Pflege-Experte:"Deutschkurse auf den Philippinen"

Der Münchner Rechtsanwalt Alexander Frey am 17.01.2019 in München.

Rechtsanwalt Alexander Frey engagiert sich seit 40 Jahren für die Interessen der Bewohner in Pflegeheimen.

(Foto: Jan A. Staiger)

Alexander Frey will mit Kräften aus dem Ausland den Personalmangel in Heimen bekämpfen

Interview von Irmengard Gnau

Der Münchner Rechtsanwalt Alexander Frey, 72, kämpft seit Jahrzehnten gegen die Missstände in der Pflege. Schon mehrmals klagte er deshalb vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Im November vergangenen Jahres brachte er mit seiner unabhängigen Gruppe "Forum Pflege aktuell" das Thema vor den Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Uno, der die Bundesregierung rügte. Am Freitag ist Frey nun mit anderen Gruppen vom Arbeits- und Sozialministerium zum Gespräch nach Berlin eingeladen.

SZ: Herr Frey, Sie beschäftigen sich seit mehr als 40 Jahren mit dem Thema Pflege und pochen auf Änderungen im deutschen System. Was war das erste Erlebnis, das Sie diesbezüglich aufgerüttelt hat?

Alexander Frey: 1978 bin ich als junger Anwalt, der Sozialpädagogik studiert hatte, rein zufällig mit Misshandlungen von Kindern im Spastikerzentrum in München konfrontiert worden. In diesem Kontext habe ich über vier Jahre hinweg schon einige Prozesse geführt. Und danach ging es eigentlich Schlag auf Schlag, dann kamen Pflegeheime, wo es auch um Misshandlungen von Betreuten ging. Da gab es etwa die Geschichte, dass eine Schwester Oberin uns lapidar erklärte, die Menschen seien ja schließlich zum Ableben und nicht zum Aufleben in ihrer Einrichtung. Inzwischen habe ich mehr als 100 Prozesse geführt zum Thema Pflege, aber solche Erlebnisse lösen bei mir heute noch völlige Wut aus. Es geht einerseits um so offensichtlich angreifbare Dinge wie Dekubitus, wenn eine Betreute nicht gedreht wurde und sich wundgelegen hat bis auf den Knochen. Oder um Hausverbote, um sich aufmüpfiger Angehöriger zu entledigen. Andererseits sind es aber auch die vielen kleinen Dinge, wenn Betreute nackt auf dem Gang liegen müssen zum Beispiel. Da ist man ja kein Mensch mehr. Ein Mandant hat zum Beispiel einmal eine Kamera am Heimbett seiner Mutter aufgestellt und konnte sehen, dass sie von sechs Uhr abends bis neun Uhr am nächsten Morgen nichts zu trinken bekommen hat. Die Mutter wurde daraufhin gekündigt. Den Prozess haben wir aber später gewonnen.

Sind Sie regelmäßig in Pflegeheimen in München?

Ich betreue als Rechtsbetreuer aktuell sieben Menschen. Da kriege ich gut mit, wie es in den Heimen aussieht. Manchmal muss ich sehr wohl eingreifen. Man muss sich die Heime ja nur einmal strukturell anschauen: Die Situation hat sich in den vergangenen Jahren unglaublich verschärft, weil es immer mehr demenzkranke Pflegebedürftige gibt. Es wäre also eigentlich immer mehr Fachpersonal notwendig. Aber das ist seit vielen Jahren gleich - und dann ist es ja klar, dass nicht alles gemacht werden kann, was nötig wäre. In einer stationären Einrichtung müssen in der Nacht eine Fachkraft und eine Hilfskraft für 80 Leute da sein - da kann ich natürlich nicht jeden drehen und jedem zu trinken geben.

Wie bewerten Sie die Lage der Pflegeheime in München konkret?

