Fachkräftemangel:Wer Krankenpfleger wird, muss viel aushalten können

Fachkräftemangel: Schwester Mercine stammt aus Kerala in Indien und ist Stationsleiterin am Klinikum an der Thalkirchner Straße.

Schwester Mercine stammt aus Kerala in Indien und ist Stationsleiterin am Klinikum an der Thalkirchner Straße.

(Foto: Catherina Hess)

Das wollen immer weniger junge Leute. Deshalb wird in aller Welt nach Mitarbeitern gesucht. Fünf von ihnen berichten von ihren Erfahrungen.

Von Martina Scherf

Leere Betten, geschlossene Notaufnahmen - das ist die Spitze des Pflegenotstands in diesem Jahr, auch in München. Schlechte Bezahlung, zu viele Überstunden, fehlende Anerkennung und vor allem: das Gefühl, dass es beim zunehmenden Kostendruck immer weniger um die Patienten geht - all das macht den Beruf nicht attraktiv für junge Leute. 10 000 Pflegekräfte fehlen laut Gewerkschaft Verdi in Bayern, in München sind es mindestens 1000. Und weil die Politik bislang keine Antworten hat, werben die Kliniken schon seit Jahren im Ausland um Schwestern und Pfleger.

Im Städtischen Klinikum München mit seinen fünf Standorten in Bogenhausen, Harlaching, Neuperlach, Schwabing und der Thalkirchner Straße arbeiten insgesamt 3300 Mitarbeiter in der Pflege. "Sie haben Wurzeln in 71 verschiedenen Nationen", sagt Sprecher Raphael Diecke. Allein in diesem Jahr sind 70 neue Mitarbeiter aus Italien, Portugal und den Philippinen dazu gekommen. Ihre Ausbildung ist mit deutschen Abschlüssen vergleichbar, meist haben sie sogar ein Hochschulstudium.

Zudem bringen sie in der Regel mehrere Jahre Berufserfahrung mit, sagt Axel Fischer, Vorsitzender der Geschäftsführung des Städtischen Klinikums. Trotzdem dürfen sie bis zur bestandenen Anerkennungsprüfung nur als Pflegehelfer arbeiten. Um ihnen den Einstieg zu erleichtern und die Lebenshaltungskosten zu senken, bemüht sich das Klinikum, ihnen ein günstiges Zimmer in einem Wohnheim zu besorgen, bietet flexible Arbeitszeitmodelle für Familien und ermäßigte MVG-Tickets.

Aber nicht alle, die kommen, halten durch. Die schwere Sprache, zu viel Druck, zu viele fachfremde Arbeiten und zu wenig Zeit für die Patienten bringen die Helfer schnell an ihre Grenzen. Auch hört man häufig, das Ansehen der Pfleger und Schwestern sei in Deutschland viel geringer als in anderen Ländern. Die gemeinsame Visite von Ärzten und Pflegern etwa, der enge Austausch über Bedürfnisse und Behandlung eines Patienten sollte die Regel sein. Ist es aber nicht, wie Umfragen zeigen. Dennoch: All jene, die den Beruf ergreifen, tun es aus Empathie. Fünf von ihnen, die aus anderen Ländern nach München gekommen sind, berichten von ihren Erfahrungen.

Anders als in Indien

Schwester Mercine, Stationsleiterin in der Thalkirchner Straße

Schon als Kind, erzählt Schwester Mercine, war ihr größter Wunsch: Krankenschwester und Nonne zu werden. Als sie mit der Schule fertig war, trat sie in ihrer Heimatstadt Kerala in Südindien in den Orden Maria Heimsuchung ein, und nachdem sie ihr Gelübde abgelegt hatte, schickte der Orden sie nach Deutschland, damit sie dort ihre Krankenpflege-Ausbildung machte - am Tutzinger Krankenhaus.

"Anfangs war es nicht leicht", erzählt Schwester Mercine, 52. Sie habe nächtelang geweint, alles war fremd, die Sprache schwer, das Pensum hoch. Dazu kam die Kälte in Deutschland, der andere Umgangston, die Geringschätzung für Ausländer - einmal habe ihr eine Patientin nachgerufen, sie wolle nicht "von dieser Negerin" behandelt werden. Das ist heute nicht mehr der Fall. Schwester Mercine ist Stationsleiterin auf der Dermatologie am Klinikum in der Thalkirchener Straße. Sie wird respektiert und geachtet, und sie strahlt Selbstbewusstsein aus. Nur gelegentlich komme es noch vor, dass jemand an ihr vorbei gehe und sich mit Fragen automatisch an eine deutsche Kollegin wende, "aber die schickt die Person dann zu mir zurück."

