Klassik:Mit Beethoven aus dem Nichts

Marc-Andre Hamelin

Entspannt virtuos: der Pianist Marc-André Hamelin.

(Foto: Canetty Clarke)

Seit 1993 veranstaltet Paul Lenz Konzerte in München. Nach 20 Monaten Zwangspause holt er nun Marc-André Hamelin in den Herkulessaal - und hofft auf viele weitere Gastspiele.

Von Egbert Tholl, München

Das letzte Konzert vor dem Lockdown veranstaltete Paul Lenz am 16. Februar 2020, es spielte das Klavierduo Tal&Groethuysen. Das erste Konzert nach all den Lockdowns kann er diesen Mittwoch durchführen: Der herausragende Pianist Marc-André Hamelin spielt um 19.30 Uhr im Herkulessaal unter anderem Beethovens Hammerklaviersonate. Dazwischen: 20 Monate nichts. Wie überlebt man das?

Lenz veranstaltet seit 1993 eine kleine, exquisite Klavier-Reihe in der Allerheiligenhofkirche und im Herkulessaal. Jedes Jahr sechs Konzerte, im freien Verkauf und im Abo. Lenz betreibt außerdem eine Agentur; wenn er einem "seiner" Künstler einen Auftritt vermittelt, verdient er ein wenig mit. Nur: Es gab nichts zum Mitverdienen. Es spielte ja niemand. Während des zweiten Lockdowns wollte Lenz schon alles bleiben lassen, raus aus der teuren Münchner Wohnung, ein Häuschen suchen, das man renovieren muss. Vielleicht an der Ostsee - ein Freund hatte ihn in die Gegend eingeladen, er hatte sich sofort ins Boddenmeer verliebt. Die Agentur könnte ja weiterlaufen, wenn es mal wieder Konzerte gäbe, aber diese selbst zu veranstalten, nein, das bringt nichts mehr.

"Es ist bewiesen worden, dass Kultur nichts wert ist."

Gut, es gab Coronahilfen. Aber einer wie Paul Lenz, der sein Geschäft als Einzelkämpfer betreibt und nie Unterstützung haben wollte, tut sich schwer, Hilfsanträge auszufüllen, bei denen "die Hälfte aus Hinweisen auf strafrechtliche Folgen besteht, falls die Angaben nicht korrekt sind. Das ist entwürdigend." Jetzt gebe es - versprochen? - eine Ausfallgarantie vom Bund, "man weiß ja, dass die Säle noch nicht voll sind". Das Konzert mit Hamelin sei eigentlich ein Verlustgeschäft, drei andere muss er noch nachholen, für die Abonnenten, die ja schon bezahlt hatten. Die meisten warteten, manche spendeten den Kartenpreis, wenige ließen sich auszahlen.

Was ihn im Kern aber ärgert: "Es ist bewiesen worden, dass Kultur nichts wert ist." Einem Metzger schlösse man das Geschäft, wenn er sehr verdorbene Ware verkaufte. In der Kultur: einfach zu. Und: Ohne Konzerte stagniert der Austausch des Publikums; jedes Jahr gingen fünf Prozent weg, fünf Prozent Abos kämen neu dazu. Wenn es keine Konzerte gibt, gibt es zwar die Ab-, aber keine Zuwanderung. "Am schlimmsten war es aber für die freischaffenden Musiker, für die Clubbetreiber." Er selbst lebte von der Substanz, die Familie hielt zusammen. Aber: "Überleben ging nur mit Hilfe vom Staat, und das ist das, was ich nie wollte." Kaum wartete er ein paar Monate, kamen dann auch 1000 Euro.

Der wahre Grund, weshalb Paul Lenz weitermacht: wegen der Künstler, wegen seines Qualitätsanspruchs und wegen des Publikums. Viele riefen an, schickten Briefe. Wann es denn weitergehe? Bitte! Nun, jetzt, am 13. Oktober geht es weiter.

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