Pasing:Vernissage im stillen Kämmerlein

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Die Schau über Gottfried Peer Ueberfeldts Werk in der Fabrik beginnt ganz ohne Publikum. Dank Kamera und Improvisation ist sie dennoch zugänglich

Von Daria Gladkov

Wenn die Pasinger Fabrik zu einer Vernissage lädt, sind die drei Galerien meist gut besucht. Mit einem Glas Weißwein in der Hand flanieren die Menschen dann durch die Räume, Stimmengewirr, dann tritt irgendwann Ruhe ein und es gibt Reden, auch vom Kurator. Diesmal aber, am 18. März, waren die Türen für die Öffentlichkeit geschlossen geblieben, obwohl die Hängung für die Schau "Gottfried Peer Ueberfeldt (1945-2014): Live free or die. Eine Retrospektive" bereits abgeschlossen war. "So wurde das Kunstpublikum um die gemeinsame Euphorie einer Eröffnung gebracht. Dieser Verlust ist für das Publikum, aber auch für mich als Kurator sehr schmerzhaft", sagt Stefan-Maria Mittendorf. Doch versucht auch die Pasinger Fabrik, den - wie Mittendorf es formuliert - "behördlich verfügten Entzug von der Kunst" durch Online-Angebote auf ihrer Homepage zu kompensieren. Mittendorf hat die Vernissage also virtuell nachgeholt. Das Video gibt es bis zum 14. Juni, dem geplanten Ende der Ausstellung, kostenfrei auf Youtube sowie auf der Website der Fabrik ( www.pasinger-fabrik.de) zu sehen.

So steht Mittendorf also vor den Werken Ueberfeldts, mutmaßlich nur er und - in einigem Abstand - der Mensch hinter der Kamera befinden sich in der Ausstellungsetage. Es sind ungewöhnliche Bedingungen, unter denen diese Vernissage stattfindet, technisch musste wohl improvisiert werden, was Tonqualität und Ausleuchtung angeht. Doch passt man sich diesen Gegebenheiten als Betrachter gerne rasch und mit Nachsicht an, denn Stefan-Maria Mittendorf gelingt es sehr professionell und kenntnisreich, seinem virtuellen Ausstellungspublikum diesen erstaunlichen Künstler näher zu bringen.

Der Künstler als junger Mann: Gottfried Peer Ueberfeldt auf einer Fotografie ohne Titel von Heide Stolz, aus einer Serie, aufgenommen in der Kiesgrube Bruckmühl im Jahr 1967, Stiftung DASMAXIMUM/KunstGegenwart. (Foto: Nachlass Heide Stolz/oh)

Start der Kuratoren-Führung ist vor einer Schwarz-Weiß-Porträt des Künstlers. Die inszenierte Aufnahme der Fotografin Heide Stolz entstand in einer Kiesgrube, sie zeigt Ueberfeldt, der 2014 in München an einer Lungenkrankheit sterben sollte, als jungen Mann in lässiger, rebellischer Pose. Insgesamt sind drei Fotoarbeiten von Heide Stolz (1939-1985) zu sehen, mit der Ueberfeldt laut Mittendorf "komplizenhaft" verbunden war.

Die Werkschau gibt Einblick in ein ungewöhnliches Leben, das 1945 mitten auf der Flucht der Eltern von Polen nach Deutschland begann. Ueberfeldt wächst zunächst in Bonn auf, seine Eltern trennen sich früh. Krieg und Nationalsozialismus, Totalitarismus, die Verführbarkeit der Massen, all das wird ihn, den Sohn eines in Polen stationierten Wehrmachtssoldaten, später in seiner Kunst stark beschäftigen.

1966 kommt Ueberfeldt nach München, wo er als autodidaktischer Künstler, als Comiczeichner, als Autor, Kunstkritiker und auch als Filmemacher wirken wird. Relativ schnell gelingt ihm der Anschluss an die Avantgarde der Sechzigerjahre. Er arbeitet als Assistent in der Galerie von Heiner Friedrich. 1969 präsentiert die Münchner Galerie Neuhaus die Debütausstellung des damals 24-Jährigen. In der Fabrik sind schwarz-weiße Federzeichnungen aus dieser Zeit zu sehen. Mittendorf macht seine virtuellen Besucher auf die kühle Präzision dieser Arbeiten aufmerksam, in denen technische Verfahren des Fotografismus und der Architekturzeichnung vereinigt sind. Daraus entwickelte Ueberfeldt seinen eigenen Stil, dessen Herkunft aus Comic-Umsetzungen der Pop-Art unverkennbar ist. Für die Retrospektive in der Fabrik hat Mittendorf 75 Werke ausgewählt. "Live free or die" zeigt eine Vielzahl der schwarz-weißen und kolorierten Handzeichnungen, Siebdrucke, der bearbeiteten Kopien und den Film "Das vierte System", für den Ueberfeldt als Regisseur, Darsteller und Drehbuch-Koautor verantwortlich war.

Eigene Handschrift eines Autodidakten: eine kolorierte Zeichnung ohne Titel von Gottfried Peer Ueberfeldt, entstanden etwa um das Jahr 2000. (Foto: P. G. Loske/oh)

Und um das Bild dieses vielfach begabten Künstlers zu vervollständigen, wird es am Donnerstag, 9. April, eine virtuelle Lesung seines unveröffentlichten Romanfragments "Sommerhitze" geben. Der in Giesing lebende Schauspieler Knud Fehlauer liest aus den persönlichen Schilderungen, die Ueberfeldt aus seiner Zeit in den USA von 1975 bis 1978 aufgeschrieben hat.

Zur 200. Jahresfeier der Vereinigten Staaten, am 4. Juli 1976, hatte er dort unter anderem den künstlerischen Projektauftrag "Psychogramm einer amerikanischen Kleinstadt am Beispiel Natchez Miss" verfolgt. Darin versuchte Ueberfeldt eine deutsch-europäische Antwort auf die Pop-Art Andy Warhols zu geben. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Figur Raphael, Überfeldts Alter Ego, die vom Lebensgefühl in den amerikanischen Südstaaten erzählt.

Mittendorf ist optimistisch: "Ich freue mich in die Zukunft, wenn die Ausstellung dann für das Publikum geöffnet werden kann, und die Kunst physisch wieder alle, alle Welt verbindet." Das Publikum freut sich mit ihm.

© SZ vom 03.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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