Patti Smith in München:Gut gebrüllt, Löwenherz

Punk-Poetin Patti Smith legt in München einen stimmgewaltigen Auftritt hin - und zeigt dass sie mit der Zeit immer besser wird. Mit Anekdoten von ihrem Stadtrundgang hält sie das Publikum bei der Stange. Besonders die Eisbachsurfer und ein zahnloser Löwe haben es ihr angetan.

Von Katarina Lukač

Patti Smith in München: Patti Smith (Archivbild vom Brussels Summer Festival Anfang des Monats).

Patti Smith (Archivbild vom Brussels Summer Festival Anfang des Monats).

(Foto: AFP)

"Anyway...auf das Leben!", ruft Patti Smith plötzlich von der Bühne. Das nächste Lied hat sie den Münchner Eisbach-Surfern gewidmet. Bevor sie an diesem Abend in der ausverkauften Alten Kongresshalle auftritt, ist die Sängerin durch die Stadt spaziert - die Lebendigkeit der Männer in den Wellen hat sie offenbar beeindruckt.

Auch das Konzert, das mit ruhigem Folk begann, wird nun lebendiger. Das Publikum hat Smith da aber längst gewonnen, die gut Tausend Zuschauer nach nur zwei Liedern souverän in die Taschen ihres schwarzen Männersakkos gesteckt. Spätestens bei "Dancing Barefoot" von 1979 wird das letzte Rotweinglas abgestellt, nun tanzen die 25- bis Ü-50-Jährigen zum Takt, den ihnen die 67-Jährige vorgibt. Smith wirkt tatsächlich alterslos. Als sie sich mit John Lennons "Beautiful Boy" von dem gerade verstorbenen Komiker Robin Williams verabschiedet, fließen im Publikum die Tränen - während Smith Haltung bewahrt.

Zwei Jahre ist es her, dass Smith ihr letztes Album veröffentlicht hat. Doch sie ist eben gerne auf Tour. Und obwohl sie oft als "Grande Dame des Rock" bezeichnet wird, Mitglied in der Rock and Roll Hall of Fame ist, vom Time Magazine zu den 100 wichtigsten Menschen unserer Zeit gewählt wurde und vom schwedischen König den "Polar Music Prize" - den inoffiziellen Nobelpreis für Musik - verliehen bekam, ist Smith nicht abgehoben.

Smith verzichtet auf ein Management

Die in New Jersey geborene Wahl-New Yorkerin verzichtet seit jeher auf ein Management und kümmert sich selbst um ihre Angelegenheiten. Dem bayerischen Publikum erzählt Smith, dass sie eineinhalb Stunden in München herumlief. Sie wollte die Löwenstatue mit zerstörter Kinnlade finden, die vor der Katholischen Akademie in Schwabing an den von den Nazis getöteten Publizisten Fritz Gerlach erinnert. Smith war 2012 in Dachau aufgetreten und hatte dort das KZ besucht.

Eine Ode an diesen "Löwen der Freiheit", der sich nicht davon abhalten ließ, "die Wahrheit zu sagen", geht über in den atmosphärischen Song "Beneath the Southern Cross". Die Kongresshalle wirkt nun ein wenig wie eine Kathedrale. Kein Schnickschnack lenkt von den Musikern auf der abgedunkelten Bühne des elegant renovierten 50er-Jahre-Saals ab, das Publikum kann sich ganz auf die vier Gitarren, das Schlagzeug und vor allem Smiths tiefe, mit den Jahren dunkler gewordene Stimme, konzentrieren.

Die grauen Haare einiger Band-Mitglieder schimmern im Scheinwerferlicht, Smith erinnert mit ihren gewellten Haaren und eleganten Händen an Dürer. In dessen aus der Alten Pinakothek bekannten Selbstbildnis-Pose hat sie ihr Weggefährte Robert Mapplethorpe einst formvollendet fotografiert.

Entschlossen spuckt Smith auf den Boden

Danach kann man, Smith beim fröhlichen Zerschmettern dieser Atmosphäre zuzuschauen. In "Pissing in a river" spuckt Smith entschlossen auf den Boden, und widmet anschließend ihren größten Chart-Erfolg, den mit Bruce Springsteen geschriebenen "Because the night" von 1978, ihrem vor 20 Jahren verstorbenen Ehemann, dem Bassisten Fred "Sonic" Smith.

Um mit ihm die gemeinsamen Kinder aufzuziehen, verschwand Smith Anfang der 1980er nach Detroit und aus der Öffentlichkeit - ausgerechnet, als der kommerzielle Erfolg einsetzte. "Punk-Rock bedeutet für mich die Freiheit, kreativ zu sein, die Freiheit, erfolgreich zu sein, die Freiheit nicht erfolgreich zu sein, die Freiheit, das zu sein, was man ist", erklärte die Nonkonfirmistin einmal.

Bei "Gloria" und "Rock'n'Roll Nigger" sinken nach knapp zwei Stunden im gefühlt 40 Grad heißen Saal die ersten Lederjacken-Träger gegen die holzgetäfelte Wand - während Smith unermüdlich über die Bühne wirbelt. Höhepunkt ist der Song "Banga" aus Smiths letztem Album, das sie und ihr treuer Gitarrist Lenny Kaye mit Gebell und Jaulen untermalen.

Das Album, aus dem sie bei dem Konzert leider nur zwei Titel spielt, ist eines der besten ihrer Karriere. Das zeigt Smith auch an diesem dampfend heißen Sommerabend in München: Es ist fast unheimlich, aber Smith ist es tatsächlich gelungen, mit der Zeit noch besser zu werden.

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