Pflege-Finanzierung:"Es wäre eine lebensverkürzende Maßnahme"

Pflege-Finanzierung: Lichtervorhang und weißer Stoffhimmel: Erika Zollner besucht ihre Tochter Manuela Tag für Tag in der Wachkoma-Station.

Lichtervorhang und weißer Stoffhimmel: Erika Zollner besucht ihre Tochter Manuela Tag für Tag in der Wachkoma-Station.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Auf der Wachkoma-Station des Münchenstift-Hauses St. Josef leben 26 Menschen.
  • Das kostet monatlich 7500 Euro pro Person - deutlich mehr als ein normaler Platz in einem Pflegeheim.
  • Der Bezirk Oberbayern will diese Kosten nun nicht mehr übernehmen, die Angehörigen wehren sich.

Von Sven Loerzer

Der Raum mit dem weißen, wolkigen Stoffhimmel ist abgedunkelt. Projektionen setzen Akzente, malen einen weißblauen Himmel an die Wand und schaffen eine Atmosphäre der Ruhe. Ein Lichtervorhang umgibt Manuela Zollner, 46, und fast scheint es, als trennen die magisch leuchtenden Lichtfasern zwei Welten. Manuela Zollner hat gerade die Augen geschlossen, aber auch wenn sie geöffnet sind, ist es für Außenstehende schwierig, mit ihr in Kontakt zu treten. Das gelingt nur der Mutter, die ihre Tochter Tag für Tag besucht. "Hallo Schatzi, die Mami ist da", sagt Erika Zollner, 70, umarmt die Tochter und freut sich: "Das Schönste ist, meine Tochter lächeln zu sehen."

Manuela Zollner hatte vor zehn Jahren einen Herzinfarkt. Sie wurde wiederbelebt, das Großhirn wurde durch die unterbrochene Sauerstoffversorgung schwer geschädigt. Die Kommunikation über Sprache ist ihr nicht möglich.

Das Pflegepersonal im Münchenstift-Haus St. Josef achtet deshalb auf die kleinsten Reaktionen in der Körpersprache, liest im Gesicht oder erkennt an der veränderten Muskelspannung, wie es den Menschen geht. "Wohnbereich 6 Wachkoma" steht am Zugang zu der Pflegestation im Haus St. Josef am Luise-Kiesselbach-Platz. 26 der 27 Einzelzimmer sind belegt.

Noch ist Manuela Zollner dort gut aufgehoben, Therapeuten kümmern sich um sie. Immer wieder habe sie kleine Fortschritte gemacht. Doch ihre Mutter hat Angst, dass sich das bald ändern könnte. Der Bezirk Oberbayern will die hohen Kosten im Rahmen der Hilfe zur Pflege nicht mehr übernehmen. "Das wäre furchtbar." Dann müsste die Tochter in den herkömmlichen Pflegebereich wechseln, der den erhöhten Aufwand nicht leisten kann. Neben Manuela Zollner sind acht weitere Bewohner der Wachkoma-Station betroffen.

Den Begriff Wachkoma meidet Wohnbereichsleiterin Ramona Aumeier, weil das Bewusstlosigkeit suggeriert. Sie spricht vom apallischen Syndrom, das die Folge einer schweren Schädigung des Großhirns ist. Die Bewohner lebten in unterschiedlichen Wachheitsphasen, sagt sie. Man müsse ihnen Zeit geben, wieder zurückzukommen, dürfe keine zu hohen Erwartungen an Fortschritte haben. "Die Reaktionen auf Reize sind für uns und die Angehörigen oft große Fortschritte", erklärt Aumeier. Wenn der Pfleger ins Zimmer kommt und sie mit "Hi Manu" begrüßt, dann öffne ihre Tochter die Augen, erzählt Erika Zollner. Wenn die Mutter zu lange auf sie einredet, dann stöhnt die Tochter auf: "Das hat sie früher auch immer gemacht." Logopädie, Physio- und Ergotherapie täten ihr gut. "Meine Tochter fährt sogar schon zwei- bis dreimal pro Woche eine Stunde auf dem elektrischen Hometrainer."

Die 26 Bewohner der Station sind im Alter zwischen 19 und 64 Jahren, im Schnitt liege das Alter bei rund 40 Jahren, sagt Ramona Aumeier. Viele sind schon lange im Haus, aber es gelingt immer wieder, dass Bewohner eine Phase erreichen, die es möglich macht, sie in andere Wohnformen, etwa eine Wohngruppe mit Werkstätte, oder nach Hause zu entlassen. Die Ursachen für ihren Zustand sind unterschiedlich, das kann die zu späte erfolgreiche Reanimation sein, etwa nach einem Badeunfall, ein Schlaganfall, ein Herzstillstand oder, wie oft bei Jüngeren, Unfälle, meist mit dem Motorrad oder dem Mofa.

Ein Autounfall war es bei Pietro Colamartino, der damals 19 Jahre alt war. Viele Wochen lag er auf der Intensivstation des Schwabinger Krankenhauses, dann bekam er einen Platz in einem Altenpflegeheim in Augsburg. "Das Personal dort war überfordert mit allem", erzählt Elena Colamartino, die für ihren Schwager die gesetzliche Betreuung übernommen hat. Die Eltern besuchen ihn täglich. "Er braucht viel Unterstützung, hier in St. Josef sind wir ziemlich zufrieden", sagt die Betreuerin. Seit zwölf Jahren lebt er nun dort, "das Pflegepersonal kennt ihn sehr gut" und weiß, wie es reagieren muss, etwa bei einem Hustenanfall, damit daraus keine Lungenentzündung entsteht. Auch bei Manuela Zollner müssen die Pflegekräfte schnell zur Stelle sein, wenn sich ein epileptischer Anfall ankündigt. Eine Versorgung zu Hause könnten die Eltern in beiden Fällen nicht leisten. Doch die Versorgung in St. Josef nach dem bisherigen Standard ist dem Bezirk zu teuer.

