Süddeutsche Zeitung

Paulaner-Areal:Ein Zimmer, 37 Quadratmeter - für eine knappe halbe Million Euro

  • Das ehemalige Paulaner Brauerreigelände ist derzeit eine Großbaustelle der Bayerischen Hausbau.
  • Laut Zeitplan hat das Bauprojekt gerade Halbzeit, von 2023 an werden in dem neuen Quartier etwa 3500 Münchner wohnen.
  • Das Areal wird in drei Teilbereichen bebaut und von sechs Architekturbüros geplant. Fast ein Drittel sind geförderte Mietwohnungen, es gibt aber auch das Luxus-Penthouse für 20 000 Euro pro Quadratmeter.

Von Johannes Korsche

An der Regerstraße, Ecke Welfenstraße holten früher die Lastwagen Bierkästen und Fässer der Paulaner-Brauerei ab, an diesem Mai-Nachmittag steht dort ein Betonmischer, dessen Aufbau sich langsam dreht, um den Rohbau an der Welfenstraße mit Nachschub zu versorgen. 2011 zog Paulaner nach Langwied, aus dem Brauereigelände wurde eine Baustelle der Bayerischen Hausbau. Seit 1866 hatte Paulaner am Nockherberg in der Münchner Au Bier gebraut. Heute staubt es von der Baustelle an der Welfenstraße auf die Fahrbahn, und das geschäftige Hämmern der Bauarbeiter erfüllt die trockene Luft, die früher süßlich nach Hopfen und Malz roch.

Die Ausmaße der Baustellen auf dem ehemaligen Brauereigelände an der Welfen-, Reger- und Falkenstraße sind riesig: insgesamt knapp neun Hektar Fläche, auf der etwa 148 800 Quadratmeter Geschossfläche für Wohnen und Gewerbe entstehen werden. An diesem Maitag sind gleichzeitig zehn Bagger, zehn Kräne und insgesamt 230 Bauarbeiter im Einsatz. Ist der letzte der 1500 Wohnungsschlüssel übergeben, werden zwölf Jahre Planungs- und Bauzeit vergangen sein. Von 2023 an werden auf dem ehemaligen Brauereigelände etwa 3500 Münchner wohnen. Die Hausbau realisiert damit eine der größten Umstrukturierungen in der zentrumsnahen Stadt. "In der Summe mehrere Hundert Millionen Euro" werde sie in das Projekt am Ende investiert haben, sagt der Vorsitzende der Hausbau-Geschäftsführung, Jürgen Büllesbach.

Es ist ein guter Zeitpunkt, um sich die Baustelle genauer anzuschauen. Gerade ist laut Zeitplan Halbzeit, und auf den drei Teilgebieten lassen sich die drei wesentlichen Baufortschritte ablesen. Da sind die letzten Abrissarbeiten an der Regerstraße, die Arbeiten am Fundament an der Falkenstraße und der Roh- und Innenausbau an der Welfenstraße. An manchen Stellen nimmt das Wohnviertel bereits Gestalt an, an anderen muss man schon ein bisschen Fantasie mitbringen, wenn man Büllesbach zuhört. Als er inmitten der Baustelle an der Regerstraße steht, zum Beispiel. Hinter ihm eine Wand des Paulanergartens, an der zwei Firmenlogos von der Brauereitradition des Grundstücks erzählen, vor ihm eine etwa 200 Meter lange Baugrube, in der unzählige Schutthaufen so aufgeschüttet sind, als hätte sie ein arabischer Gewürzhändler für den Basar drapiert. "Da hinten beim größten Berg" - Büllesbach deutet in Richtung der Pöppelstraße auf einen Schuttberg, der etwa die Höhe eines zweistöckigen Hauses haben dürfte -, "da kommt eine Kita hin."

