Fußballmatch inklusive Pause: 105 Minuten.

"Das große Spiel: Wie der Fußball unsere Gesellschaft prägt" - unter diesem Motto wurde in der Gesprächsreihe "München redet" geladen. Das eröffnet Räume, die Emcke - mehrmals begleitet von Szenenapplaus - deutet. Und in die Lahm, 37, immer wieder Vorstöße setzt, die an seinen einst so beherzten Drang in offene Flanken auf dem Spielfeld erinnern.

Der erste Vorstoß geht in Richtung Joshua Kimmich. Der 26-jährige Bayern-Profi ist, wie einst Lahm in jenem Alter, inzwischen auch in der Nationalmannschaft eine feste Größe. Allerdings noch ungeimpft gegen Corona. Was Lahm davon hält? "Ich lese recht viel", antwortet Lahm. Viel darüber, dass es eine schlechte Idee sei, sich impfen zu lassen, sei ihm dabei noch nicht untergekommen.

Wäre er noch Kapitän des FC Bayern oder der Nationalmannschaft - er hätte sich den Uneinsichtigen schon vorgeknöpft. Denn: "Für mich wäre das klar die Aufgabe gewesen, mit ihm zu reden", sagt Lahm. Als Fußballprofi stehe man im Rampenlicht. Das eröffne die Chance, als Vorbild zu fungieren. So zumindest habe er dies immer gesehen. Eleganter dürfte er in seinen gut 500 Spielen als Fußballprofi selten einem gegen das Schienbein getreten haben.

Emcke findet Lahms Haltung zur WM in Katar wohlfeil

Vorbild: Das ist ein großes Wort. Eines, das ihr immer Respekt abnötige, wirft Carolin Emcke ein. Sie mag sich nicht ausmalen, wie jedes ihrer Werke mit einer ähnlichen Unerbittlichkeit öffentlich auf Schwächen durchleuchtet wird wie das Wirken von Bundesliga-Kickern an jedem Wochenende, Noten in der Bild-Zeitung inklusive.

Kurz darauf allerdings rollt sie selbst Lahm einen Moralvorwurf entgegen, groß und mächtig wie ein Medizinball. Es geht um die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar, einem Land, das wegen Menschenrechtsverstößen in der Kritik steht: Wohlfeil findet Emcke Lahms Haltung, kein Spieler sei an der Vergabe des Turniers in das Emirat beteiligt gewesen - und hinzufahren und auf Änderungen zu drängen, sei allemal besser als ein Boykott.

Auf diesen Zweikampf aber lässt sich Lahm nicht ein. Er schlägt den Ball in den freien Raum. "Fußball ist Teil der Gesellschaft. Ich würde mir von der Regierung eine Haltung wünschen zum Thema WM in Katar. Man kann den Druck nicht nur auf die Spieler legen", findet der Weltmeister des Jahres 2014.

Was kann Fußball bewirken? Um diese Frage kreist der Abend. "Wenn wir ein Fußballspiel anschauen, im Stadion oder in der Kneipe, ist das ähnlich, wie wenn wir ins Theater oder ins Kino gehen", führt Carolin Emcke aus: "Dann gibt es eine Vergemeinschaftung im Publikum, weil sich alle dasselbe anschauen. Und über das, was man sieht, über das, was man erlebt, über das, an dem man leidenschaftlich Anteil nimmt, über eine ganze Spielzeit hinweg, verhandeln wir eben auch unsere Werte. Man nennt das den gesellschaftlichen Selbstverständigungsdiskurs: das Austarieren, das Nachdenken, das Reflektieren darüber, wer wir eigentlich sein wollen als Gesellschaft. Dazu nehmen wir als Vorlage unsere Kultur: Und zu der gehört eben auch der Fußball."

Sind Ablösesummen von mehr als 200 Millionen Euro noch vermittelbar? Warum ist Homosexualität im Profifußball vermeintlich immer noch ein Tabu? Und welche Lehren wurden seit dem Tod des Torwarts Robert Enke 2009 gezogen im Umgang mit dem Thema Depressionen? In der aufgespannten Klammer wird vieles verhandelt. Und einige Male wird Lahm bemerkenswert konkret.

Eine Frau an der DFB-Spitze? Für Lahm selbstverständlich möglich

Eine Gehaltsobergrenze für Fußballprofis? "Fände ich richtig", sagt Lahm. Eine Frau an der Spitze des seit einiger Zeit orientierungslos umhertaumelnden Deutschen Fußball-Bundes (DFB)? Für den Ehrenspielführer selbstverständlich möglich.

Eigene Ambitionen auf den Posten hegt er (noch) nicht. Als Turnierdirektor für die Europameisterschaft 2024 in Deutschland sitzt er zwar mit im DFB-Präsidium und erkennt bei dessen Wirken - vorsichtig formuliert - "noch gut Luft nach oben". Selbst aber mag er ganz vorne da aktuell nicht angreifen. Wie auch beim FC Bayern nicht.

Nach seinem Karriereende 2017 hätte er dort Sportvorstand werden wollen und nach dem Ansinnen von Karl-Heinz Rummenigge wohl auch sollen - doch der seinerzeit noch allmächtige Uli Hoeneß verhinderte das. Ob es im zweiten Anlauf irgendwann klappt? "Ich weiß es nicht", sagt Lahm. Womit er - wieder einmal - klug nichts ausgeschlossen hat. Das Stellungsspiel war ja immer schon seine große Stärke.

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