Passau:"Ein gewisses Maß an Unabhängigkeit"

Barbara Dombrowski
Tropic Ice_Dialog between Places Affected by Climate Change

Seit zehn Jahren visualisiert die Fotografin Barbara Dombrowski in der Serie "Tropic Ice" den Klimawandel, in dem sie Menschen indigener Völker porträtiert und sie, wie als "Dialog between Places Affected by Climate Change" in Installationen zusammenbringt. Ihre Aufnahmen werden während der EW in Passau zu sehen sein.

(Foto: Barbara Dombrowski)

Carsten Gerhard bleibt mindestens bis 2023 Intendant der Europäischen Wochen. Sein Programm für 2020 ist fertig

Von Sabine Reithmaier, Passau

Die Europäischen Wochen Passau (EW) setzen ihre politische Linie fort. Auch in seinem zweiten Jahr als künstlerischer Leiter der EW hält Carsten Gerhard am Konzept fest, den europäischen Gedanken zu vertiefen und ihn erlebbar zu machen. Daher hat er nicht nur Künstler eingeladen, die europäische Fragen aufgreifen, sondern als Leitmotive für sein in "Höhepunkte" und "Brennpunkte" gegliedertes Programm zwei Themen gewählt, die Europa, zumindest in Nicht-Covid-19-Zeiten, auf den Nägeln brennen. Mit dem Aufruf "Schöpfung bewahren" thematisiert er den Klimawandel, der "Blick nach Polen" spürt einem Land nach, das in Westeuropa derzeit "fremdelt" (Gerhard).

Der Festivalleiter übernahm die finanziell angeschlagenen EW nach dem jähen Ausscheiden von Intendant Thomas Bauer (2018) eigentlich nur übergangsweise für die Jahre 2019 und 2020. Doch inzwischen ist aus der "Notlösung" eine stabile Beziehung geworden. Denn zunächst plante der Trägerverein der EW, den Intendantenposten nach den Festspielen 2019 wieder auszuschreiben, drängte Gerhard, sich zu bewerben. Doch der lehnte das Ansinnen ab. "Ich habe zwei Jahre das Programm gemacht, das ist meine Bewerbung", sagt er, überzeugt davon, dass, wenn er denn die Ausschreibung für sich entschieden hätte, manch einer gemunkelt hätte, die Auswahl sei nicht sauber gelaufen. Seine klare Haltung beeindruckte den Verein, der sich daraufhin mit einer "für mich sehr erfreulichen Mehrheit" entschied, ihn bis 2023 als Festspielleiter weiter zu verpflichten, obwohl Gerhard nicht dauerhaft vor Ort präsent ist. Die familiären und beruflichen Strukturen des Kulturmanagers liegen in Oberbayern, seine Kulturmarketing-Agentur will er auch künftig betreiben. "Das sichert mir doch ein gewisses Maß an Unabhängigkeit."

Wie tief der Trägerverein und die Festspiele in Passau verwurzelt sind, ist Gerhard während seiner ersten Festspiele bewusst geworden. "Das Festival wird immer Gegenstand von Diskussionen in der Bevölkerung sein", sagt er. Aber diese Verankerung sei eine Stärke der EW. Inzwischen weiß er auch, welche Veranstaltungsorte nicht angenommen werden, akzeptiert, dass Kammermusik in der Studienkirche nicht läuft, egal wie hochkarätig die Ensembles sind. Seine "Höhepunkte" stillen das Bedürfnis nach berühmten Namen, darunter die Sopranistin Anna Prohaska, der Bratschist Antoine Tamestit, die Geigerin Midori und der Hammerflügelexperte Andreas Staier, das Concertgebouw Kammerorchester aus Amsterdam, die Akademie für Alte Musik Berlin und die Bamberger Symphoniker. Witzig werden dürfte das Open-Air-Konzert auf der Veste Oberhaus. Dort singt der Schauspieler Ulrich Tukur mit seinen Rhythmus Boys Evergreens der 1920er Jahre (1. Juli).

Mit einigen Veranstaltungen verlässt Gerhard den Konzertsaal, um für die EW neues Publikum zu generieren. Bei "Klassik goes Kneipe" spielen fünf Ensembles einen Abend lang Kurzkonzerte in Restaurants, Bars und Cafés der Passauer Innenstadt (11. 7.). Auch die Lasershow "Genesis 2020" auf dem Domplatz (11. 7., 23 Uhr) zielt auf Menschen, die ansonsten mit den EW wenig am Hut haben. Der Passauer Künstler Hubert Huber hat die Bilder geschaffen, die die Grundlage der Projektion bilden, musikalisch untermalt mit Zitaten aus der Neunten Symphonie - schließlich ist auch noch Beethoven-Jahr.

Trotzdem schlägt auch dieser "Mega-Event" einen Bogen zum Aufruf "Schöpfung bewahren", der als roter Faden immer wieder aufscheint, deutlich in der Ausstellung "Tropic Ice". Die Fotografin Barbara Dombrowski arbeitet seit zehn Jahren daran, dem Klimawandel ein Gesicht zu geben. Für ihr Projekt hat sie indigene Völker besucht, die vom Klimawandel betroffen sind: Inuit in Grönland, Amazonas-Indianer, Nomaden in der Wüste Gobi, Massai in Tansania und die Ureinwohner von Kiribati im Südpazifik. Ihre Porträts werden auf großen Tafeln im Stadtbild auftauchen.

Die britische Company "Mechanimal" greift in ihrer Performance "Vigil" (21.6.) die Faszination der Artenvielfalt auf. Natürlich passt auch Haydns "Schöpfung" (26.7.) ins Konzept. Ein Werk, auf das sich Gerhard als Musikwissenschaftler besonders freut, handelt es sich doch um die Rekonstruktion der Aufführung, die am 27. März 1808 in der Aula der Alten Universität in Wien stattfand. Damals leitete Haydn sein Werk zum letzten Mal, dirigierte in der Mitte mit Gesicht zum Publikum, der Chor vor dem Orchester stehend.

Den Blick nach Polen lenkt "Chopin und Literatur", ein Abend, an dem Emilia Smechowski aus "Rückkehr nach Polen" liest. Darin beschreibt die Autorin ihre Erfahrungen in Polen, wo sie das Jahr 2018 verbrachte. Den Chopin liefert der junge Moskauer Pianist Dmitry Shishkin. Spannend auch das autobiografische Stück "Svetlana" des Regisseurs Przemysław Wojcieszek. Er emigrierte vor knapp einem Jahr nach Berlin, weil er im Polen der PiS-Regierung nicht mehr arbeiten konnte und gründete dort ein Emigrantentheater.

Die Festrede zur Eröffnung hält laut Plan übrigens die britische Künstlerin Tai Shani, eine der vier Turner-Preisträger 2019. Und das passt doch gut im Jahr des Brexits.

Europäische Wochen Passau, 19. Juni bis 26. Juli, Infos unter www.ew-passau.de.

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