Pasing:Vielstimmiges Erinnern

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Bei einem digitalen Dialog entwerfen Bürgerinnen und Bürger Ideen für eine kritische Auseinandersetzung mit einem Bismarck-Denkmal

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Beim Bürgerdialog gab es viele Ideen für eine Neuinterpretation des Bismarck-Denkmals auch in Zusammenhang mit der Umgestaltung von Pasing-Nord. (Foto: SPD)

Die Großväter und Urgroßväter zogen, bevor sie auf den realen Schlachtfeldern verheizt wurden, gerne in den Spielzeugkrieg. Wie einer dieser damals so beliebten Zinnsoldaten kommt Bernhard Neuhoff die Bismarck-Statue auf dem Wensauerplatz vor. Der Redakteur bei BR-Klassik kennt das Denkmal gut, wohnt er doch in dieser Ecke Pasings. Der Reichskanzler ist dort eine Brunnenfigur, von Statur nicht mal einen Meter groß, was aus dem Pathos seiner Feldherrenpose recht schnell die Luft rausnimmt. Dass nun gerade an diesem untypischen Bismarck eine intensive Debatte über Dekolonialisierung, Rassismus und Gedenkkultur entbrannt ist, mag erstaunen. Gibt es doch ein ungleich martialischeres Monument an der Museumsinsel. Bei einem "BürgerInnen-Dialog", der jetzt via Zoom stattfand, zeigte sich jedoch: Die Pasinger Skulptur kann, gerade wegen ihrer piefigen Harmlosigkeit, genau die Reibungsfläche bieten, Dinge neu und grundsätzlich zu denken.

Bernhard Neuhoff war einer von fünf Gästen, welche die Veranstalter - die örtlichen Grünen und die SPD - zu dieser Konferenz als "Impulsgeber" eingeladen hatten. Sein Impuls war zunächst der, auch die Ästhetik des Denkmals in den Blick zu nehmen und seine doch eher reduzierte Wirkmächtigkeit. Neuhoffs Vorschlag: Es reiche bei dieser Bismarck-Statuette, intellektuell gegenzuhalten. Etwa in Form einer Infotafel, welche Bismarcks Rolle nicht nur als Begründer des deutschen Nationalstaats sondern auch als Motor des Kolonialismus darstellt, und die deutlich macht, wie er dem verhängnisvollen Antiparlamentarismus in Deutschland Vorschub leistete. Das präfaschistische Bismarck-Standbild (1931) an der Boschbrücke hingegen, so Neuhoff, brauche eine "starke bildnerische Gegenbotschaft".

Umstritten: der Bismarck-Brunnen in Pasing. (Foto: Stephan Rumpf)

Aktuell ist der Pasinger Bismarck-Brunnen, der aus der Werkstatt Josef Floßmanns stammt und 1914 eingeweiht wurde, wie alle Münchner Wasserspiele hinter einem Bretterverschlag verschwunden. Im Juli hatten dort die Jusos aus dem Münchner Westen demonstriert und, im Kontext der "Black lives Matter"-Bewegung und der Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus, eine kritische Betrachtung auch des Pasinger Bismarcks gefordert. Die Grüne Jugend schloss sich an, ihre Vertreterinnen und Vertreter trugen das Anliegen in den Bezirksausschuss Pasing-Obermenzing, der mehrheitlich zustimmte. Der offene Dialog mit mehr als 40 Bürgerinnen und Bürgern, pandemiebedingt in der digitalen Sphäre, war nun ein erster Schritt auf dem Weg, das Bismarck-Denkmal zu "dekolonialisieren". Was offenbar nicht jedem gefällt. So hatte es vorab Häme auf den Facebook-Seiten der Veranstalter gegeben, wie die Moderatoren, Raoul Koether von der SPD Pasing und Lena Schneck vom Grünen-Ortsverband Pasing-Aubing, berichteten.

Eine Erfahrung, die Hamado Dipama nur allzu gut kennt. Aus seiner Arbeit im Migrationsbeirat der Landeshauptstadt oder als Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats, als Anti-Rassismus-Aktivist in vielen Netzwerken und als Mensch schwarzer Hautfarbe etwa bei der Wohnungssuche oder bei willkürlichen Polizeikontrollen. Dipama, der 2002 als Geflüchteter aus Burkina Faso nach München kam, will begreifbar machen, dass der Kolonialismus mit seinem Hegemonialansprüchen und seinen Rassismen ein toxisches Erbe hinterlassen hat, nicht nur an der Oberfläche im Stadtraum mit Denkmälern und Straßennamen, sondern auch im Denken, in der Sprache, in Schulbüchern. Wie Tina Monkonjay Garway von der Fachstelle Interkulturelle Kompetenzentwicklung kämpft Dipama für einen Paradigmenwechsel. Der beginne damit, Straßen und Denkmäler, die an Kolonialherren erinnern, zu entwidmen beziehungsweise in einen neuen Kontext zu stellen. Vor allem aber, und das setzen die beiden unbedingt voraus: Schwarze Menschen, People of Color, müssen als Mitglieder einer diversen Gesellschaft an diesem Prozess unmittelbar beteiligt werden. "Sonst werden wir das nicht hinbekommen", so Garway.

Das Denkmal im Wintermantel. (Foto: privat)

Nicht mehr weiße Männer setzen weiße Männer auf die Sockel der Geschichte und definieren die Narrative kollektiver Erinnerung. Denkmäler, so die aus den Niederlanden zugeschaltete Kulturgeografin Friederike Landau, sollten nicht ersetzt oder ausgelöscht werden, sondern mit Vielstimmigkeit und spielerischen Begegnungen divers erlebbar gemacht werden. Dazu müssten sich jedoch die Entscheidungsstrukturen innerhalb der Gesellschaft ändern. Wer definiert den Stadtraum, wer hat die Deutungshoheit über Denkmäler? Und der Medien-Künstler Fabian Raith aus Berlin fragte in die Runde: "Wem wollen wir in der Öffentlichkeit Raum geben, wer braucht einen Platz?"

Neue Wege der Partizipation sind also gefragt, was auch für Zuhörerin Sabine Schalm vom Kulturreferat ein interessanter Impuls war. Erste Beteiligungsschritte gab es bei dieser Zoom-Konferenz in Form kleiner Arbeitsgruppen. Recht konkrete Ideen wurden da entwickelt, um den Platz um den Bismarck-Brunnen vielstimmig zu machen. Dialogsäulen etwa, in die Besucher Kommentare sprechen können. Oder QR-Codes, über die Informationen zu Bismarcks Kolonialpolitik, zum Künstler Floßmann oder zur Bismarck-Rezeption im Nationalsozialismus abrufbar sind.

Bei der Einweihung 1914. (Foto: Pasinger Archiv)

Die Initiatoren haben nun folgenden Fahrplan: Sie wollen, auch in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat, den Dialog mit den Bürgern weiterführen. Zumal sich am 18. Januar 2021 die Proklamation des deutschen Kaiserreiches zum 150. Mal jährt.

© SZ vom 25.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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