Da, wo Büllesbach in diesem Moment steht, wird ein öffentlicher "Quartierspark" entstehen, der die Untere mit der Oberen Au verbinden soll. Ein Wunsch aus der Bürgerbeteiligung, die das Projekt schon "vor Auslobung des städtebaulichen Wettbewerbs" begleitet hat, sagt Hausbau-Sprecherin Sabine Hagn. Grün soll es hier werden. Noch aber ist der Boden kiesgrau, überall sind Pfützen, und manchmal sackt beim Gehen der scheinbar feste Untergrund unter den Füßen weg. Wer die Baustelle besuchen will, wird im Vorfeld auf festes Schuhwerk und eine Erklärung verwiesen, die mögliche Verletzungen nicht zum Problem der Hausbau werden lässt.

Wer sich direkt parallel zur Regerstraße balanciert, blickt in eine etwa zwölf Meter tiefe Grube, in ihr liegt eine der größten Herausforderungen für Stephan Gries. Der ist einer von mehreren Projektleitern auf der Baustelle, unter anderem für den Abriss der alten Brauereigebäude zuständig, der sich seit Herbst 2016 zieht. "Dort unten standen 34 Lagertanks", sagt Gries. Besonders schwierig ist der Abriss des Kellers, unter anderem weil in den Wänden massenweise Drahtseile verbaut waren. Ein kurzes Stück halbe Wand ist noch übrig, aus ihr stehen die fingerdicken Drähte heraus wie krause Locken. Dahinter die einfamilienhaustiefe Grube, dort, wo der Lagerkeller war. Drei miteinander verstrebte Betonsäulen und das letzte Stück Fundament sind die einzigen Überbleibsel der Brauerei, die noch nicht abgerissen wurden. Gries hat mal ausgerechnet, wie viel Bier hier zeitgleich in den Tanks lagerte: "Ungefähr zweieinhalb Mal so viel, wie auf der Wiesn jährlich getrunken wird." Also circa 16,25 Millionen Liter. Jährlich braute Paulaner hier nach eigenen Angaben knapp drei Millionen Hektoliter Bier.

Wenn Gries über die Bauarbeiten auf dem Gelände spricht, hört sich das nicht so an, als ob seine Mitarbeiter Tonnen von Schutt und Beton bewegen müssten. Um die Lagertanks abzutransportieren, habe man sie eben unten aufgeschnitten und mit einem Autokran aus dem Tiefkeller gehoben, abgelegt und zum Recyceln in kleinere Stücke zerteilt, "wie eine Blechdose". So weit, so unspektakulär. Cool bleibt Gries auch, wenn er über den wohl symbolträchtigsten Moment der Abbrucharbeiten spricht: als Mitte Juli vergangenen Jahres der 75 Meter hohe Schornstein gesprengt wurde. Etwa 600 Schaulustige wollten damals miterleben, wie das weithin sichtbare Wahrzeichen der Brauerei mithilfe von gut zehn Kilo Sprengstoff in die Knie ging. Explosion, Staub, ein ohrenbetäubender Aufprall. Bei Gries klingt das so: "Das ist ähnlich wie einen Baum fällen." Unten werde eben ein Keil reingesprengt und dann falle der Schornstein in die gewünschte Richtung. Mit das Schwierigste bei dieser Sprengung: "die Abstimmung der Genehmigungen aus den verschiedenen Referaten". Außerdem die Koordination mit Feuerwehr, Polizei, Trambahn. Nicht die Probleme, die einem zuerst einfallen würden, wenn man mit zehn Kilo Sprengstoff hantiert.

Wenn Gries mit den Abrissarbeiten fertig ist, rückt das nächste Gewerk an, also die nächste Gruppe spezialisierter Bauarbeiter. Was dann entsteht, das kann man auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf der Baustelle an der Welfenstraße sehen. Wie Ameisen wuseln die Arbeiter auf dem Rohbau herum, der mal zwei, mal vier Stockwerke in die Höhe ragt. Daneben liegen Fertigbauteile wie Legosteine, die darauf warten, dass jemand sie aufhebt und mit ihnen spielt. Einziger Unterscheid: Hier sind es Bauteile für die zukünftigen Balkone. Im hinteren Bereich - direkt neben den Welfenhöfen - ist das Gebäude schon so weit fertig wie sonst nirgendwo. Die sechs Geschosse stehen, die ersten Fenster sind eingebaut, sogar das Dach ist bereits abgedichtet. Im Treppenhaus riecht es nach frischem Putz. "Ich liebe diesen Geruch", sagt Büllesbach, er signalisiere, dass die Baustelle langsam fertig werde.

