Pelzig-Premiere in München:Aus dem Leben eines Romantikers

Frank-Markus Barwasser liebt es, sein Alter Ego Pelzig in Schwierigkeiten zu bringen. Er und sein Regisseur Josef Rödl sprechen über das neue Pelzig-Stück Alkaid.

F. Welle

Als Kunstfigur Erwin Pelzig ist Frank-Markus Barwasser zum ersten Mal 1993 auf der Kabarettbühne gestanden. Fünf Jahre später erhielt der Würzburger in der Rolle des naiven Anarcho-Biedermanns und Einzelgängers - Cordhut, Karohemd, Herrenhandtasche - im Bayerischen Fernsehen eine eigene Talkshow. Pelzig unterhält sich, ausgezeichnet mit dem Bayerischen Fernsehpreis, läuft mittlerweile in der ARD. 2007 war Pelzig dann auch auf der Leinwand zu sehen, in dem Film Vorne ist verdammt weit weg. Nun hat Frank-Markus Barwasser für sein Alter Ego ein Theaterstück geschrieben. In der Regie des renommierten Film-, Fernseh- und Theaterregisseurs Josef Rödl (Albert - Warum?), dessen neuer Dokumentarfilm Kabarett, Kabarett auf dem Dokumentarfilmfestival im Mai läuft, hat Alkaid. Pelzig hat den Staat im Bett morgen am Bayerischen Staatsschauspiel Premiere.

Frank-Markus Barwasser

Barwasser liebt es, den Metaphysiker Pelzig in Schwierigkeiten zu bringen.

(Foto: Foto: Stephan Rumpf)

SZ: Pelzig sitzt zu Beginn von Alkaid auf der Dachterrasse und betrachtet mit einem Teleskop den Sternenhimmel. Was erhofft er sich durch den Blick nach oben?

Barwasser: Pelzig ist ein Mensch, dessen Antrieb schon immer eine gewisse Einsamkeit war. So habe ich ihn für mich verinnerlicht, und dieses In-die-Sterne-Sehen steht für seine Zurückgezogenheit. Er ist jemand, der sich gegen die totale Erklärbarkeit der Welt stemmt. Er sucht da oben Ahnungen, fühlt sich beobachtet, erwartet ein Zeichen...

SZ: Pelzig, ein Metaphysiker?

Barwasser: Das klingt sehr hochtrabend, steckt aber dahinter. Ja. Beim Schreiben ist mir sehr klar geworden, dass er zumindest mit einigen Wesenszügen in Nachfolge der Romantiker steht. Daraufhin habe ich mich noch einmal ausgiebig mit der Romantik beschäftigt. Im Stück prallt das Prinzip Romantik auf das Prinzip Aufklärung. Hier in Gestalt eines Sondereinsatzkommandos, das in Pelzigs Wohnung eine Kamera aufstellt, um eine verdächtige Person im Haus gegenüber zu observieren.

SZ: Alkaid, so heißt ja der Endstern der Deichsel des Großen Wagens. Der Name weckt Assoziationen zu al-Qaida.

Barwasser: Das ist gewollt. Der Name des Sterns wird dann zu einem Missverständnis führen, auf dem aber nicht das Stück aufgebaut ist. Es ist ein kleines Missverständnis, das aber symbolisch für viele andere Missverständnisse steht.

Rödl: Aufklärung gegen Sehnsucht. Das ist Theater. Großes Theater. Pelzig ahnt immer mehr, als er weiß, und darauf verlässt er sich auch. Er hat Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, ein hochemotionaler Zustand. Während die Observierungsfiguren im Stück immer mehr und mehr Wissen ansammeln.

SZ: Das Thema Überwachung beschäftigt Sie schon lange. 2007, in der Sendung Neues aus der Anstalt, haben Sie den damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble einen "Datenjunkie" genannt.

Barwasser: Die Nummer, die ich damals gemacht habe, war eine sehr kabarettistische, mit einer sehr direkten Kritik am präventiv handelnden Staat. Bei Alkaid war es mein Ziel, einen nicht allzu kabarettistischen Ansatz im Sinne von Hau-den-Schäuble - oder heute de Maizière - zu wählen. Ich wollte Theater machen. Die Grundsituation: Bei Pelzig, der sich eigentlich von der Welt abgewandt hat, hocken plötzlich Menschen von der Polizei in der Wohnung.

SZ: Eine klassische Komödiensituation.

