Ihr letzter Flug liegt gut eine Woche zurück. Von München nach Mykonos, am 27. Oktober, etwas mehr als drei Stunden Flugzeit. Seither ist viel passiert im Leben der Stewardess. Ihr Arbeitgeber Air Berlin ist insolvent, ihr Vertrag noch nicht gekündigt, die Bezahlung ungewiss. Sandra Müller (Name geändert) ist freigestellt auf Widerruf, ihre berufliche Zukunft in der Schwebe. Die 36-jährige Münchnerin war beim Anwalt und Arbeitsamt. Und jetzt sitzt sie da, beim großen Casting der Lufthansa in der Alten Kongresshalle, Wartenummer 69, und hofft auf einen Job beim Marktführer der deutschen Luftfahrt - wie Hunderte andere Bewerber, von denen manche schon seit 4.30 Uhr vor dem Einlass warten.
"Viele bekannte Gesichter, ehemalige Kollegen", sagt Sandra Müller am Samstagmorgen beim Blick in den Wartesaal, wo sich die Kandidaten auf den Auswahltag vorbereiten. Erst müssen sie im Einzelgespräch den Personaler überzeugen, dann vor dem Psychologen bestehen. Wer genommen wird für die dreimonatige Ausbildung, erfährt das knapp eine Stunde später. Die Mindestanforderungen sind: Bewerber müssen volljährig und zwischen 1,60 und 1,95 Meter groß sein, dürfen keine sichtbaren Tattoos und Piercings haben, und dürfen höchstens fünf Dioptrien haben. Außerdem sollte man fließend Deutsch und Englisch sprechen, Schwimmen können und - salopp gesagt - freundlich sein. "Am wichtigsten ist: Man muss Menschen mögen und eine Leidenschaft für Service entwickeln", sagt Casting-Chef Klaus Jacobsen. "Die Mitarbeiter von Air Berlin haben da einen Vorteil, weil sie wissen, worum es geht. Sie haben unser Anforderungsprofil."
Gleich höher beim Gehalt einsteigen können sie dennoch nicht, sagt Lufthansa-Pressesprecher Jörg Waber. "Bei uns gilt das Prinzip der Seniorität. Das heißt, man steigt nur auf über die Zeit, die man dabei ist." Bei der Lufthansa, wohlgemerkt. Auch wenn der Konzern große Teile der Flotte von Air Berlin übernehmen will, die Crew-Mitglieder werden nicht betrieblich übernommen. Stattdessen pickt man sich bei zeitsparenden Castings einzelne Bewerber heraus, denen neue Verträge deutlich unter dem bisherigen Lohnniveau gegeben werden. Bei Air Berlin hat Sandra Müller zuletzt mit 2100 Euro brutto wesentlich mehr verdient als das Grundgehalt von 1417 Euro bei der Lufthansa vorsieht. "Aber hier gibt's gute Spesen bei Auslandsaufenthalten", sagt sie. "Es ist ein stabiler, unbefristeter Arbeitsplatz. Und das Image ist besser."

Air Berlin:Mitarbeiter von Air Berlin fühlen sich erpresst
Die insolvente Airline lässt ihre Mitarbeiter nicht gehen, aber auch nicht arbeiten. Vorerst bekommen sie nicht einmal Arbeitslosengeld. Laut Air Berlin geht es nicht anders.
Bei Eurowings, der Billigtochter der Lufthansa, habe man ihr eine Stelle zu schlechteren Konditionen angeboten. "Ich hab' deren Uniform sogar schon im Schrank, weil mich Air Berlin damals oft an Eurowings ausgeliehen hat." Denn der Lufthansa-Konzern mietet manchmal nicht nur fremde Flugzeuge an, sondern die ganze Crew gleich mit. Müller ist also, wenn man es genau nimmt, schon früher im Auftrag der Lufthansa geflogen. Folgt daraus leichtes Spiel beim Casting?
Jetzt wird's ernst. Sie wird aufgerufen und zu einem der vielen Stehtische in der Lobby im ersten Stock geführt. Das Gespräch mit dem Personaler beginnt. Erst Smalltalk, dann Wechsel ins Englische. Obwohl sie Erfahrung mitbringt, wird ihr später mitgeteilt, dass sie nicht genommen wurde.
Der Beruf übt auf viele Menschen einen besonderen Reiz aus
Enttäuschung bei den einen, Erleichterung bei den anderen. Die künftigen Flugbegleiter dürfen bei einem Willkommensfoto mit Stewardessen in Uniform gleich mal ihr Kabinen-Lächeln beweisen. So wie Marcella Klöppner, 49 Jahre ist sie alt, 16 Jahre Flugerfahrung hat sie. "Ich freue mich sehr, dass es in der Luftfahrt weitergeht", sagt sie glücklich. Sie ist eine von etwa 100 Bewerbern, die heute eine symbolische Bordkarte bekommen - ihr Ticket in die Karriere als Flugbegleiter.
Traumjob Steward. Der Beruf übt auf viele Menschen einen besonderen Reiz aus. Um den Globus fliegen, Metropolen besuchen, auf kleinen Inseln entspannen - und das auch noch bezahlt. "Ich wollte diese Chance ergreifen", sagt Patrick Jännerwein aus München. Der 21-Jährige hat heuer sein Abitur an der FOS Nord gemacht. Sein Traum: Wirtschaftsingenieurwesen studieren und nebenbei als Steward die Welt bereisen. "Das wär' schon toll, wenn das funktioniert."
Auswahl an Reisezielen hätte er genug. Vom 25. März an fliegt die Lufthansa von München aus täglich nach Los Angeles, Hongkong und Peking. Fünf A 380 werden dazu am Flughafen stationiert, macht jeweils 21 Mitarbeiter für 508 Passagiere. Dafür stockt das Unternehmen sein Personal auf. 1000 Flugbegleiter sollen im nächsten Jahr allein in München eingestellt werden, ähnlich viele nochmals in Frankfurt, sagt der Pressesprecher. "Wir haben großen Bedarf, wir wachsen sehr stark."
Dennoch können beim Casting in der Alten Kongresshalle am Samstag nicht alle Bewerber angehört werden. Kurz vor 11 Uhr wird der Einlass geschlossen, in der Warteschlange draußen stehen da noch gut 400 Leute, darunter Derya, 27, und Nicole, 23. "Plötzlich rennen alle zur Tür, wir dachten: Was ist jetzt los?" Die beiden Fremdsprachenkorrespondentinnen aus München kamen nicht mehr an die Reihe. "Nicht so schlimm. Wir haben uns jetzt einfach online beworben."