Süddeutsche Zeitung

Persönlichkeitsrecht:Pädophil und am Pranger

  • Ein Münchner, der wegen Kindesmissbrauchs und des Besitzes von Kinderpornographie mehrfach verurteilt wurde, findet, er sei in einem Artikel der "Bild"-Zeitung nicht ausreichend anonymisiert worden.
  • Das Oberlandesgericht München scheint dem Urteil aus erster Instanz aber nicht folgen zu wollen.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Ein auf Buben im Alter von sechs bis zwölf Jahren fixierter pädophiler Münchner würde gerne in der Anonymität leben. Weil Bild ihn in einem Gerichtsbericht beschrieben und abgebildet hat, klagt der einschlägig vorbestrafte Mann nun gegen die Boulevardzeitung. Er sei auf den veröffentlichten Fotos trotz Sonnenbrille und Basecap für sein soziales Umfeld erkennbar, da die Bilder nicht gepixelt worden seien. Außerdem wolle er sich nicht als "Pädophiler", "Kinderschänder", "Sex-Gangster" und "Perverser" bezeichnen lassen. Vor dem Landgericht München I hatte der Mann noch recht bekommen. In der Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht München (OLG) scheint sich das Blatt nun aber zu wenden.

Im Jahr 2010 wurde der Mann zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er Kinder missbraucht und Kinderpornos besessen hatte. 2012 kam er unter Führungsauflagen wieder frei: Für fünf Jahre wurde ihm der Kontakt zu Kindern untersagt - persönlich wie virtuell im Internet. Er durfte keine Spielplätze betreten und Kinder auch nicht ansprechen.

"Kein schwerwiegendes Delikt", findet der Anwalt

Doch schon bald lernte der Mann eine ältere Frau kennen, die er inzwischen auch geheiratet und deren Namen er angenommen hat. Sie ist Mutter von zwei Kindern, einer damals zehn Jahre alten Tochter und einem sechsjährigen Sohn. Im Februar 2014 chattete der Mann im Internet mit einem 13-jährigen Jungen und beschrieb diesem, wie er sich selbst befriedigte. Später wurden bei einer Durchsuchung der Wohnung des Mannes Kinderpornos gefunden.

Im Mai 2015 wurde der Täter wegen Verstoßes gegen Weisungen der Führungsaufsicht sowie des unerlaubten Besitzes von Kinderpornografie durch das Amtsgericht München zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Urteil wurde später vom Landgericht zu drei Jahren abgemildert - der Mann sitzt derzeit in der JVA Bernau.

Vor dem Oberlandesgericht geht es nun um die Frage, ob durch Bild- und Wortberichterstattung identifizierend über eine damals noch nicht rechtskräftig strafrechtlich verurteilte Person berichtet werden durfte. Der Verurteilte meint in seiner Klage, Wort- und Bildberichterstattung, so wie sie in Bild und Bild.de stünden, seien nicht zulässig.

Wegen des Bildes, auf dem er eine E-Zigarette dampfe, und der deutlichen Beschreibung seiner Person sowie des Nennens von Vornamen und des ersten Buchstabens seines Nachnamens, sei er erkennbar - und auch, weil seine neue Familie beschrieben werde. Dabei sei er bloß aktuell wegen des Verstoßes gegen Führungsauflagen verurteilt worden und nicht etwa wegen des Vorwurfs, ein Kind vergewaltigt zu haben. Er habe also kein schwerwiegendes Delikt begangen.

Bild-Anwalt Ulrich Amelung argumentiert dagegen, dass eine identifizierende Berichterstattung erst dann vorliege, wenn der Betreffende über sein enges persönliches Umfeld hinaus identifiziert werden könne. Bild habe jedoch den Geburtsnamen des Klägers unerwähnt gelassen und ihn auch nicht namentlich genannt. Soweit man Details aus der Familie erwähnt habe, seien diese nur engsten Freunden und der Familie selbst bekannt. Jedenfalls wiege die Straftat des Klägers so schwer, dass er den Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht hinnehmen müsse. Der Kläger sei zudem ein Wiederholungstäter.