Barwasser: Obwohl Pelzig sich nicht einmischen will, fühlt er sich hineingemischt und muss sich dann auch einmischen. Ich liebe es, ihn in Schwierigkeiten zu bringen. Und ich liebe es, wenn er Schwierigkeiten macht. Das Stück geht aber über das Thema der Überwachung hinaus. Auf seinen vielen Ebenen, etwa der zwischenmenschlichen, geht es immer um "Sehen wollen und nicht sehen können" oder "Sehen und doch nicht oder falsch verstehen". Letztlich ist das Thema: "Was ist Wahrheit?"

"Es war und ist ein Wagnis"

SZ: Welche Schwierigkeiten ergeben sich, wenn eine etablierte Kabarettfigur auf einmal auf einer Theaterbühne steht?

Rödl: Es war und ist ein Wagnis. Barwasser kommt mit seiner Figur in ein festes Ensemble, das jeden Tag Klassiker spielt. Und plötzlich ist Pelzig da. Ein sehr spannender Vorgang.

Barwasser: Ich habe versucht, Pelzig eigenständige Figuren an die Seite zu stellen, keine Stichwortgeber. Und die Schauspieler haben sich sehr auf sie eingelassen. Wenn sie Schwächen erkannt haben, wurden mir die gnadenlos um die Ohren gehauen.

SZ: Hat sich durch die Mitspieler die Figur Pelzig verändert?

Barwasser: Ich musste während der Proben aufpassen, dass er sich nicht verändert, dass ich genügend Pelzig bleibe und bloß nicht anfange, schauspielerisch zu werden. Denn ich bin kein Schauspieler, ich bin nur Pelzig. Ich muss ihn nicht spielen. Sobald ich das Kostüm trage, bin ich er. Deswegen war die Tendenz von Josef Rödl eher, zu sagen: "Sei pelziger!" Am Anfang war ich nämlich sehr zurückhaltend, um nicht alles plattzumachen mit Pelzigs Überpräsenz. Für mich persönlich habe ich die Erfahrung gemacht: "Mehr Vertrauen in den Subtext". Im Kabarett geht es immer um das, was gesagt wird. Im Theater kann, nein, muss man stärker auf das vertrauen, was nicht gesagt wird.

SZ: Wir sehen zum ersten Mal Pelzig daheim?

Barwasser: Ich habe ihn noch nie zu Hause gezeigt, weil ich ihn nicht verorten wollte. Etwa nach der Art: Pelzig muss ja eine Schrankwand haben. Wir haben uns mit dem Bühnenbild gar nicht festgelegt. Es ist so abstrakt wie möglich und so konkret wie nötig, aber es ist seine Wohnung.

Rödl: Wir haben uns gefragt: Wen erreichen wir hier mit dieser Figur? Das Haus, das das SEK beobachtet, haben wir in den Zuschauerraum verlegt. Die Observation zielt also direkt ins Publikum, da sitzt für die Polizei der Feind. Gleichzeitig schauen wir Zuschauer in Pelzigs Bude hinein. Dieses gegenseitige Sich-Beobachten besitzt eine starke Symbolik.

SZ: Und weckt Assoziationen zu Hitchcocks Fenster zum Hof.

Rödl: Das ist wahr. Der Zuschauer fühlt sich angesprochen, identifiziert sich mit Pelzig, dessen moralischer Ablehnung: "Andere Leute beobachten, das tut man doch nicht." Aber irgendwann entdeckt auch er die Überwachungskamera für sich ganz privat.

Barwasser: Ich fand es wichtig, Pelzig nicht als Robin Hood der Bürgerrechte zu zeigen, sondern ebenso als Verführten.

SZ: Sie stehen mit Ihrem Stück in der Kabarett-Tradition unter der Intendanz von Dieter Dorn. Spüren Sie Erwartungsdruck?

Barwasser: Der Druck lähmt mich nicht, aber ich weiß, ich stehe in einer Tradition, die verpflichtet. Was etwa Gerhard Polt hier gemacht hat, war großartig. Ein gewisses Risiko besteht für mich darin, dass ich mein Genre etwas stärker zurückgelassen und mich stärker ins Theater begeben habe. Aber wenn ich nicht immer wieder Risiken eingehe und Neues mache, langweile ich mich mit Pelzig. Ähnlich sieht es vermutlich Dieter Dorn, dem ich auch Stoffe ohne Pelzig angeboten hatte. Nur selbst Regie führen, wie er zunächst angenommen hatte, wollte ich nicht. Eine Sache gewinnt immer durch einen Blick von außen. Deswegen habe ich mir Josef Rödl, den ich lange kenne, als Regisseur gewünscht.

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