Pasing:Die Geschichte eines Stadtteils erlebbar machen

Pasing: Ein stolzer Bau: Die Pasinger Storchenburg in einer Aufnahme um 1905.

Ein stolzer Bau: Die Pasinger Storchenburg in einer Aufnahme um 1905.

(Foto: Sammlung Möllmann / Hoffmann / oh)

Das Buch "Pasinger Erinnerungsorte" lässt erahnen, wie das heutige Stadtviertel aussah, als es noch eine selbständige Stadt war. Viele der prächtigen Bauten sind mittlerweile verschwunden.

Von Ellen Draxel

Um ein Märchenschloss zu Gesicht zu bekommen, mussten die Münchner Anfang des vorigen Jahrhunderts nicht bis nach Füssen fahren. Es genügte, mit dem Zug einen Ausflug in die benachbarte Stadt Pasing zu unternehmen. Wer den Bahnhof Richtung Norden verließ, erblickte sofort das markanteste und prächtigste Gebäude der von Architekt August Exter errichteten Siedlung - die Storchenburg. Heute findet sich der mit Erkern, Türmchen, Gauben, Balkonen und gezackten Giebeln verzierte Prachtbau nur noch auf alten Fotos und Ansichtskarten. Und auf dem Cover eines Buches über "Pasinger Erinnerungsorte". Denn 1938 fiel die Burg ebenso wie viele Wohnhäuser, Villen und Fabrikanlagen dem nationalsozialistischen Größenwahn zum Opfer - stand sie doch der Erweiterung des damals geplanten neuen Hauptbahnhofs im Weg.

Pasing: Bernd-Michael Schülke hat sich auf die Suche nach "Pasinger Erinnerungsorten" gemacht.

Bernd-Michael Schülke hat sich auf die Suche nach "Pasinger Erinnerungsorten" gemacht.

(Foto: Catherina Hess)

Bernd-Michael Schülke kann viele solcher Geschichten erzählen. Der ehemalige Lehrer für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde ist ein versierter Kenner der Pasinger Geschichte, er weiß, welchen Stellenwert die frühere Stadt und der heutige Stadtteil hatten und wie sich all das entwickelt hat. Und er ist sich bewusst, wie identitätsstiftend das Wissen um die Vergangenheit besonders für Neubürger sein kann, zog er doch selbst 1980 der Liebe wegen nach München. Schülke hatte deshalb eine Idee: Er wollte eine Art Stadtführer entwickeln, mit dessen Hilfe Orte aufgesucht werden können, die heute ganz anders als noch vor einigen Jahrzehnten aussehen. Ein Jahr lang recherchierte der inzwischen 76-Jährige dafür, trug Wissens- und Sehenswertes in Archiven und Bibliotheken zusammen.

Das unter Mitwirkung von Bernhard Schoßig und Peter Pich vom Institut für zukunftsweisende Geschichte sowie Beiträgen von Franz Adam, Almuth David und Bernhard Koch nun auf diese Weise entstandene Buch "Pasinger Erinnerungsorte" bildet Gebäude, Plätze, Denkmäler, aber auch Personen und Ereignisse ab, die historische Schichten des Ortes wieder erkennbar werden lassen. Zum Beispiel die "Pappschachtel", 1921/22 als Platzhalter für ein später geplantes, repräsentatives Rathaus am Pasinger Marienplatz errichtet. 95 Jahre lang stand das Provisorium, beherbergte Geschäfte, das Gesundheitsamt und eine Praxis, bevor es 2016 dann doch abgerissen wurde. Oder das 1929 im Art-Deco-Stil entworfene PA-LI, Pasings ältestes und letztes Kino an der Spiegelstraße 7. "Das kennt heute keiner mehr", weiß Schülke. 1982 fiel in dem Lichtspielhaus das letzte Mal der Vorhang, die Auslastung lag am Ende bei nur noch 15 Prozent.

