Süddeutsche Zeitung

Pflege und Betreuung:Eine teure Entmündigung

Bittere Erfahrungen mit Anwältin und Amtsgericht

"Steigende Zahl bei Betreuungsverfahren", 4. Januar:

Betreuungsverfahren werden zunehmen, weil immer mehr Senioren und Pflegefälle ohne Familie oder soziales Netz amtlich betreut werden müssen. Und hierzu gibt es triste Erfahrungen. Beratungsstellen sowie die persönliche Auskunft eines Rechtsanwalts à 15 Minuten für knapp 300 Euro bestätigen, dass eine amtliche Betreuung meist von Betreuungsvereinen übernommen/organisiert wird, wobei mit Kosten von circa 1000 Euro pro Jahr zu rechnen sei.

Im vergangenen Jahr warf der private Betreuer meiner greisen, bettlägerigen und zunehmend dementen Mutter das Handtuch, und ich war gezwungen, das Amtsgericht Darmstadt um Hilfe zu bitten. Einen Monat nach Eil-Antragsstellung wurde ein Psychiater bestellt, der die Betreuungsnotwendigkeit einer fast 100-Jährigen bis dato Betreuten attestierte - à 600 Euro. Nach weiteren zwei Monaten wurde eine Rechtsanwältin als Berufsbetreuerin bestellt, weil das Vermögen meiner Mutter dies rechtfertige. Wer mehr als 25 000 Euro (Schonvermögen) auf dem Konto hat, zahlt 4500 Euro pro Jahr für die Berufsbetreuung zum noch alten Stundensatz (er wurde kürzlich erhöht) plus 770 Euro Jahresgebühr an das Betreuungsgericht, plus einige hundert Euro für Büroauslagen.

Das Wort "Betreuer" ist ein Euphemismus. Mutter wurde entmündigt und ich gleich mit. Sie kam sofort in ein Pflegeheim. Ihre Patientenverfügung gelte nur "soweit möglich", und die häusliche Pflege mit Polinnen ("unzuverlässig") und Pflegedienst ("unbefriedigend") "gefiel" der Betreuerin nicht. Das war sicher kein unbegründetes Urteil, aber alles geschah wortkarg bis barsch ohne alternative Überlegung oder menschliche Vorbereitung. Mir gegenüber sei sie weder auskunfts- noch rechenschaftspflichtig (Worte, die ich unvorsichtigerweise benutzt hatte, nachdem die anwaltliche Auskunft den Vorteil amtlicher gegenüber privater Betreuung in der Rechenschaftspflicht ersterer sah). Wenn ich als Erbin ausgewiesen sei, könne ich mich später ans Amtsgericht wenden.

Kaum war Mutter im Heim und ersparte der Betreuerin damit lange Anfahrtswege, die deren Zeitkontingent belastet hätten, blieben Besuche, die Erfüllung kleiner Bitten oder von Bürokratiearbeit zwar aus, hingegen ließ sie einen Anwaltskollegen beim Amtsgericht die Verlängerung ihres Betreuungsauftrags für weitere Jahre beantragen. Meine Mutter lag da bereits im Sterben. Aber was erwartet man schon. Schließlich wurde die Betreuungsrechnung vier Monate nach Mutters Tod an ihre Anschrift im Pflegeheim adressiert.

Ob ehrenamtliche Betreuung dem Staat Geld und dem Betreuten Kummer erspart? Mir als demnächst Betroffene wird nach dieser Erfahrung angst und bang. Die Berateraussage damals, man könne sich in einem Betreuungsverein umsehen und schon mal Betreuer kennenlernen (die man finanziell gegebenenfalls auch privat unterstützen könnte!), dürfte, selbst wenn das machbar wäre, hinfällig sein, da das Gericht ganz anders und nach Vermögen entscheidet. Dr. Irene Herzberg, München

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Quelle:
SZ vom 11.01.2018
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