Patentgericht:Herr Musebeni und sein Kampf ums @

Patentgericht: Der Einspruch von Francis Musebeni beim Patentamt war erfolgreich, es löschte die Marke, die sich eine Firma aus Baden-Württemberg eintragen ließ.

Der Einspruch von Francis Musebeni beim Patentamt war erfolgreich, es löschte die Marke, die sich eine Firma aus Baden-Württemberg eintragen ließ.

(Foto: Robert Haas)
  • Eine Firma hat sich vor Jahren das @ als Marke eintragen lassen. Die Empörung im Netz ist groß.
  • Francis Musebeni erwirkt die Löschung - und will jetzt sein Geld zurück.
  • Er argumentiert, das Symbol sei ein altes Rechenzeichen aus Tansania.

Von Pia Ratzesberger

Er hievt die Sporttasche auf den Tisch, er wühlt. Er hat sie mitgebracht, die Beweise. Seite 122. suruali 3@sh48. sinia 2@sh65. sahani 4@sh50. Will so viel heißen wie 3 Hosen mal 48 Schilling. 2 große Teller mal 65 Schilling. 4 Teller mal 50 Schilling. Francis Musebeni sagt, was er später auch vor dem Bundespatentgericht sagen wird, in der Cincinnatistraße 64: "Das ist ein urururaltes Zeichen aus Tansania." Auch da wird er sie mitbringen, die Beweise. Die Schulbücher.

Für Millionen Menschen ist das @ das At-Zeichen, der Klammeraffe. Für Francis Musebeni ist das @ das Malzeichen, ein Rechenzeichen, das "Auge von Mugasha". Vor sechs Jahren ließ sich eine Firma das @ als Marke eingetragen. Francis Musebeni erwirkte beim Patentamt die Löschung. Wäre er nicht gewesen, gebe es die Marke wohl heute noch, und nun will er zurück, was er dafür bezahlen musste.

Patentgericht: Mit alten Schulbüchern aus Tansania will Francis Musebeni nachweisen, dass das @ in Tansania als Malzeichen verwendet wird. So hat er es in der Schule am Victoriasee gelernt.

Mit alten Schulbüchern aus Tansania will Francis Musebeni nachweisen, dass das @ in Tansania als Malzeichen verwendet wird. So hat er es in der Schule am Victoriasee gelernt.

(Foto: Catherina Hess)

Damals vor fünf Jahren erregten sich viele im Internet, auch wenn sie vom Auge Mugashas nichts wussten. Das @ sei doch ein Symbol, das allen gehöre, schrieben sie. "Knallköppe" war da über die Firma zu lesen, "Geldgier pur". Die Leute fürchteten, künftig werde jeder für eine Mail oder einen Tweet zahlen müssen, weil sie ja immer ein @ enthalten, abgemahnt von einem Unternehmen aus Weinheim, Baden-Württemberg. Am 23. Oktober 2012 nämlich hatte das Deutsche Patent- und Markenamt eine neue Marke veröffentlicht, unter der Nummer 302012038338. Eine Firma namens @T.E.L.L. hatte sich das @ als Marke eintragen lassen, für bestimmte Warengruppen, für Kaffee und Schuhe zum Beispiel, für Zigaretten und Fruchtsäfte. Eine Mail wäre juristisch kaum abmahnbar gewesen, eine mit dem Symbol bedruckte Packung Kaffee schon eher.

Nur acht Tage, nachdem das Patentamt die Marke eingetragen hatte, gab die Kanzlei GHI im Auftrag von @T.E.L.L. eine Pressemitteilung heraus: "Die teilweise hysterischen Artikel sind unbegründet." Die Marke sei nicht mit dem Ziel angemeldet worden, eine "Abmahnwelle" loszutreten, auch wenn man Abmahnungen generell nicht ausschließen könne. Aufschrei im Netz: Unser @! Aufschrei bei Francis Musebeni: Unser Rechenzeichen!

Er lernte mit dem @ rechnen, in der Schule in Bukoba am Victoriasee, vor dem Fenster die Kirche und die Mangobäume, nur die weißen Priester durften pflücken. Er ist 1947 geboren, nun ist schon lange München seine Stadt, in den 1970er-Jahren kam er das erste Mal hierher, zum Studium an der Filmhochschule. Heimat aber ist Bukoba. Wenn er die Geschichte vom @ erzählt, lehnt er sich zurück, er ist mittlerweile in Rente, wie ein Märchenerzähler sitzt er da, mit der Baskenmütze und dem Flaum ums Kinn. Doch Märchenerzähler erwähnen selten das Bundespatentgericht. "Also es war in einer urururalten Zeit", sagt er, diese "urururalte Zeit" wird er später auf etwa 10 000 Jahre vor Christi Geburt datieren.

Damals hätten die Menschen in seiner Heimat am Victoriasee gerätselt, warum manche Blitze nur den Himmel erleuchten, andere Feuer entfachen und Dörfer niederbrennen. Manche Menschen, so erzählt es Musebeni, begannen, die Blitze zu beobachten, von einem Berg aus, hoch über dem See. Sie erkannten ein Auge in den Blitzen, die Feuer brachten, sie nannten es das Auge von Mugasha. Sie zeichneten dieses Auge mit einem @, trugen das auf ihrer Kleidung, das Symbol sollte sie schützen vor den Blitzen. Doch dann kamen die Missionare an den Victoriasee, sie lehrten die Kinder lesen und schreiben, so erzählt es Musebeni, sie fragten, was dieses Symbol bedeute. Mugasha, der wohne oben, die Kinder deuteten in den Himmel.