Dabei war Pasing bereits vor dem Ersten Weltkrieg bis in die späten Vierzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts ein beliebter Ort zum Filme schauen: Fünf Kinos gab es dort damals. Und ein Mini-Riesenrad. "Das ließ 1925 ein Schwabinger Schuhmacher bauen, der damit auch durch Pasing zog", erzählt Schülke. Das Volksfest, auf dem diese "russische Schaukel" betrieben wurde, befand sich seinerzeit hinter dem heutigen Elsa-Brandström-Gymnasium. Das "Russenrad", so bezeichnet, weil es erstmals in Osteuropa auftauchte, existiert noch immer, gastiert mittlerweile allerdings nur noch auf der Auer Dult und der Wiesn. Interessant auch Pasings Schulgeschichte. Die heutige Grundschule an der Oselstraße etwa hieß vor hundert Jahren "Grotschule", benannt nach der Gründerin und ersten Schulleiterin Martha von Grot, und war ein an reformerischen Ideen orientiertes, privates Mädchengymnasium. Diese Schule begründete Pasings Ruf als Schulstadt entscheidend mit.

Pasing: Das Karlsgymnasium in Pasing wurde 1910 eröffnet.

Das Karlsgymnasium in Pasing wurde 1910 eröffnet.

(Foto: Sammlung Bernhard Möllmann/oh)
Pasing: Geschichte aus Stein: Das historische Pasinger Gymnasium.

Geschichte aus Stein: Das historische Pasinger Gymnasium.

(Foto: Stefanie Preuin)

Das erste Gymnasium aber war das damalige "Königliche Progymnasium", 1910 eingeweiht, von 1919 an auch für Mädchen offen und mathematisch-naturwissenschaftlich orientiert. Seit 1963 nennt sich die Schule Karlsgymnasium und legt den Fokus auf eine humanistische Ausbildung. Ein "besonderes Schmankerl" ist für den gebürtigen Ostwestfalen Schülke außerdem die Entstehung des Grünzugs entlang der Perlschneiderstraße. "Diese Trasse beherbergte von 1921 bis 1968 ein Bahngleis", berichtet er. "Das zweigte an der Straße Am Knie ab und führte bis zur Pasinger Papierfabrik an der Planegger Straße, die schon 1849 mit dem Schwarzen Einser die erste Briefmarke Deutschlands gedruckt hatte." Die Züge auf diesem Abschnitt transportierten sowohl Rohmaterialien als auch fertige Produkte. Weil das Gleis aber nicht zur Gartenstadt Pasing passte, wurde es bereits Mitte der 1930-er Jahre mit Hecken, Sträuchern und Bäumen eingefasst. Das Gleis baute man schließlich ab, die grüne Ader blieb.

"Knapp 20 Erinnerungsorte", sagt Schülke, "sind in Pasing bereits verschwunden". Andere, wie das Ortskrankenkassen-Gebäude zwischen dem Pasinger Viktualienmarkt und der Straße Am Schützeneck, einst ein "architektonisches Juwel mit öffentlichen Bädern", heute ein Zweckbau, dokumentieren den Wandel. "Am offensichtlichsten aber", findet der Heimatforscher, "ist die Veränderung bei der Post". Gab es 1908 noch das wilhelminisch anmutende Postamt direkt neben dem Bahnhof, entstand dort 1963 ein nüchterner Neubau und 2009 dann das gegenwärtige Gebäude - mit einem nur noch kleinen Raum für die Post. Etwa die Hälfte der knapp hundert Erinnerungsorte, die in dem für 19,80 Euro im Buchhandel zu bekommenden alternativen Stadtführer zu finden sind, zeigt auch eine Ausstellung, die noch bis zum 29. September im Neubau des Pasinger Rathauses an der Landsberger Straße 486 besichtigt werden kann. Der Besuch ist pandemiebedingt allerdings nur dienstags und donnerstags um 15 Uhr im Rahmen einer etwa einstündigen, kostenlosen Führung möglich.

"Vielleicht", so hoffen Schülke und seine Mitstreiter beim Institut, "können irgendwann doch noch Stelen oder Erinnerungstafeln an historischen Erinnerungsorten angebracht werden". Denn das war die ursprüngliche Idee des Vereins. Die Stadt allerdings hat das bisher - mit Verweis auf einen vor 20 Jahren gefassten Grundsatzbeschluss zum Thema "Geschichte und Erinnern im öffentlichen Raum" - abgelehnt. Der Grund: eine "ohnehin schon beträchtliche Möblierung des öffentlichen Raums". Inzwischen aber gibt es ein neu eingerichtetes Institut für Stadtgeschichte und Erinnerungskultur im Kulturreferat, das, so die Hoffnung der Vereinsaktiven, möglicherweise neu denkt. "Im Kreis Starnberg beispielsweise gibt es solche Erklärungen direkt vor Ort schon", sagt Schülke. "Für Ortsunkundige ist das sehr schön."

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