Mittelalter:Wie die Pest die Münchner dahinraffte

Marienplatz in München, 2018

Einer der vier Putti auf der Mariensäule, die Kurfürst Maximilian I. 1638 errichten ließ, kämpft mit dem Basilisk, der die Pest symbolisiert.

(Foto: Stefanie Preuin)

Immer wieder wütet im Mittelalter die Pest in München, allein 1632 kommt ein Drittel der Stadtbevölkerung ums Leben - gegen den Erreger helfen auch die vielen Wallfahrten nichts.

Von Wolfgang Görl

Als der Schwarze Tod zwischen 1347 und 1351 in Europa wütete, schrieb der Chronist Agnolo di Tura über die Zustände in seiner Heimatstadt Siena: "Ich, Agnolo di Tura, genannt der Dicke, bestattete mit eigenen Händen meine fünf Kinder in der Grube. Genauso erging es vielen anderen. Es gab Leichen, die so schlecht beerdigt waren, dass Hunde sie fanden und Teile von ihnen in der Stadt zerstreuten und an ihnen fraßen. Es läuteten keine Glocken mehr und niemand weinte."

Auch in München brach zu dieser Zeit die Pest aus. Die Seuche, so steht es in der Stadtchronik, die Helmuth Stahleder, ehemals stellvertretender Leiter des Stadtarchivs, im Rückblick zusammengestellt hat, "fordert große Verluste im ganzen Land". Ein Drittel der Bevölkerung, berichten die zeitgenössischen Mattseer Annalen, ist von der "crudelissima pestilencia", der grauenvollsten Pestilenz, dahingerafft worden, am schlimmsten wütete die Seuche in Braunau, Landshut und München. Und man fand einen Sündenbock: In Salzburg und München, so heißt es in den Annalen weiter, sind "aus ruchloser übler Nachrede die Juden verbrannt, geschlachtet, zerstückelt und auf sonstige Weise abgeschlachtet und getötet worden".

Also die Juden waren mal wieder Schuld, so wie beim ersten überlieferten Pogrom in München im Jahr 1285, als die Stadtbewohner unter dem frei erfundenen Vorwand, Juden hätten ein christliches Kind rituell ermordet, über ihre jüdischen Nachbarn herfielen und sie umbrachten. 1349 verbreitete der Mob die Lügengeschichte, die Juden hätten die Brunnen vergiftet und somit die Pest verschuldet. Die tatsächlichen Ursachen der Pandemie, das Pestbakterium, das von Flöhen und Ratten weitergetragen wird, kannten die Menschen des Mittelalters nicht. Stattdessen spekulierten die Ärzte, giftige Ausdünstungen, sogenannte Miasmen, verursachten die Krankheit. Wahrscheinlich von Italien aus verbreitete sich die wohl aus Asien eingeschleppte Seuche über die Handelswege auf dem Kontinent.

Die Münchner Kaufleute unterhielten bereits im 14. Jahrhundert gute Beziehungen zu italienischen Handelsstädten, insbesondere Venedig, weshalb es gut möglich ist, dass der Erreger auf diesem Weg in die Stadt gekommen ist. Hier konnte er sich bestens verbreiten, denn die hygienischen Zustände waren desaströs. Viele Bäche durchflossen die mauerumringte Stadt, und in diese kippten die etwa 10 000 Bewohner und die Handwerksbetriebe ihren Unrat und die Fäkalien. Auch in die Gassen wurde der Müll geworfen, wo er von Hunden und Schweinen auf Fressbares untersucht wurde. War Yersinia pestis, der Pesterreger erst einmal in der Stadt, hatte er ideale Voraussetzungen, bis in die hintersten Ecken vorzudringen.

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts verging kein Jahrzehnt, ohne dass die Seuche in München grassierte. So machte sich auch um die Weihnachtszeit 1462 der Schwarze Tod in der Stadt breit. Um Gottes Hilfe zu erbitten, unternahmen im folgenden Oktober, wie Stadtschreiber Hans Kirchmair berichtete, rund 5000 Menschen "mit grosser andacht, wainaden augen und mit betruobten hertzen" Wallfahrten nach Andechs und Freising. Am 18. November 1463 starb auch der 26-jährige Herzog Johann IV. an der Pest.

