Peter und Richard Deesy:Auf Scherben gebaut

In der Porzellanklinik Schwabing wird wieder zusammengefügt, was zusammengehört. Die Brüder Peter und Richard Deesy kämpfen so gegen die Wegwerfgesellschaft.

Annette Wild

Auf Samtpfoten schleichen sie geschmeidig um Tische und Stühle, springen leichtfüßig auf Regale oder Fensterbretter und reißen trotz ihrer Eleganz oft etwas hinunter. Klirr, da liegt sie in tausend Stücke - die Katze hat die kostbare Meißen-Figur zerstört. Oder Bello wedelt voller Vorfreude auf den Spaziergang aufgeregt mit dem Schwanz und fegt dabei die Lieblingskaffeetasse, ein Geschenk der lieben Kollegen, vom Frühstückstisch.

Peter und Richard Deesy: Richard Deesy und Vater Nikolaus mit einem "Patienten" der Porzellanklinik.

Richard Deesy und Vater Nikolaus mit einem "Patienten" der Porzellanklinik.

(Foto: Fotos: Annette Wild)

Katzen und Hunde und nicht unbedingt wilde Kinder oder ungeschickte Putzfrauen sind meist dafür verantwortlich, wenn der kostbare Porzellanteller oder die über Generationen vererbte Kristallvase in mehrere Stücke zerbrochen und scheinbar verloren sind. Der Kummer ist groß, egal ob es sich um den Mickey-Mouse-Becher für drei Dollar aus dem USA-Urlaub oder um eine kostbare chinesische Ming-Vase handelt.

Auch das Sprichwort "Scherben bringen Glück" ist dann nur ein schwacher Trost. Wie sehr atmen die verzweifelten Besitzer auf, wenn sie in der Porzellanklinik Schwabing stehen und ihnen die beiden Betreiber, die Brüder Peter und Richard Deesy, ruhig erklären: "Das bekommen wir schon wieder in Ordnung."

Ärzteteam Dr. Deesy

Kein Fall ist den Spezialisten zu kompliziert: Alle Teile werden wieder zusammengeführt und nachkoloriert. Vieles kann das Bruder-Paar nicht vollständig restaurieren, sondern nur erhalten, das heißt man sieht nach der Reparatur noch die Klebestellen als feine Linien. "Zwar werden nur etwa fünf Prozent aller hier abgegebenen Stücke wieder wie vorher, aber das stört die Besitzer meist gar nicht so sehr", so Peter Deesy.

Teller, Tassen, Kannen und Service-Teile könnten so repariert werden, dass sie zumeist wieder benutzbar seien, sagt der Porzellan-Doktor. "Vasen, Figuren, Wandteller und Kunstgegenstände können wir meist so restaurieren, dass kaum noch etwas von der Beschädigung zu sehen ist. Die Kunden sind dann überglücklich, wenn sie ihr Lieblingsstück, das sie schon verloren glaubten, wieder an seinen alten Platz ins Regal stellen können", meint der gelernte Porzellanmaler.

Vor allem die enge Beziehung der Kunden zu ihren geliebten Stücken sei der Hauptgrund für den Wunsch der Wiederherstellung, erklärt der 41-Jährige. "Schließlich ist eine zerbrochene Nymphenburg-Figur genau genommen nicht mehr viel wert, auch dann nicht, wenn sie repariert ist."

Der Teller vom Gebrauchsgeschirr wird neu gekauft, wenn er zerbricht. Aber Stücke mit Charakter und Geschichte sind unersetzlich. "Für manche mag es nur Kitsch und Nippes sein, aber die Besitzer hängen an ihren Stücken", meint der gebürtige Ungar. "Deshalb sind unsere Kunden auch bereit, verhältnismäßig viel Geld für die Reparatur auszugeben. Der Mickey-Mouse-Becher für drei Dollar wird für 15 bis 20 Euro repariert", so Deesy.

Auf Scherben gebaut

Eine Frau sei zum Beispiel schon fünfmal mit Scherben einer hanggefertigten Keramikschale da gewesen, die ihr immer wieder kaputt gegangen ist. "Das zeigt, wie die Leute auf Zerbrochenes reagieren. Einmal hat sogar jemand eine kaputte Lampe vor der Tür abgestellt", so Peter Deesy.

