Pendelnde Studenten:"Ich dachte noch, ich würde nach dem Abitur nach Berlin ziehen"

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Paul Jüttner wollte nach dem Abitur eigentlich nach Berlin ziehen; jetzt studiert er in München und wohnt bei seinen Eltern in Grafing. (Foto: N/A)

Fürs Studium daheim ausziehen - davon können manche nur träumen. Andere bleiben gerne noch ein paar Jahre bei den Eltern wohnen. Fünf Erfahrungsberichte.

Protokolle von Theresa Parstorfer

Wer zu studieren beginnt, der zieht von zu Hause aus - so stellen sich das viele vor. Und tatsächlich kommen von überall her junge Menschen zum Studieren nach München. Doch was ist mit denen, deren Eltern im Umland leben? Für die es günstiger ist, ein MVV-Ticket zu kaufen, als ein Zimmerchen in München zu bezahlen - auch wenn die Bahn eine Stunde zur Uni braucht? Fünf Erfahrungsberichte.

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Paul Jüttner, 25, pendelt seit neun Semestern

"Mit 15 habe ich einmal einen Artikel darüber gelesen, dass junge Italiener verhältnismäßig lange zu Hause wohnen bleiben, weil sie sich die Miete einer eigenen Wohnung oft nicht leisten können. Beinahe abfällig habe ich darüber geschmunzelt. Denn da dachte ich noch, ich würde nach dem Abitur nach Berlin ziehen. Wildes Studentenleben und so. Jetzt muss ich über mich selbst schmunzeln, denn in gewisser Hinsicht bin ich genau wie die Italiener geworden: Seit dem ersten Semester meines Jurastudiums pendle ich von meinem Elternhaus in Grafing nach München. Damals konnte ich mir eine Wohnung in München nicht leisten und wollte nicht mit der Erwartungshaltung an meine Eltern herantreten, mir das Leben in München zu finanzieren.

Das Fahren ist für mich überhaupt kein Problem. Ich nutze die Zeit im Zug, um E-Mails zu schreiben oder mich auf Seminare vorzubereiten. Ich kenne auch Leute, die innerhalb der Stadt so lange zur Uni brauchen wie ich. Der einzige Druck, den ich bisweilen verspüre, ist eigentlich so etwas wie eine selbst-induzierte Erwartungshaltung. Die Befürchtung, dass andere mich als so etwas wie ein "Muttersöhnchen" betrachten könnten, so wie ich das vielleicht bei den Italienern getan habe. Wahrscheinlich bin ich auch ein Landei und noch sehr mit meinem Freundeskreis aus der Schulzeit verbunden. Wenn ich nächstes Jahr aber mein Examen geschafft habe, dann freue ich mich auf ein Leben in einer eigenen Wohnung."

Nora P., 35, pendelt seit acht Semestern

"Wenn es für alle in meiner Familie gepasst hätte, wäre ich fürs Studium vielleicht schon nach München gezogen, aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, wie das ausgesehen hätte. Als ich 2010 einen Platz für Soziale Arbeit an der Katholischen Hochschule bekommen habe, hatte ich schon zwei kleine Töchter. Auch wenn ich mich kurz darauf von deren Vater getrennt habe, wäre ein Umzug einfach zu viel Aufwand gewesen. Schule und Kindergärten sind schon bei uns in Wasserburg nicht total einfach zu organisieren. Eine Wohnung in München hätten wir uns ziemlich sicher nicht leisten können.

Die Fahrt hat von Haustür zu Haustür schon um die eineinhalb Stunden gedauert. Zum Glück musste ich im Schnitt nur viermal in der Woche in Haidhausen sein. Die Zugfahrt war für mich so etwas wie ein Übergang von der Studienwelt zur Familienwelt. Beim Studiengang Soziale Arbeit kommt es außerdem nicht selten vor, Studierende mit eher alternativen Lebensentwürfen zu treffen. Deshalb wurde ich auch nicht schief angeschaut, wenn ich nur für Veranstaltungen anwesend war. Einige meiner Kommilitoninnen waren auch schon Mütter oder haben nebenher gearbeitet.

Nur im letzten Jahr hat mich die Pendelei dann wirklich genervt. Wegen Reparaturen, Verspätungen und Zugausfällen war es teilweise fast unmöglich, nach Hause zu kommen. Generell finde ich, dass München schon ungerecht ist, was Mietpreise angeht, und das macht es extrem unsympathisch. Vor allem Haidhausen, das ist so ein schöner Stadtteil, aber ich frage mich wirklich, wer es sich leisten kann, dort zu leben."

Mit ihren zwei Kindern hätte sie sich eine Wohnung nicht leisten können, sagt Nora P.. (Foto: N/A)

Thai-Son Pham, 26, pendelt seit zwölf Semestern

"Hinten und vorne hätte es sich für mich nicht gelohnt, nach München zu ziehen. Eine Wohnung hier hätte ich mir nicht leisten können. Insofern hatte ich Glück, dass ich mit meinen Eltern in Tulling wohne. Das liegt gerade noch im MVV-Einzugsbereich, und mit dem Semesterticket ist das echt machbar. Ich brauche zwar länger als jemand, der aus Augsburg nach München pendelt, aber ich habe am Anfang des Studiums eine Liste geschrieben, und die Vorteile vom Zu-Hause-Wohnen haben die Vorteile einer eigenen Wohnung in München überwogen.

