Im Kapitalismus, das weiß man, da gibt es Gewinner und Verlierer. Und so könnte man annehmen, dass der Kapitalismus wohl ein Spiel sein muss. Falls ja, dann ist er jedenfalls ein ziemlich unfaires. Denn die Gewinner, sie gewinnen immer mehr, während die Verlierer fast immer nur verlieren.
Um dem entgegenzuwirken, gibt es in der Adalbertstraße 44 in München mit "Lotto für alle" nun ein von Peter Kees geleitetes Umverteilungsbüro. Schon bei dessen Eröffnung bot Kees allen Bedürftigen seine direkte, unbürokratische Hilfe an, indem er zuvor zweieinhalb Stunden lang Dollar-Noten an eines der beiden Schaufenster klebte. Insgesamt 500 Stück, bei denen jeder, der wollte, sich dann frei bedienen konnte. Drei Stunden nach Eröffnung waren aber immer noch rund 450 Dollars da.
Aber nicht nur das. Als am Nachmittag beim Bekleben ab und zu ein paar Dollars wegflogen, brachten aufmerksame Passanten diese zurück. Was Peter Kees irgendwie lustig fand. Was aber auch zeige: "Wir sind hier in München eben in einer reichen Stadt." Gut, einige nahmen sich ja doch ihre Dollars mit. Darunter drei junge Frauen, die erst neugierig schauten, dann beherzt zugriffen und mit dem Ausruf "Cool!" davongingen. Ein junger Mann sagte: "Du hast dir gerade einen Dollar abgezogen. Darf man das?" Dann rief er zu seinen Freunden: "Wir sind reich!", traute sich aber dann doch nicht, einen Dollar zu nehmen. Ein junges Pärchen, er leicht nervös, schaute sich die Dollars von allen Seiten an und nahm dann jeweils einen mit. Und sonst hört man recht oft die Frage: "Sind die echt?"
"Lotto für alle. Das Umverteilungsbüro" ist, das sollte man wohl sagen, eine Kunstaktion. Ein Spiel. Ein Experiment (siehe www.lottofueralle.info). Peter Kees ist ein in Ebersberg und Berlin lebender Künstler, der schon viele Ausstellungen, Interaktionen, Filme und Bücher gemacht hat. Zuletzt nahm er bei den "Kunst-Kiosken" mit einem "Visa-Büro" teil. Der Ort, wo sich Kees bis zum 9. Juni eingerichtet hat, ist die Super+ Centercourt Gallerie. Geöffnet ist das Büro immer donnerstags bis samstags, jeweils von 14 bis 19 Uhr. Ab 19 Uhr führt Kees mit Gästen im Schaufenster Gespräche. Eingeladen sind dazu etwa Stefan Jagel von den Linken (3. Mai), Gerhard Beisenherz, ein Rechtsanwalt und Soziologe (4. Mai), Doris Rauscher von der SPD (9. Mai) und Edina Stiegeler von Youngcaritas (10. Mai).
Vor den Gesprächen gibt es jeweils um 18.30 Uhr eine Lottoziehung, bei der jeder seinen Einsatz zurückbekommt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das passiert im Büro, wo an der Wand in Leuchtschrift der Satz "Money is beautiful" prangt. Ob das stimmt, das kann sich jeder fragen, während Peter Kees die Rechnung schreibt. Denn das ist der zentrale Bestandteil der Aktion: Jeder kann sich eine Rechnung schreiben lassen, für Dinge, die ihm aufstoßen. Fünf Rechnungen hatte Kees für die Eröffnung schon verfasst. Eine ging an die Stadt, mit der Forderung nach einer Ausgleichszahlung für die Überteuerung von Mietwohnungen in Höhe von 18316,80 Euro. Eine andere fordert von der AfD 220 000 Euro wegen ihrer belastenden Politik.
Andreas und Thomas Strüngmann von der Hexal AG, zwei der vermögendsten Menschen in Bayern, stellt Kees eine Vermögenspauschale in Rechnung. Und von Mercedes-Benz fordert er Geld für die kostenlose Werbung, die er als Mercedes-Fahrer jahrelang geleistet hat. Ob das alles etwas bringt? Nun im Idealfall kommt es zu einem Gespräch. Und das ist auch der Sinn der Aktion: Dass man über heutige Ungerechtigkeiten redet.
Einen ersten Kunden hatte Kees auch schon am Eröffnungsabend: Hubert Kretschmer, der seit vielen Jahren in der angrenzenden Türkenstraße das AAP Archiv für Künstlerpublikationen leitet, inklusive einem Online-Katalog. Kretschmer macht das auf eigene Kosten, hat Kunststudenten und Wissenschaftler als Besucher. Und er macht damit eigentlich nichts anderes, was auch staatliche Archive leisten. Für 40 Jahre unbezahlte wissenschaftliche und pädagogische Arbeit stellte er nun dem bayerischen Kunstminister Markus Blume eine Rechnung. Was ja eigentlich nur fair erscheint. Kees gab trotzdem zu bedenken: "Das ist nur ein Spiel." Kretschmers spontane Antwort: "Aber Spiele kann man ja gewinnen."