In Indien dürfen Krankenschwestern viel mehr medizinische Dienste übernehmen als in Deutschland. Die Grundpflege müssen die Angehörigen übernehmen, das ist in vielen Ländern so. "Wenn man dann nach Deutschland kommt und plötzlich Patienten waschen, auf die Toilette bringen, Betten machen, putzen und Essen austeilen muss, sagen viele: So habe ich mir das nicht vorgestellt."

Schwester Mercine kennt beide Systeme, sie hat in beiden Ländern länger gearbeitet und auch die indische Pflegeausbildung nachgeholt, denn die deutsche wird dort so wenig anerkannt wie umgekehrt. In Indien herrsche mehr Menschlichkeit, sagt sie, in Deutschland werde alles über Geld geregelt. Aber die Kollegialität sei groß unter den Kolleginnen am Thalkirchener Klinikum. Neun indische Schwestern sind sie noch, sie wohnen im Krankenhaus und beten in der Kapelle, stehen um fünf Uhr früh auf und richten ihre Gottesdienstzeiten nach den Schichtplänen der Pflege. Früher, sagt sie, blieb noch Zeit für ein gemeinsames Frühstück mit den Kolleginnen und den Putzfrauen. "Das gibt es nicht mehr." Der Zeitdruck ist zu groß.

Büffeln in der Freizeit

Fachkräftemangel: Jon Mar Sillo Foto ist Pfleger im Bogenhausener Krankenhaus.

Jon Mar Sillo Foto ist Pfleger im Bogenhausener Krankenhaus.

(Foto: Catherina Hess)

Jon Mar Sillo von den Philippinen ist seit Mai in Bogenhausen

Auf den Philippinen gibt es viele arbeitslose Krankenpfleger, erzählt John Mar Sillo. Die gehen nach Saudi Arabien, England oder in die USA. "Ich wäre nie auf die Idee gekommen, eines Tages in Deutschland zu arbeiten", erzählt der freundliche junge Mann. Aber eine Freundin der Familie hat ihn auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, und er hat es gewagt. Ein vierjähriges Studium und mehrere Jahre Berufserfahrung hat er mitgebracht. In seiner Heimat besuchte er acht Monate lang einen Deutschkurs, im Mai diesen Jahres landete er in München. Trotz seiner Qualifikation darf er zunächst nur als Pflegehelfer arbeiten, so will es das Gesetz. "Ich hoffe, dass ich im Dezember die Anerkennungsprüfung machen kann." Erst dann gibt es den üblichen Tarifgehalt.

Seine Chefin hält ihn für fit genug. Die vielen Abkürzungen machen ihm noch zu schaffen, sagt er, und lacht. In seiner Heimat hatte er auf der Intensivstation gearbeitet, er durfte Spritzen geben, Zugänge für Infusionen legen, "hier macht das der Arzt". Im Klinikum Bogenhausen ist er jetzt in der Orthopädie tätig. Das Krankenhaus hat 1000 Betten, in seiner Heimat gebe es kaum ein Krankenhaus mit mehr als 300 Betten, erzählt er. Und noch etwas ist anders: Zuhause sind rund um die Uhr Angehörige des Patienten im Zimmer, sie waschen und füttern ihn, achten auf die Medikamenteneinnahme. "Es ist schon ein bisschen traurig, dass hier alte Leute im Krankenhaus liegen, die überhaupt keinen Besuch bekommen", sagt er leise.

John Mar Sillo spricht erstaunlich gut Deutsch - "meine Technik ist es, mit möglichst vielen Leuten zu reden, egal, ob ich Fehler mache. Und die Patienten haben Geduld mit mir", sagt er. In seiner Freizeit büffelt er weiter, um noch besser zu werden. Für Ausflüge blieb da bisher kaum Zeit, nur im Fußballstadion war er einmal.

Er will länger in Deutschland bleiben, sagt John Mar Sillo, die Arbeit gefällt ihm, und wenn er erst einen richtigen Tarifvertrag habe, könne er auch seine Familie auf den Philippinen besser unterstützen. An das Wetter werde er sich dann schon noch gewöhnen: "Als wir im Mai ankamen, konnte ich nicht glauben, wie kalt es hier ist." Sein erstes Gehalt ging für warme Kleidung drauf. Heimweh lässt er trotzdem nicht aufkommen, und er hat Glück: Seine Freundin kam mit nach München und arbeitet im gleichen Krankenhaus.

Immer hoch hinaus

Fachkräftemangel: Die Italienerin Federica Ney arbeitet in der Intensivstation des Krankenhauses Harlaching.