Ein anderer Gott also, dachten die Missionare, sie wollten dieses Auge verbieten, die Übersetzer aber rieten: Nehmen Sie den Menschen das @ nicht, machen Sie es zu einem offiziellen Symbol, zu einem Rechenzeichen, man wird seine eigentliche Bedeutung vergessen. Fortan multiplizierten die Kinder mit dem Auge von Mugasha, so erzählt es Musebeni. Auf den Schreibmaschinen für die Missionare habe eine Firma namens John Underwood Typewriters dem @ sogar eine eigene Taste gegeben, lange bevor es Mailadressen gab, sagt Musebeni. Eine Schreibmaschine hat er nicht dabei. Aber die Schulbücher.

Am 28. Oktober 2012 um vier Uhr am Nachmittag geht ein Artikel online, "Firma will sich das @-Symbol schützen lassen". Im Osten Münchens sitzt Francis Musebeni vor dem Bildschirm, er klickt. Es wäre doch absurd, wenn Tansanias Schulen für ihr Rechenzeichen auch noch zahlen müssten, denkt er sich. Für die Mitarbeiter am Deutschen Marken- und Patentamt wiederum muss Musebenis Erklärung absurd geklungen haben, er schickte noch einmal 40 Seiten hinterher, hatte die Geschichte des Zeichens aufgeschrieben, also seine Geschichte, angefangen beim Auge von Mugasha und den Blitzen über dem See. Mehr als einen Tweet war das @ den meisten doch nicht wert, vielleicht wussten viele auch nicht, wie man gegen eine eingetragene Marke vorgeht. Francis Musebeni wusste das. Handel war in der Schule sein Hauptfach. Man könne nur etwas patentieren, wenn man etwas geschaffen habe, sagt Musebeni. @T.E.L.L. aber habe nichts geschaffen. "Ich akzeptiere es nicht, wenn Leute mich für dumm verkaufen."

Dann kommt der Brief, den Musebeni mehr als ein Jahr lang erwartet hat

Patentgericht: Wenn Francis Musebeni die Geschichte vom @ erzählt, lehnt er sich zurück, er ist mittlerweile in Rente, wie ein Märchenerzähler sitzt er da.

Wenn Francis Musebeni die Geschichte vom @ erzählt, lehnt er sich zurück, er ist mittlerweile in Rente, wie ein Märchenerzähler sitzt er da.

(Foto: Catherina Hess)

Am 25. Februar 2013 steigt also er auf sein Fahrrad, gibt in der Zweibrückenstraße 12 einen Umschlag ab, an der Poststelle des Deutschen Patent- und Markenamtes. Im Betreff steht: "Antrag auf vollständige Löschung in der Sache @ als Wortmarke der Firma @T.E.L.L.". Er zahlt 300 Euro, so hoch ist die Gebühr, unter anderem dieses Geld will er von der Firma nun zurück. Der letzte Eintrag auf deren Facebookseite ist fast zwei Jahre alt, das Unternehmen findet sich im Handelsregister, der frühere Geschäftsführer ist im Oktober allerdings "von Amts wegen" gelöscht worden, für solch eine Löschung gibt es Dutzende mögliche Gründe. Die Kanzlei, die das Unternehmen in den vergangenen Jahren vertrat, reagiert auf eine Anfrage nicht, das Mandat hat sie vor der letzten Verhandlung am Bundespatentgericht niedergelegt. Dort hätte Francis Musebeni zum ersten Mal seine Gegner getroffen. Auch wenn es da nur noch ums Geld ging.

Am 19. Mai 2014 nämlich kommt der Brief, den Musebeni mehr als ein Jahr lang erwartet hat. "Das @-Zeichen ist ein grundlegender Bestandteil von E-Mail-Adressen", steht darin. Die angegriffene Marke werde niemand als Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen auffassen, sondern als Hinweis auf das Internet, Unterscheidbarkeit nicht gegeben. Das Amt löscht die Marke. Die Geschichte von Mugasha und den Blitzen hätte Francis Musebeni dafür nicht erzählen müssen, aber trotzdem war er es, der die Löschung beantragt hat, der erreicht hat, dass das Unternehmen die Marke verliert. Aber Musebeni sieht sich noch nicht am Ziel an diesem Tag. Er legt Widerspruch ein. Er will, dass die Firma seine Kosten übernimmt, auch wenn ihn allein dieser Widerspruch noch einmal 500 Euro kostet.

Am 22. Februar 2017 bespricht Musebeni sich gerade mit seinem Anwalt, draußen vor der Türe, die Verhandlung ist schon fast vorbei, da sagt die Richterin zu ihren Kollegen im Saal, das Ganze sei schon hochinteressant. Die anderen zwei nicken, auf seiner Schreibmaschinentastatur damals habe es das @-Zeichen nicht gegeben, sagt der Linke. War wohl nur in Tansania so, antwortet die Richterin. Trotzdem sehe es nicht gut aus für Francis Musebeni, auch wenn die Geschichte gut sei. Das Gericht lehnt seinen Antrag ab. Die Firma muss nicht zahlen.

Francis Musebeni will in die nächste Instanz gehen, auch wenn ihn das noch mehr Geld kosten wird, auch wenn er schon um die 3000 Euro ausgegeben hat. Er denkt an Tansania, an den Victoriasee. An Bukoba.

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