Peter und Richard Deesy: Peter Deesy bei der Arbeit - von Porzellan über Keramik und Kristall bis zu Steingut setzt er fast alle Scherben wieder zusammen.

Peter Deesy bei der Arbeit - von Porzellan über Keramik und Kristall bis zu Steingut setzt er fast alle Scherben wieder zusammen.

Dann erinnert er sich an die in mehr als 30 Teile zerbrochene, aufwändig und filigran geflochtene Porzellanschale aus dem 18. Jahrhundert. "Das war eine echte Herausforderung. Unmöglich, dachte ich zuerst", sagt Deesy. Doch nach 20 Stunden war aus dem Scherben wieder eine Schale geworden. Manchmal geht sogar den beiden Brüder etwas kaputt, obwohl sie natürlich sehr sorgsam mit ihren Patienten umgehen - aber das passiere nur alle fünf bis sechs Jahre.

Die Deesy-Brüder reparieren fast alles aus Porzellan, Keramik, Kristall, Steingut und artverwandten Materialien. Im Schaufenster und in den Regalen der Porzellan-Klinik Schwabing finden sich kostbare und weniger kostbare Stücke. Da steht eine putzige Hummel-Figur aus der Goebel Porzellanmanufaktur in Franken neben einem Swarowski-Schwan, eine kitschige Zuckerdose neben einem Pferd, dem bis vor kurzem noch ein Huf fehlte.

Die meisten Stücke haben die Schönheits-OP schon hinter sich - nicht so die kopflose, große Keramikpuppe, die in einem Karton liegt. Doch auch sie wird bald wieder ganz sein. Erst werden die Bruchflächen von Schmutz, Fett und altem Kleber gereinigt. Das geschieht meist im Brennofen bei 700 Grad.

Geduld in allen Dingen

Anschließend beginnt das filigrane Puzzle, wobei die Scherben mit Kunstharz, Engelsgeduld, Fingerspitzengefühl und technischem Know-how in mühevoller und manchmal wochenlanger Kleinarbeit zusammengefügt werden. "Wir haben einen Spezialkleber entwickelt, eine Geheimrezeptur, die wir nicht verraten", erklärt Deesy stolz und fährt fort "Meist ist es so, dass die Leute zunächst versuchen, die Stücke selbst zu reparieren. Oft bekommen wir den Kleber kaum ab." Das einzig Gute sei: Die Stücke gingen so nicht verloren.

Fehlende Teile und Splitter bilden die beiden Brüder mit ihrer geheimen Spezialmasse, die auch in der Flugzeugindustrie verwendet wird, nach. So formen sie etwa neue Miniatur-Füße oder Schwerter. Da kann es schon mal vorkommen, dass die Geduld auf eine harte Probe gestellt wird, wenn zum Beispiel ein winzig kleiner Finger zu Boden fällt und nicht mehr auffindbar ist.

Bei den Trommlern, historische Soldatenfiguren aus dem 18. Jahrhundert aus der Porzellanmanufaktur Nymphenburg, brechen immer wieder die Trommelstäbe ab. "Bei den Reiterfiguren gehen immer wieder die filigranen Zügel kaputt. Wir haben bestimmt schon zehn bis fünfzehn Pferde repariert. Manche von diesen Figuren sind über 10.000 Euro wert. Die Porzellanmanufaktur Nymphenburg repariert die Figuren nicht, sondern schickt die Besitzer zu uns", erklärt Deesy stolz.

Auf Scherben gebaut

Nach dem Kleben und Ausbessern wird das Dekor akribisch nachgemalt. "Je mehr ein Stück dekoriert ist, desto weniger ist die Reparatur später zu sehen", so der Porzellanmaler.

Aufmerksamkeit, Geduld und Sorgfalt bedarf gerade die Malerei, wenn mit einem dünnen Pinsel etwa feinste Striche einer Blüte nachgezogen werden. Dies Geschick haben die beiden Brüder wohl von ihrer Mutter Aniko Deesy geerbt, die in Budapest das Handwerk der Porzellanmalerei lernte.