Die Italienerin Federica Ney arbeitet in der Intensivstation des Krankenhauses Harlaching.

(Foto: Catherina Hess)

Ziel Intensivschwester: die Italienerin Federica Ney in Harlaching

Federica Ney, 25, begann vor acht Monaten, Deutsch zu lernen und kann sich bereits fließend unterhalten. Wie sie das geschafft hat? "Ich habe jeden Tag eine Stunde mit einer Lehrerin studiert und drei Stunden alleine." Das sagt viel über die Zielstrebigkeit der Italienerin, die auch schon einen konkreten Plan für ihre Karriere hat: Intensivschwester will sie werden. Sie sprach mit dem Chefarzt, und er versprach, die Fortbildung zu ermöglichen. Dass dies in Deutschland parallel zur Arbeit geht, sei ein Vorteil, sagt sie, so muss man nicht auf den Verdienst verzichten. "Die Intensivmedizin ist eine tägliche Herausforderung, dort wird es nie langweilig."

In ihrer Heimat hat Federica Ney den Bachelor in Pflegewissenschaft gemacht, danach in einem Pflegeheim gearbeitet. Auch in Italien versorgt eine Schwester bis zu 40 Patienten, das habe sie nicht abgeschreckt, sagt sie. Aber die Arbeit sei eintönig gewesen. Das Masterstudium muss man bezahlen, freie Stellen in Krankenhäusern gebe es kaum, erzählt sie weiter, und so habe sie nicht gezögert, als sie in ihrer Heimatstadt Bari von der Möglichkeit hörte, an einem deutschen Krankenhaus zu arbeiten. Im April kam sie nach München und nach dem Einführungskurs in der Schwabinger Pflegeakademie fängt sie in dieser Woche am Klinikum Harlaching an.

Dreimal war sie vorher schon in München gewesen, es gefällt ihr gut, und auch für ihre Hobbys gibt es hier genügend Angebote: Gleitschirmfliegen, Klettern, Skateboardfahren, da finden sich in der Umgebung jede Menge Gleichgesinnte. "Ich will nicht mit Italienern herumhängen, sondern möglichst schnell Deutsche kennenlernen, um die Sprache noch besser zu sprechen", sagt sie. Zielstrebig eben. In ihrer Arbeit fühle sie sich sicher, aber die Sprache bleibe wohl noch eine ganze Weile die größte Herausforderung. Wenn sie nicht Sport treibt, dann liest sie in ihrer Freizeit viel und hört Rockmusik. Nur ihr Schlagzeug hat sie in Bari gelassen. Im Gegensatz zu manchen Kolleginnen, die noch zweifelten, ob Deutschland wirklich ein Land zum Leben sei, ist sie ganz sicher, am richtigen Ort zu sein. "Mein Vater hat immer gesagt, Federica, du bist im falschen Land geboren. Stimmt wohl, ich bin wirklich keine typische Italienerin, ich trinke nicht mal Kaffee."

Manager im Kittel

Fachkräftemangel: Pflegekräfte in München .Naim Gudaci aus dem Kosovo arbeitet in der OP Leitung des Schwabinger Krankenhauses. Foto:catherina Hess

Pflegekräfte in München .Naim Gudaci aus dem Kosovo arbeitet in der OP Leitung des Schwabinger Krankenhauses. Foto:catherina Hess

(Foto: Catherina Hess)

Der Kosovare Naim Gudaci leitet den OP-Bereich in Schwabing

Als Naim Gudaci 1993 nach Deutschland kam, wollte er nur ein paar Monate bleiben, Geld verdienen und dann sein Medizinstudium in der Heimat fortsetzen. Doch die Unruhen im Kosovo nach dem Zerfall Jugoslawiens spitzten sich zu, es gab Demonstrationen und Massenverhaftungen. Gudaci, damals 22, blieb in Schleswig-Holstein und fand ein älteres Ehepaar, das ihm Deutsch-Nachhilfe gab und ihm einen Job als Pflegehelfer besorgte, in einem psychiatrischen Zentrum. "Das war nicht leicht, ohne ein Wort Deutsch, aber ich habe nie gezögert, sondern mit Händen und Füßen kommuniziert und so viel wie möglich gelernt."

Er absolvierte dann die Ausbildung zum Krankenpfleger. Seinen Wunsch, Arzt zu werden, gab er bald auf, vor allem aus finanziellen Gründen. "Es war die richtige Entscheidung", sagt er heute, denn er erkannte schnell, dass er sich im Pflegeberuf ständig weiterentwickeln konnte. Und sein Medizinstudium hat ihm dabei sicher geholfen.

