Süddeutsche Zeitung

Pegida-Demonstration in München:"Bella Ciao" gegen rechts

  • Pegida hat in der Münchner Innenstadt demonstriert.
  • Die Polizei schätzt die Zahl der Islamfeinde auf etwa 200, die der Gegendemonstranten auf mehrere Tausend.
  • Die Demonstrationen verlaufen weitgehend friedlich, es werden lediglich 19 Anzeigen registiert.

Von Martin Bernstein und Anna Hoben

Kurz vor halb zwei am Nachmittag geht ein junger Mann durch die Menge am Max-Joseph-Platz, er hält einen weißen Kittel hoch. "Braucht noch jemand einen Arztkittel?" Eine Frau verteilt Liederhefte. "Fürchtet euch nicht, Pegida, wir helfen euch heim", steht darauf. Und dann geht auch schon die Chorprobe los.

"Schön, dass so viele Ärztinnen und Ärzte es trotz Pflegenotstand hergeschafft haben", begrüßt Matthias Weinzierl von Bellevue di Monaco die Leute von der Bühne aus. Er bittet dann noch darum, sich nicht zu vermummen. "Mundschutz ist heute nicht angesagt." Wäre auch kontraproduktiv, schließlich sind die Menschen gekommen, um ihren Mund aufzumachen. Mit Mundschutz ließe sich schlecht protestieren.

Und Protest muss sein an diesem Samstag. Das empfinden viele Münchner so. Nachdem "Pegida München" zuletzt zum zumindest zahlenmäßig bedeutungslosen Häufchen von etwa 50 Personen aus dem rechtsradikalen Milieu geschrumpft ist und an diesem Samstag sogar auf den verschneiten und leeren Dresdener Altmarkt ausweicht, hat sich "Pegida Dresden" in München angesagt.

Pegida-Gründer Lutz Bachmann soll dabei sein und der Münchner Michael Stürzenberger. Gleich an drei Orten wollen die Münchner indes zeigen, dass auch "das Original" von Pegida in ihrer Stadt nicht erwünscht ist: am Isartor, am Marienplatz und am Max-Joseph-Platz. Und entlang der Straßen dazwischen, der geplanten Pegida-Marschroute.

Die Idee des Protests auf dem Max-Joseph-Platz, zu dem ein breites Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften, Kultureinrichtungen, Initiativen und Prominenten aufgerufen hat: Fremdenfeindlichkeit, Hass und Rassismus sind heilbar. Die Pathologisierung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hat im Vorfeld nicht allen uneingeschränkt gefallen - die Idee mit dem Gesang gegen Rechts dafür umso mehr: Mitglieder von mehr als 35 Chören sind gekommen, um ihre Meinung singenderweise kundzutun, insgesamt stehen laut Schätzungen der Polizei 2500 Menschen auf dem Platz.

"Es geht ihnen nur darum, die Gesellschaft zu spalten"

Die Bayerische Staatsoper hat Banner aufgehängt, auf denen "Humanität, Respekt, Vielfalt" steht. Das Residenztheater zitiert Immanuel Kant: "Ursprünglich aber hat niemand an einem Orte der Erde zu sein mehr Recht als der andere." Es ist eine bunte und fantasievolle Veranstaltung, die Demonstranten sind gut gelaunt - trotz der Kälte. Manche schwenken Blumensträuße, andere Fahnen, eine Regenbogenflagge ist zu sehen, eine Europaflagge, eine von den Jusos, eine von Bündnis 90/Die Grünen.

Auch Oberbürgermeister Dieter Reiter steht auf der Bühne. "Wir werden hier und heute und immer wieder beweisen, dass wir sie hier nicht haben wollen", sagt er. Sie, die Fremden- und Islamfeinde von Pegida, den selbsternannten Rettern des Abendlandes vor einer angeblichen Islamisierung. "Es geht ihnen nur darum, die Gesellschaft zu spalten", sagt Reiter. Doch da seien sie in München falsch. Die Lebensqualität und Attraktivität der Stadt München hingen "ganz entscheidend von der Vielfalt der Menschen ab, die hier leben".

Menschen wie Iman Othman zum Beispiel. Die 17-jährige Auszubildende trägt keinen weißen Arztkittel, aber ein pinkes Kopftuch. Warum sie heute hier sei? "Weil es wichtig ist, heute hier zu sein." Und außerdem: "Ich wurde oft genug von denen angepöbelt, da kann ich auch mal zurückpöbeln." Was heißt da pöbeln - sie singt ja nur. Mit "Bella Ciao" geht es los, dem italienischen Widerstandsschlager, instrumental begleitet von Mitgliedern der Express Brass Band.

Eine Stunde Singen, dann geht es zum Gegenprotest

"Das war in meiner Jugend das Lied", sagt Heide Böttger, 78. Sie ist mit ihrer Enkelin Franziska, 5, zum Protest gekommen, "weil ich schon immer engagiert war bei diesen Fragen, und weil ich es bedenklich finde, was zurzeit passiert". Franziska hüpft um ihre Großmutter herum, gleich wollen sie auch noch mit zum Marienplatz laufen, um die Pegidisten singend und schmetternd zu übertönen.