Oben auf dem Dach ist eine gemeinschaftliche Dachterrasse vorgesehen. Vielleicht für Grillpartys der Hausgemeinschaft, sagt Büllesbach. Es gibt aber auch Dachterrassen, die den exklusiven Penthouse-Wohnungen vorbehalten sind. Bei guter Sicht erkennt man von hier aus die Alpen in der Ferne, ansonsten bleibt der Blick eben an einem der Kirchtürme in der Umgebung hängen. Noch aber bestimmt das Baugeschehen die Aussicht. Auf Höhe des gegenüberliegenden Daches transportiert ein Kran ein Monstrum, das Gries als "Betonkübel" identifiziert. Der sieht aus wie ein Spritzbeutel für die Verzierung von Torten - nur eben gefüllt mit "0,6 bis 1,5 Kubikmeter Beton". Mit den Kübeln wird der Beton in luftige Höhen transportiert, ohne dass er die gewünschte Konsistenz verliert: Zementschlamm und Kies dürfen sich nicht voneinander absetzen, sie müssen gut durchmischt bleiben.

"Wir werden eine gute Mischung haben", sagt Büllesbach und meint damit nicht den Beton, sondern die zukünftigen Bewohner. Schließlich baue man gemäß dem Bebauungsplan 30 Prozent der Wohnungen als geförderten Wohnraum, mehr als 20 Prozent im frei finanzierten Mietwohnungsbau, den die Bayerische Hausbau im Bestand halten wird, der Rest werde verkauft. Somit entstehe "die Masse der Wohnungen für die Mitte", sagt der Geschäftsführer. Aber es wird eben auch die "Dachterrassen-Penthouse-Wohnung geben, die sich nicht jeder wird leisten können." Die Miete soll zwischen 9,60 Euro pro Quadratmeter für die einkommensorientiert geförderten Wohnungen und mehr als 20 Euro pro Quadratmeter für die teuersten Wohnungen liegen.

Für das Areal an der Falkenstraße hat der Verkauf der Eigentumswohnungen schon begonnen, obwohl gerade einmal das Fundament gelegt ist. Die Preise sind stolz: Einzimmerapartments mit etwa 37 Quadratmetern für eine knappe halbe Million Euro oder eine Vierzimmerwohnung im fünften Stock, fast 180 Quadratmeter groß, für 3,1 Millionen Euro. Dass das Projekt der Hausbau damit zu einem Symbol für die Preistreiberei auf dem Münchner Immobilienmarkt geworden ist, mit diesem Vorwurf ist Büllesbach "nicht einverstanden". Andere Projekte in München seien noch viel teurer. Außerdem: "Wir sind nicht der Markt." Es gebe "viele Einflüsse wie gestiegene Baukosten und der knappe Grund", "natürlich muss sich das refinanzieren". All das spielt laut Büllesbach in die Preisgestaltung hinein.

Die Münchner haben ihre Meinung dazu schon öfters mitgeteilt. Geht man beispielsweise den Nockherberg hinunter, kommt man auf Höhe der Biegung, wo die Ohlmüllerstraße beginnt, an einer gelben Mauer vorbei. Jemand hat darauf in Schwarz gesprayt: "Aufwertung abfucken". An der Hauswand dahinter hängt ein Plakat der Hausbau, welches das "Wohnen am Alten Eiswerk" bewirbt. Es geht um das Teilgebiet an der Falkenstraße.

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SZ vom 29.05.2018/rroi
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