Süddeutsche Zeitung

Stadtplanung:Wie soll München werden?

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Bei der "Perspektive München" wollen Bürger und Experten Konzepte für die Entwicklung der Stadt formulieren. Sie wünschen sich vor allem Mut.

Von Anna Hoben

Angenommen, München könnte für einen Monat mit einer anderen Stadt tauschen - es hätte vermutlich gar keine Lust dazu und würde einfach München bleiben wollen. Trotzdem wandelt sich München natürlich, und es wird dies weiter tun müssen, weil die Welt sich wandelt. Um eine Richtung zu definieren, wo es hingehen kann und soll, gibt es seit 20 Jahren die "Perspektive München" - ein Instrument der Stadtentwicklung, bei dem verschiedene Referate zusammenarbeiten, um eine Art Kompass für die Zukunft zu entwickeln. Jetzt geht es in eine neue Runde, eine Veranstaltung am Dienstagabend machte den Auftakt.

Der Saal im Literaturhaus ist rappelvoll, der Abend zeigt: Es gibt viele Menschen, die sich für ihre Stadt interessieren, selbst dann, wenn es nicht nur konkret um das eine Bauprojekt im eigenen Viertel geht, sondern eher um die großen Fragen und strategischen Linien. "Wir glauben zu wissen, was wir sind", sagt Stadtbaurätin Elisabeth Merk zu Beginn, "aber tun wir das wirklich? Und was wollen wir eigentlich werden?" Es sei einiges ins Wanken geraten, stellt Merks Koreferentin im Stadtrat Heide Rieke (SPD) fest, "viele erschreckt und beunruhigt das Wachstum". Es gelte, den Grundkonsens "wieder zu festigen" und den positiven Blick nach vorn zu stärken. Veränderungen seien immer auch Chancen. "Der heute angestoßene Prozess kommt gerade zur rechten Zeit."

Bis 2021 soll das neue Konzept erarbeitet sein und eine aktualisierte "Perspektive München" vorliegen. Dazu soll es in diesem Jahr mehrere Diskussionsveranstaltungen mit Bürgerbeteiligung geben, deren Ergebnisse im kommenden Jahr aufbereitet werden sollen: Werkstätten, Workshops und ein Barcamp, also eine offene Tagung. Blitzlichtartig beleuchtet der Abend dann vier Themenbereiche: Mobilität in Stadt und Region ("Umland soll ich nicht mehr sagen, das klingt abwertend", erklärt Arne Lorz, Münchens oberster Stadtentwicklungsplaner); digitale Transformation; Gerechtigkeit, sozialer Zusammenhalt und Integration; Lebensqualität in der dichten Stadt.

Moderator Alain Thierstein, Lehrstuhlinhaber für Raumentwicklung an der TU München, der die Perspektive München seit Beginn kennt und begleitet, gibt seinen Gesprächspartnern aus Stadtverwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft dabei eine gute Dosis an provozierenden Piksern, um mehr herauszukitzeln als vage und abstrakte Aussagen. "Wir wissen doch jetzt schon, dass die zweite Stammstrecke auch zu knapp sein wird, wenn sie mal fertig ist", sagt er an Bernd Rosenbusch gerichtet, den Geschäftsführer des MVV. Und von Tangentialverbindungen habe man schon vor 15 Jahren gesprochen. "Wir sind vom Zuzug überrascht worden", entgegnet Rosenbusch, durch den Saal geht ein langgezogenes "ooooh". Rosenbusch hält tapfer dagegen, spricht von Verkehrswende, Stärkung der Busverbindungen und Verbunderweiterung.

Später wird die dänische Architektin Birgitte Svarre erklären, wie das in Kopenhagen funktioniert - der Stadt, die jetzt immer als leuchtendes Beispiel herangezogen wird. Es brauche nur eine klare politische Agenda; in Kopenhagen laute diese: An erster Stelle kommen die Fußgänger, an zweiter die Radfahrer, an dritter der öffentliche Nahverkehr und an vierter die Autos, "und das wissen dort alle". Thierstein macht eine Rechnung auf, wonach ein Autostellplatz in der Stadt 20 Kubikmeter Platz wegnehme und eine Wohnung 100 - fünf Parkplätze wären also eine Wohnung. "Gibt es also vielleicht gar keine Flächenknappheit?", fragt er, "ist alles nur eine Frage von Prioritäten?" Doch, die Knappheit sei da, meint Torsten Brune, Abteilungsleiter Räumliche Entwicklungsplanung bei der Stadt; denn um jede Fläche konkurriere "ein Sammelsurium an Bedarfen". Auch wenn Wohnen das eine drängende Thema der Stadt ist - genauso braucht es ja auch Flächen für Kultur und Soziales.

Das zeigt sich wie zum Beweis später beim Thema Integration. Lourdes Ros de Andrés vom Verein Interkulturelle Begegnung und Bildung weiß erst nicht so recht, was die Stadt besser machen könnte: "München ist da wirklich vorbildlich." Dann aber fällt ihr etwas ein, es hat, klar, mit Immobilien zu tun: Ihr Verein brauche dringend ein neues Haus. Schaut man sich an dieser Stelle einmal im Saal um, fragt man sich allerdings doch kurz, warum das Publikum so homogen ist, wenn die Stadt bei der Integration alles richtig macht.

Für ein paar unbeholfen-komische Momente sorgt schließlich die Digitalisierung. "Auch wir betreten eine neue Welt", sagt IT-Referent Thomas Bönig; Andreas Hubel vom Chaos Computer Club fordert, die städtischen Referate sollten ihre Daten untereinander besser austauschen. Die Frage, wo er den bisherigen Erfolg der Digitalisierung in München sehe, auf einer Skala von 1 bis 10, will Hubel nicht beantworten, also tut es Bönig: "Deutlich über 5." Die kreativsten Ideen, wie man die Potenziale der Digitalisierung zur Lösung hiesiger Probleme nutzen kann, liefert die Wissenschaftlerin Rahild Neuburger.

Dass München mehr Mut braucht, darin sind sich am Ende alle einig. Die Zukunft hat längst begonnen. So mancher Besucher draußen vor dem Saal fragt sich nach der Veranstaltung allerdings, warum es so lange dauert, diese Zukunft zu begrüßen.

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Quelle:
SZ vom 28.02.2019
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