1973 floh die Familie vor dem Sozialismus aus Ungarn nach Hamburg, wo Aniko Deesy in der Scherbenklinik Hamburg Anstellung fand. 1981 eröffnete sie dann zusammen mit ihrem Mann Nikolaus die Porzellanklinik Schwabing.

"Mein Bruder und ich wuchsen quasi zwischen Scherben und Porzellan auf", sagt Peter Deesy. Schon während der Schulzeit halfen Peter und sein ein Jahr älterer Bruder Richard immer wieder im Laden der Eltern aus. Dabei packte sie schließlich irgendwann die Leidenschaft für Splitter und Keramik.

So sammelt Peter Deesy selbst gerne Porzellanfiguren. "Aber dezent", fügt er hinzu und schwärmt von der filigranen Malerei Nymphenburger Figuren, wo jedes einzelne Haar mit dem Pinsel gezogen ist und nicht einfach nur die Fläche einfarbig geschmiert wurde, wie es bei Nachbildungen oft der Fall ist.

Die Deesys verfügen über ein großes Wissen und Können. Kein Wunder also, dass Manufakturen und große Haushaltswarengeschäfte Kunden mit ramponierten Vasen und schmückendem Porzellan in die Schwabinger Porzellanklinik schicken. Eher selten bringen Kunden auch ihr Alltagsgeschirr zur Reparatur.

Eigentlich will sich Nikolaus Deesy, der Vater von Peter und Richard, im Hintergrund halten und seinen Söhnen das Reden überlassen. Schließlich habe er ihnen ja unlängst das Geschäft übergeben. Doch so ganz schafft das der Pensionär nicht.

"Die jungen Leute wissen doch heute gar nicht mehr, was Porzellan ist. Die wollen doch das alte Geschirr ihrer Eltern und Großeltern gar nicht mehr haben. Die Generation von heute kauft sich lieber schnell ein neues Service bei Ikea. Kaum jemand deckt doch heutzutage noch seinen Tisch mit einem schönen Sonntags-Geschirr ein", sagt der 65-Jährige. "Da geht langsam ein Kulturgut verloren."

Porzellan-Restaurator - ein Beruf, der in Scherben liegt? Entgegen dem Trend hatten die Deesys immer viel zu tun und haben auch heute noch drei bis vier Wochen im Voraus Aufträge.

"Weg mit Pappbechern"

Nikolaus Deesy, der zusammen mit seiner Frau Aniko hin und wieder seinen beiden Söhnen im Laden hilft, muss sich noch etwas von der Seele reden: "Wenn ich die Leute sehe mit ihren Pappkaffeebechern! Wie viel Energie und Ressourcen dafür verschwendet werden, diese Becher herzustellen! Nur einmal werden sie benutzt und dann weggeworfen. Warum benutzt man keine Porzellan-Tasse, warum nimmt man sich nicht mehr die Zeit, den Kaffee an Ort und Stelle in Ruhe zu trinken?", fragt sich Nikolaus Deesy.

Porzellan sei doch so unendlich praktisch. Man könne es hundertmal spülen, es sei sehr hart und wenn man pfleglich damit umgehe, halte es jahrzehntelang, so der pensionierte Porzellan-Restaurator, der als Quereinsteiger in dem Beruf seiner Frau Fuß fasste.

Haben die beiden Brüder vielleicht ihr Handwerk auch ein bisschen vom Vater gelernt? Die gesamte Familie lacht schallend und kann sich kaum mehr beruhigen. "Nein, das haben wir allein unserer Mutter zu verdanken", meinen die Brüder unisono. "Unser Vater hat keine Geduld. Er ist mehr fürs Grobe zuständig", fügt Peter Deesy schmunzelnd hinzu. Ein Elefant im Porzellanladen also... Und: Scherben bringen also doch Glück - auf jeden Fall dieser Familie.

Porzellanklinik Schwabing, Clemensstraße 62, Telefon 3 08 58 14, Öffnungszeiten: Mo.-Fr. 9-17 Uhr.

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