Heute steht "Zentraler OP Gesamtleitung" auf seinem Namensschild. Gudaci, 48, ist Chef eines Teams von 40 Mitarbeitern und für sämtliche Abläufe in den Operationssälen des Schwabinger Krankenhauses zuständig. Ein Job mit viel Verantwortung.

"Das Schwierigste war am Anfang die Sprache", sagt er rückblickend. Es genügt ja nicht, Fachbegriffe auswendig zu lernen, was schwer genug ist. Aber im täglichen Kontakt mit Patienten muss man auch Nähe herstellen und über deren Bedürfnisse reden können.

Als er mit der Ausbildung fertig war, arbeitete er in Hamburg als OP-Pfleger, kam dann 2001 "der Liebe wegen" nach München. Er wurde Vater, übernahm zuerst die Bereichsleitung im OP am Schwabinger Klinikum, 2009 dann die Gesamtleitung. Das Organisieren der komplexen Abläufe macht ihm Spaß, "es ist kein Tag wie der andere". Er hat es mit Anästhesisten, Chirurgen und Ärzten aller Fachabteilungen zu tun, mit Kindern und erwachsenen Patienten, und er dirigiert sein großes Pflegeteam. In München fühle er sich längst "einheimisch", sagt er und lacht, "nur FC-Bayern-Fan bin ich nicht geworden".

Wer Pfleger werden will, "muss den Beruf wirklich mögen", sagt er. Er muss mit alten und kranken Menschen umgehen wollen. Die Zukunft der Pflege macht Gudaci Sorgen. "Wer hätte gedacht, dass deutsche Krankenhäuser im Jahr 2018 Stationen schließen müssen, weil sie nicht mehr genügend Pfleger haben?"

Stolz auf den Beruf

Pflegerin

Pflegerin Frau Tuominen.Arbeitet in der Psychosomatischen Klinik in Harlaching.hier im Patienten Wohnzimmer der Tagesklinik. Foto:catherina Hess

(Foto: Catherina Hess)

Finnin Merimaija Tuominen: Man muss um Integration kämpfen

In Finnland seien Krankenpfleger hoch angesehen, erzählt Merimaija Tuominen. "Deshalb habe ich in München auf die Frage nach meinem Beruf anfangs immer stolz geantwortet: Ich bin Krankenschwester." Doch sie habe meist nur Schweigen geerntet. Woran liegt es, dass der Beruf so wenig Ansehen genießt? "Ich weiß nicht, vielleicht hat es mit der Tradition zu tun, dass Krankenpflege früher Aufgabe der Nonnen war." Caritas statt gesellschaftlichem Auftrag. Von den 30 Finnen, die mit ihr vor 25 Jahren in München angefangen hatten, seien alle irgendwann wieder gegangen, erzählt Tuominen. Die größte Hürde sei die Sprache. "Es dauert sehr lange, bis man sich nicht mehr als Exilant fühlt, man muss hart für seine Integration kämpfen."

Eine Annonce des Harlachinger Klinikums hatte die Finnin damals auf die Idee gebracht, sich als Krankenschwester in München zu bewerben. In Deutschland herrschte Pflegenotstand, damals schon. "Die Pflegeleiterin war extra nach Finnland gereist, um uns über die Klinik und die Arbeit zu informieren", erzählt die 53-Jährige. Danach hatte sie vier Wochen Zeit für die Zusage. Es war keine leichte Entscheidung, denn Merimaija Tumoninen war da schon 29 und sie hatte Mann und Kind. Doch Finnland steckte in einer Wirtschaftskrise, es gab kaum Festanstellungen. Also sagte sie Ja und reiste mit 30 anderen Finnen nach München. "Wir waren eine kleine Community, das hat geholfen." Die Klinik stellte ihr für den Anfang eine Wohnung, die Tochter bekam einen Platz im Kindergarten, und auch der Ehemann fand einen Job in München. Mit ihrer Ausbildung und ihrer Berufserfahrung erhielt Merimaija Tuominen sofort einen ordentlichen Vertrag.

Viele Jahre hat sie in verschiedenen Abteilungen des Harlachinger Klinikums gearbeitet, hat Fortbildungen besucht, bis sie sich traute, sich auf eine Stelle in der Psychosomatik zu bewerben. Psychologie hatte sie schon immer interessiert. "Jetzt möchte ich nirgends anders mehr hin." Sie betreut 18 Patienten, die regelmäßig in die Tagesklinik kommen, und das bedeutet vor allem: reden und organisieren. München ist ihr längst zur zweiten Heimat geworden. Dass Finnland allerdings nur zwei Flugstunden entfernt ist, "darüber bin ich schon froh".

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