Die Pressekammer am Landgericht hielt diese Berichterstattung nicht für zulässig. Der Kläger sei im weiteren sozialen Umfeld erkennbar gewesen, und das Foto stelle ihn an den Pranger. Insgesamt werde der Kläger, obwohl damals noch nicht rechtskräftig verurteilt, gebrandmarkt und der öffentlichen Entrüstung und Empörung auf dem Boulevard zur Schau gestellt. Durch die erkennbare Abbildung werde ihm ein weiteres Leben mit Frau und Kindern nahezu unmöglich gemacht.

Eva Spangler, Vorsitzende des Pressesenats am OLG München, sagte nun gleich zum Auftakt der Berufungsverhandlung: "Dieser Fall wirft viele Probleme auf." Nach Ansicht des Gerichts sei der Kläger auf dem Foto erkennbar "und zwar nicht nur für den engen Familienkreis". Andererseits gehe es bei den Vorwürfen, die zur erneuten Verurteilung führten, nicht nur um Lappalien.

"Mit wahnsinnig hoher Verachtung"

Vielmehr stelle der Verstoß gegen Weisungen "ein Gefährdungsdelikt" dar. Immerhin gehe es um den Chat mit einem Kind, der Näherung eines Schulfreundes seiner Stiefkinder - und vor allem um den Besitz von Kinderpornos. Der Senat gehe deshalb davon aus, dass der Bild-Artikel "ein Bericht über Straftaten" sei.

Das stützt der Senat vor allem auf die Pornos, in denen Kinder als Objekte schreckliche Dinge erleiden müssten. Konsumenten seien nicht privilegiert, nur weil ihre Taten in der Privatsphäre stattfänden. Denn solche Aufnahmen würden nur produziert, weil es eine Nachfrage gebe. "Es ist eine schwere Straftat", so das Gericht. Eine Veröffentlichung wäre demnach zulässig, lautet die vorläufige Beurteilung. Das Blatt habe zwar sehr harte Begriffe gewählt - "aber die Tatsachen stimmen". Und die Taten erstreckten sich über sehr viele Jahre. Dieser Bereich werde von der Gesellschaft "mit wahnsinnig hoher Verachtung gestraft", sagte die Vorsitzende.

Die Anwältin des Pädophilen meinte dagegen, dass es bei einem Weisungsverstoß nur ein "gewisses Berichterstattungsinteresse" geben könne. Zumal der Mann seine erste Strafe abgebüßt habe. Bild hätte sich auf die Tat und nicht den Täter konzentrieren müssen. Was hier geschehen sei, stelle "eine Doppelbestrafung" dar. Auch der Schmähcharakter sei nicht nötig gewesen. "Die Presse ist keine Strafverfolgungsbehörde", sagte die Juristin.

Der Senat schlug als Kompromiss vor, dass in der Onlineausgabe das Alter des Klägers, der Frau und der Kinder gelöscht werden solle. Das Bild dürfe bleiben. Im Gegenzug werde die Klage zurückgenommen. Beide Seiten haben einige Tage Zeit, den Vorschlag mit ihren Mandanten zu besprechen. Sollte der Vergleich scheitern, wird am 30. Juni das Urteil verkündet.

Die Ehefrau des Mannes ist mittlerweile vom Amtsgericht zu einer viermonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden, weil sie ihrem pädophilen Lebensgefährten den Umgang mit ihren Kindern aus erster Ehe gestattet hatte. Das Gericht sprach sie der Beihilfe zum Verstoß gegen Weisungen der Führungsaufsicht schuldig.

Obwohl sie von dem Kontaktverbot zu Kindern gewusst hatte, habe sie ihm von 2012 an den Umgang mit ihrer zehn Jahre alten Tochter und ihrem sechsjährigen Sohn ermöglicht, so das Gericht. Mit dem Sexualstraftäter hat sie inzwischen einen Sohn.

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SZ vom 09.06.2016/sim
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