Man gewöhnt sich auch an die Zugfahrt. Ich habe schon die unterschiedlichsten Beschäftigungsphasen durchgemacht. Lesen, Lernen, Schlafen, Musikhören. Klar, meine Freunde würden sich freuen, wenn ich nicht immer viel früher als alle anderen von Partys gehen muss. Aber wenn einer doof fragt, sage ich: "Ey Mann, weißt du, wo ich wohne? Weißt du, wie die Züge gehen?" Dann ist es auch wieder irgendwie witzig. Außerdem kann ich bei Freunden übernachten. Manchmal würde ich gerne die Unabhängigkeit erfahren, die ein eigener Haushalt mit sich bringt; bestimmt entwickelt man sich da anders.

Aber für meine Eltern, die ursprünglich aus Vietnam kommen, ist es schön, dass ich noch zu Hause bin. Für sie war es völlig neu, dass Kinder ausziehen, wenn sie anfangen zu studieren. In Vietnam ist es Tradition, dass die Frau zur Familie des Mannes zieht, das heißt, in Vietnam würde ich wahrscheinlich nie von zu Hause ausziehen. Spätestens nach dem Studium möchte ich aber unbedingt aus Tulling weg. Sieben Jahre Pendeln sind doch eine sehr lange Zeit."

Lena Wacht, 24, pendelt seit 13 Semestern

Lena Wacht hat sich extra an der LMU beworben, um nicht umziehen zu müssen. (Foto: N/A)

"Ich habe mich tatsächlich genau aus dem Grund an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) beworben, weil ich nicht unbedingt umziehen wollte und wusste, dass Pendeln von Tulling aus gehen würde. Ich hatte auch Glück und konnte 2011 anfangen, Lehramt zu studieren; seit vergangenem Jahr mache ich zusätzlich den Anglistik Bachelor. Seit Beginn meines Studiums fahre ich mit dem Zug. Hätte ich direkt in München gewohnt, wäre ich wahrscheinlich ein bisschen öfter in der Uni gewesen. Denn mit dem Pendeln überlegt man sich schon, ob man für eine Vorlesung zwei Stunden Fahrtzeit auf sich nehmen will. Meistens habe ich mir Bücher ausgeliehen und dann zu Hause gelernt anstatt in der Bibliothek. Ich glaube jedoch nicht, dass ich etwas verpasst habe, was das soziale Studentenleben angeht. Freitagabends nach München reinzufahren ist ja kein Stress.

Meine ältere Schwester ist mit 18 ausgezogen und meine Eltern haben sie finanziell unterstützt. Sicher hätten sie das auch für mich getan, aber ich denke mir, das muss echt nicht sein, wenn es auch so gut geht. Dazu kommt, dass es mich nie gereizt hat, in München zu wohnen. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, ich bin gerne hier. Viele meiner alten Schulfreunde sind hier geblieben, mein Freund wohnt hier, meine Arbeit ist hier. Natürlich hätte ich mir einen Job in der Stadt suchen können, aber mit 450 Euro kommt man in München nicht aus. Wenn ich später einen festen Job habe, kann ich mir vorstellen in die Stadt zu ziehen."

Felix Wichmann, 25, pendelt seit elf Semestern

"Im Nachhinein denke ich mir, es wäre wahrscheinlich besser gewesen, nach München zu ziehen. Viel vom Studentenleben habe ich nicht mitbekommen in den sechs Jahren, die ich jetzt schon hinter mir habe. Als Pendler ist man eben immer abhängig von Fahrplänen. Aber leisten hätte ich mir eine Wohnung in München nicht können und auch für meine Eltern wäre das finanziell eher nicht drin gewesen. Im Hinterkopf habe ich da schon auch immer, dass ich so wenig Geld wie möglich von meinen Eltern annehmen will. Wenn man neben dem Studium kaum was verdienen kann, ist eine Wohnung in München echt utopisch. Deshalb habe ich den bequemeren Weg gewählt und bin zu Hause in Ramerberg bei Wasserburg wohnen geblieben, als ich vor sechs Jahren angefangen habe, Physik an der LMU zu studieren.

Da ich mich gut mit meiner Familie verstehe, ist das auch kein Problem. Ich habe nie Druck verspürt, endlich auszuziehen. Ich kenne viele Leute, die entweder noch zu Hause wohnen und pendeln - sogar aus Dorfen, was ein noch weiterer Weg nach München ist als aus Wasserburg - oder aber mit ihren Eltern ohnehin in München wohnen und deshalb nicht ausgezogen sind. Klar, vor allem, wenn man abends mit Freunden unterwegs ist, kann es nervig sein.

Manchmal muss man sich auch doofe Kommentare anhören. Die meisten verstehen es aber schon, wenn man sagt, dass man keine Lust oder einfach nicht das Geld hat, 500 Euro Miete für ein winzig kleines Zimmer zu zahlen. Gleichzeitig ist das Fahren mit der Bahn natürlich so eine Sache. Einerseits finde ich es super bequem, man setzt sich hin und kann lesen, schlafen, Musikhören. Andererseits habe ich schon einiges erlebt, wenn Züge nicht mehr fahren. Einmal ist beispielsweise der Zug bei Vaterstetten auf offener Strecke stehen geblieben, da kam man praktisch nicht mehr weg, zumindest nicht nach München. Ich bin dann zu Fuß nach Haar gelaufen, weil es sonst nichts zu tun gab."

© SZ vom 31.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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