Für mich gibt es im Moment kein Heim, bei dem ich guten Gewissens sagen kann: Das ist ein gutes Heim. Ich kann nur sagen, die versuchen es irgendwie hinzukriegen, mit ehrenamtlichen Helfern und so, aber bei der derzeitigen Struktur ist eine wirklich gute pflegerische Versorgung nicht möglich. Ich sehe nicht, dass die Münchner Heime da besser wären als andere. Es gibt sicher einige - Münchenstift und andere - die sich bemühen, aber alle Einrichtungen haben riesige Probleme. Deswegen fordern wir ja, dass jede einzelne Kommune sich selbst stärker um die Pflege kümmert. Das heißt: Wie kann ich Personal bekommen? Dafür braucht es Wohnungen, die auch leistbar sind, Kindergärten. Die Struktur muss stimmen, damit überhaupt Pflegekräfte nach München kommen. Die Kommunen müssen außerdem eine Bestandsaufnahme machen, wie ist die Versorgung und was brauchen wir dringend? Das muss man periodisch immer wieder dokumentieren und entsprechend abarbeiten. Dazu zählt auch: Gibt es genug Tagespflegeplätze? Außerdem brauchen wir unabhängige kommunale Beratungsstellen, die nicht zur AWO oder zur Diakonie gehören und ein Interesse daran haben, dass ihre eigenen Heime voll sind.

Wie weit nehmen Sie die Kommunen in die Pflicht? Sollte die Stadt zum Beispiel stärker als Heimbetreiberin auftreten?

Früher gab es ja die städtischen Einrichtungen, die immer noch als Stiftungen oder in ähnlicher Form betrieben werden. Das große Problem sind heute die vielen Heuschrecken, große private Träger, die rein auf Gewinnabsicht hin Heime betreiben. Da muss dringend etwas passieren. Wir fordern, dass Heime klarer darlegen müssen, wofür sie welche Beträge einsetzen. Ein Heimleiter bekommt von der Pflegekasse Geld für die Pflege und Geld für die hauswirtschaftliche Versorgung in seiner Einrichtung. Wenn er das Pflegepersonal die hauswirtschaftlichen Arbeiten mitmachen lässt und das Geld für die Hauswirtschaft einfach einsteckt, hat er einen schönen Verdienst - und die Pflege leidet.

Im Januar ist das Pflegepersonalstärkungsgesetz in Kraft getreten. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will so 13 000 neue Stellen für Pflegekräfte schaffen. Bringt das echte Verbesserung?

Wir haben in Deutschland mehr als 13 600 Heime mit 877 000 Bewohnern. Das heißt, für jedes Heim käme nicht einmal eine Pflegekraft dazu. Doch mehr als 100 000 Pflegekräfte fehlen uns heute schon in Krankenhäusern und Pflegeheimen, wenn man Verdi glauben darf. Mit dem neuen Gesetz entsteht jetzt ein Konkurrenzkampf zwischen Krankenhäusern, Heimen und ambulanten Pflegedienste.

Wie lässt sich das Problem lösen?

Pflegekräfte aus dem Ausland können sicherlich ein Faktor sein, aber nur einer von vielen. Wir haben ja jetzt schon Hunderttausende Pflegerinnen und Pfleger aus dem Ausland, die hier pflegen. Wie weit man das noch ausdehnen kann - da muss man dann auch investieren, zum Beispiel Deutschkurse auf den Philippinen anbieten. Umsonst ist das alles nicht, wir stehen ja auch in Konkurrenz zu vielen anderen, auch europäischen Staaten.

Sie sind mit dem "Forum Pflege aktuell" auf allen Ebenen unterwegs, haben 2014 schon vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt und zuletzt im November 2018 vor dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Uno Ihre Forderungen vorgebracht. Am 25. Januar sind Sie mit anderen Gruppen zum Gespräch in Berlin eingeladen. Was erhoffen Sie sich?

Wir waren im November bereits zum dritten Mal mit unserem Thema vor dem Uno-Ausschuss. Der Ausschuss hat die Bundesregierung scharf kritisiert für die herrschenden Missstände in der Pflege und fordert sie in seinem Bericht auf, in zwei Jahren noch einmal Stellung zu nehmen, was sich bis dahin konkret verbessert hat. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat uns nun zum Gespräch eingeladen. Das ist ein erfreuliches Zeichen, aber es ist auch nur ein Teilerfolg. Wie gesagt, wir sehen alle Ebenen, den Bund, das Land, die Kommunen in der Pflicht. Ein Vorteil ist auf jeden Fall: Dank des Pressediensts der Uno werden die Pflegemissstände in Deutschland nun weltweit verbreitet - und das wird auch wahrgenommen. Da kann die Politik nicht mehr immer nur 13 000 neue Pflegekräfte versprechen, die es nicht gibt, sondern sie muss nachweisbare Verbesserungen schaffen.

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