Zehn Jahre später wurde die Stadt erneut von einer großen Pestepidemie heimgesucht, ebenso in den Jahren 1483/84, in denen wieder Bittprozessionen zu diversen Wallfahrtsorten, darunter zum Andechser Heiligen Berg, stattfanden, die von der Stadt finanziert wurden. So zahlte sie "den swestern, die auff den heiligen perg der pestilenntz halben sein geschickt worden" drei Pfund, sechs Schillinge und 16 Pfennige. Wer irgendwie konnte, suchte Unterschlupf auf dem Land. Auch die meisten Stadträte flüchteten aus München. Nur zwei von ihnen hielten die Stellung, wofür sie später eine Aufwandsentschädigung bekamen.

Besonders schlimm tobte die Seuche gegen Ende des Jahrhunderts. Der zeitgenössische Chronist Veit Arnpeck notierte: "Anno 1495 was ain grosser sterb in Swabn, Payren, Osterreich, in pirg und am Rein." Wegen der Pest sagte Herzog Albrecht IV. die Jakobi-Dult ab, auch das beliebte Scharlach-Pferderennen musste ausfallen. Das war aber nicht immer so. Blättert man in der Stadtchronik, fällt auf, dass auch in Pestzeiten das öffentliche Leben nicht gänzlich erlosch. Es fanden Gottesdienste statt, aber auch Turniere, Schützenfeste und sogar Faschingsveranstaltungen. Ausschlaggebend war gewiss, mit welcher Intensität die Seuche gerade wütete.

Für das Jahr 1517, in dem der Legende nach die Schäffler erstmals auftraten, um die von der Pest demoralisierten Münchner wieder aus dem Haus zu locken, finden sich in den städtischen Kammerrechnungen und Ratsprotokollen keine Hinweise auf eine Pandemie. Außerdem, schreibt Stadtchronist Stahleder, "gibt es weder die üblichen Handelsbeschränkungen, noch den Ausfall von Märkten, noch die Bannisierung anderer Orte wegen dort herrschender Pest, noch Quarantäne für anreisende Kaufleute, noch Ausgaben für das Aufschneiden von Pestbeulen durch Hebammen, die Berufung zusätzlicher Totengräber oder Ärzte". Stahleders Liste macht deutlich, welche Maßnahmen die Stadt und ihre Bewohner trafen, wenn die Seuche im Land grassierte.

Während des Dreißigjährigen Krieges, kurze Zeit nach der schwedischen Okkupation 1632, breitete sich in München erneut die Pest aus. Den Erreger eingeschleppt hatten vermutlich spanische Soldaten, die man aus Furcht vor einem erneuten Angriff der Schweden in der Stadt einquartiert hatte. Kurfürst Maximilian I. machte sich vorsichtshalber aus dem Staub und verlegte seinen Hof vorübergehend nach Braunau am Inn. Vor den Toren der Stadt wurden Lazarette eingerichtet, in denen sich mehr als 60 Helfer um die Erkrankten kümmerten. Pro Woche wurden bis zu 250 Haushalte unter Quarantäne gestellt. Man schätzt, dass etwa 7000 Münchner der Seuche zum Opfer fielen. Fast jeder dritte der damals 23 000 Bewohner starb.

Nach während des Krieges, im Jahr 1638, ließ Kurfürst Maximilian I. eine Votivsäule auf dem Münchner Marktplatz aufstellten: die Mariensäule. Zu ihren Füßen kämpfen vier Bronzeputti gegen die Menschheitsplagen. Der Drache verkörpert den Hunger, der Löwe den Krieg, die Schlange die Ketzerei (seinerzeit war vor allem der Protestantismus gemeint) und der Basilisk die Pest. Maximilians Botschaft war, dass die Wittelsbacher im Zeichen der Gottesmutter diese Plagen bekämpfen werden. Ein Versprechen, das sie nicht einhalten konnten.

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