Neun Bewohner erhielten deshalb Ende Januar den Bescheid, dass bereits vom 1. Februar an die Kosten nicht mehr übernommen werden. Rechtsanwalt Ronald Richter legte im Auftrag der Betroffenen Widerspruch gegen den Bescheid ein. Der ist inzwischen bei der Regierung von Oberbayern anhängig, bis zur Entscheidung darüber zahlt der Bezirk vorerst weiter. Bestätigt die Aufsichtsbehörde das Vorgehen des Bezirks, wird Richter, der auch eine Professur für Sozialrecht hat, mit Unterstützung des städtischen Heimträgers Münchenstift Klage erheben. Denn eine angemessene Versorgung sei weder zu Hause noch in einer Pflegestation eines Altenheims zu gewährleisten.

7500 Euro im Monat für einen Pflegeplatz

Rund 7500 Euro monatlich kostet ein Pflegeplatz auf der Wachkoma-Station, das ist deutlich mehr als die rund 5000 Euro, die bei dem höchsten Pflegegrad in der stationären Altenpflege anfallen würden. Nach Auffassung des Bezirks müsse das genügen, weil der kein Rehabilitationspotenzial mehr sehe, erklärt Münchenstift-Geschäftsführer Siegfried Benker. Die Bewohner bräuchten aber sehr wohl einen therapeutisch-rehabilitativen Ansatz.

Der Leiter des Hauses St. Josef, Predrag Savic, macht klar, wie unterschiedlich die Ausstattung aussieht: Im Wachkomabereich sind nach dem Pflegeschlüssel 27 Vollzeitmitarbeiter für 27 Bewohner vorgesehen. In der allgemeinen stationären Pflege wären es nur 14 bis 15 Stellen. Damit ließe sich "das Niveau, das man bei den Bewohnern erreicht hat", aber nicht halten, warnt Benker. "Wir würden ihnen Lebensqualität wegnehmen, es wäre eine lebensverkürzende Maßnahme."

Der Bezirk beruft sich darauf, dass die intensivierte Betreuung nach dem 2004 von den Bezirken mit den Pflegekassenverbänden abgeschlossenen "Bayerischen Rahmenkonzept" auf eine Dauer bis zu zwei Jahren begrenzt sei. "Nach allgemein medizinischer Erfahrung muss davon ausgegangen werden, dass - so bedauerlich das im Einzelfall ist - eine Unterscheidung von einem aus anderen Ursachen pflegebedürftig gewordenen Menschen nicht gerechtfertigt ist, wenn nach Ablauf von zwei Jahren das Rehabilitationspotenzial nicht gefördert werden konnte", erklärt Bezirkssprecherin Constanze Mauermayer.

Auch in den herkömmlichen Pflegestationen gebe es aktivierende Pflege, Wachkomapatienten könnten, wenn sie dadurch wieder Rehabilitationspotenzial entwickelten, durchaus wieder in die Wachkomastation zurückkehren. Dem Bezirk sei bewusst, "dass im Einzelfall durch den Ablauf der Frist Hoffnungen, die in die besonders intensiven therapeutischen und medizinischen Maßnahmen gesetzt werden, zunichte gemacht werden".

Pflege-Finanzierung: Für die Wachkoma-Patienten gibt es in St. Josef auch einen sogenannten Snoezelenraum.

Für die Wachkoma-Patienten gibt es in St. Josef auch einen sogenannten Snoezelenraum.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Letztlich habe aber auch der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Bayern die Befristung als angemessen beurteilt. Die Betroffenen hätten somit keinen Anspruch mehr auf die im Verhältnis zur regulären Pflege deutlich kostenintensivere Versorgung, eine Verbesserung ihres Zustands sei "auch bei intensiver Versorgung leider weder eingetreten noch zu erwarten". Und das obwohl der vorgesehene Betreuungszeitraum bei manchen um bis zu acht Jahre überschritten worden sei. Der Bezirk sei darüber bereits seit 2015 mit St. Josef und den Betreuern der Betroffenen im Austausch.

Die wurden dennoch von der sehr kurzfristig angekündigten Einstellung der Zahlung für den Wachkomabereich überrascht. Grundlage dafür waren die im letzten Jahr vom MDK erstellten Gutachten zur Rehabilitationsfähigkeit. "Der MDK hat keinen einzigen Menschen besucht, sondern nur die Akten angefordert", sagt Pflegedienstleiterin Claudia Kiesewetter. "Die Entscheidung nach Aktenlage durch den MDK ist üblich", hält der Bezirk entgegen. Die weitere Versorgung solle nun in Fallkonferenzen geklärt werden, der Versorgungsauftrag dafür obliege der Pflegekasse. Der Bezirk finanziere im Rahmen der Sozialhilfe lediglich die Kosten, die nicht durch die Pflegekassenleistung sowie das Einkommen und Vermögen der Betroffenen gedeckt werden können.

Erika Zollner hofft trotz allem, dass ihre Tochter auf der Station bleiben darf: "Es tut sich immer noch etwas." Erst neulich habe sie ihrer Tochter, die immer sehr gern fotografiert hat, die alte Kamera mitgebracht. "Sie hat mit dem Daumen versucht, den Auslöser zu betätigen." Es funktionierte nicht. Weil die Batterie fehlte.

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