Schnelle Lieder funktionieren am besten, zeigt die Chorprobe, "Bella Ciao" eben und "Schrei nach Liebe" von den "Ärzten". Bei den getrageneren Songs muss Weinzierl die Menge immer wieder antreiben. "Das geht noch ein bisschen lauter", ruft er nach John Lennons Friedenshymne "Imagine". Außerdem auf dem Programm: der Gefangenenchor aus Giuseppe Verdis Oper "Nabucco", Michael Jacksons "We are the world" und Beethovens "Ode an die Freude". Und dann ist auch schon eine Stunde rum und die Protestsänger machen sich auf zum Marienplatz, wo die Pegidisten für 15 Uhr ihre Auftaktkundgebung angekündigt haben.

Doch auch dort sind von Anfang an die Gegner der Pegida in der Überzahl. Ein kleiner Junge steht auf der Mariensäule, direkt unter dem Putto, der den Drachen niederringt, und hält voller Stolz ein Plakat in die Höhe, auf dem ein selbst gemaltes Tier das tut, was der kleine Münchner sich wünscht: "Nazis wegpupsen", aber mit einem Herzchen dahinter.

Die Polizei - sie hat an diesem Tag 500 Beamte im Einsatz - hat einen Teil des Platzes großzügig abgesperrt. "Vorsichtig" hat Pegida-Organisator Stürzenberger im Vorfeld mit 250 Anhängern gerechnet. Am Ende werden sich gerade einmal halb so viele in dem Absperrbereich vorm Rathaus verlieren, umgeben von rund 2500 Gegendemonstranten. Die singen sich schon einmal warm: "Bella Ciao", auch hier. Und: "Alle Menschen werden Brüder."

Naja, alle vielleicht nicht - die Islamfeinde, die nach Beobachtung der Polizei aus dem ganzen Oberland angereist sind, und die Münchner Zivilgesellschaft trennt mehr als nur rot-weiße Absperrgitter. "Schreikinder" seien die Demonstranten, wettert Siegfried Daebritz, einer der Pegida-Anführer aus Dresden, der eine Handvoll weiterer Sachsen in zwei Kleinbussen mitgebracht hat. Und Stürzenberger kühlt sein Mütchen an den einstigen Parteifreunden von der CSU und beschwört "Schimpf und Schande über diesen neuen Ministerpräsidenten und über den Heuchler (Josef) Schmid" herbei.

Aus dem Pegida-Megafon dröhnen rechtsradikale Parolen

Nur Lutz Bachmann sagt nichts. Genau genommen sieht es so aus, als sei er gar nicht gekommen. Dann macht ein Gerücht die Runde: "Der sitzt im Bus." In einem blauen VW mit Meininger Kennzeichen... Doch auch als der Pegida-Marsch sich in Bewegung setzt, tut er das ohne seinen Gründer.

Neonazis wie bei der Münchner Pegida üblich wolle man nicht dabei haben, hat Stürzenberger im Vorfeld versichert. Die Münchner NPD-Chefin Renate Werlberger hält sich deshalb beim Umzug dezent im Hintergrund.

Doch die auch bei Rechtsradikalen beliebte Parole "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen" tönt mehrfach durchs offizielle Pegida-Megafon. Stürzenberger gibt den Takt vor: "Maria statt Scharia", "Festung Europa! Macht die Grenzen dicht!" skandiert er. Oder "Wir sind Pegida, wir kommen wieder". Doch zunächst einmal muss er seine "in der Spitze", wie die Polizei sagt, 190 Anhänger über den Rundkurs wieder zurück zum Marienplatz lotsen.

Die Polizei drängt Autonome ab und setzt Pfefferspray ein

Die Polizei hat wegen einiger Engstellen Bedenken. Am Isartor, wohin etwa 400 weitere Gegendemonstranten vom Gärtnerplatz aus gezogen sind, gibt es einen ersten Durchbruchversuch aus den Reihen des Schwarzen Blocks, einen weiteren in der Maximilianstraße. Polizisten drängen die Autonomen zurück, setzen auch Pfefferspray ein. Insgesamt gibt es zehn Anzeigen. "Randerscheinungen", macht die Polizei später deutlich. Marcus Da Gloria Martins, Pressesprecher der Polizei, wird am Spätnachmittag erleichtert und erfreut bilanzieren, wieder einmal hätten die Münchner gezeigt, wie große Versammlungen friedlich und gewaltfrei durchgeführt werden können.

Ein bisschen eng wird es vorm Nationaltheater. Kurzfristig ist die Marschroute der Islam- und Merkel-Feinde umgeleitet worden, damit sie nicht mit ihren singenden Gegnern auf dem Max-Joseph-Platz zusammenstoßen. "Bella Ciao", das antifaschistische Partisanenlied, klingt den Pegida-Anhängern auch dort in den Ohren, als sie von der Polizei um die Ecke in den Hofgraben gelotst werden.

Dann sind alle - Mitläufer wie Opponenten - wieder auf dem Marienplatz. Und auf einmal ist auch Lutz Bachmann da. Aufs Podium will er nicht. Er wolle mit seinen Mitstreitern auf der Straße stehen, sagt er allen Ernstes, und gibt das als Zeichen seiner Volksverbundenheit aus. Deshalb vermutlich hat er auch eine Stunde lang in einem Volkswagen gewartet und hat seine 190 Anhänger, "Wir sind das Volk!" skandierend, allein durchs Graggenauviertel laufen lassen. Man werde wiederkommen, verkündet Bachmann den gegen ihn protestierenden Münchnern. Und nennt sie Affen. Die Münchner singen darüber hinweg.

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