Süddeutsche Zeitung

Pasing:Spielball der Behörden

Mehr als 100 Kinder aus einer Gemeinschaftsunterkunft haben seit zwei Jahren kein Gelände zum Herumtoben mehr

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Mit einem Pasinger Spielplatz habe sich jetzt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und Maria Els, die Regierungspräsidentin von Oberbayern, zu beschäftigen. Herrmann, weil sein Ressort auch für Integration zuständig ist. Els, weil ihre Behörde die Verantwortung trägt für die Gemeinschaftsunterkunft an der Landsberger Straße 412, wo mehr als 100 Kinder leben. Wie berichtet wurde auf dem beengten, gleisnahen Gelände im Sommer 2019 der Spielplatz entfernt. Trotz mehrerer Ansagen diverser Ämter ist er bis heute nicht wieder aufgebaut.

Da ist nun also das Schreiben an die Regierungspräsidentin von Frieder Vogelsgesang (CSU), dem Vorsitzenden des Bezirksausschusses (BA) Pasing-Obermenzing, dringlich im Ton. Von ihr persönlich erwartet er ein Machtwort, was die Rückkehr des Spielplatzes angeht. Denn allmählich scheint Vogelsgesang und allen anderen Beteiligten der Geduldsfaden zu reißen - nach diversen Anträgen, vor allem aber nach zwei Jahren Korrespondenz mit den zuständigen Behörden, die offenbar nichts bewirkt hat. Im Sinne der vielen Kinder wird Maria Els in die Pflicht genommen. Laut Vogelsgesang sind die Spielgeräte damals "ohne irgendeine vorherige Ankündigung oder Information der Bewohner der Unterkunft abgebaut worden". Erfahren hätten er und die anderen Mitglieder des BA davon erst durch die Kinder selbst, die in der Kindersprechstunde im November 2019 darüber klagten.

Die Korrespondenz mit den Behörden hat die BA-Kinderbeauftragte Evelyn Lang dokumentiert: Auf eine Anfrage des BA im Herbst 2019 antwortet Sozialreferentin Dorothee Schiwy Monate später, im Februar 2020. Sie erklärte den Abbau damit, dass der Spielplatz sanierungsbedürftig sei, und man habe handeln müssen, um eine Gefährdung der Kinder auszuschließen. Ein neuer Spielplatz werde von der Regierung von Oberbayern im Frühjahr 2020 installiert. Dann ging Zeit ins Land, mehr als ein Jahr. Eine Wiedereröffnung des Spielplatzes hat es bis heute nicht gegeben. Auch die Ankündigung des Sozialreferats vom Mai, dass zumindest der Sandkasten im hinteren, bahngleisnahen Bereich des Grundstücks wieder installiert wird, ist bislang nicht umgesetzt worden.

Den Sandkasten stellt auch Joachim Herrmann in Aussicht. Der CSU-Politiker hat auf eine Anfrage des SPD-Landtagsabgeordneten Florian Ritter reagiert. Ritter wollte wissen, wann die Spielgeräte wieder aufgestellt werden, welche Altersgruppen bei der Neuanlage des Spielplatzes berücksichtigt werden und wie die genaue Zeitplanung aussieht. Der Innenminister hatte dann daran erinnert, dass damals 2019 im Nachgang der Demontage vom privaten Eigentümer der Unterkunft ein Wasserschaden in den Räumlichkeiten unterhalb der ursprünglichen Spielplatzfläche gemeldet worden sei. "Im Jahre 2020 fanden mehrfach Vor-Ort-Termine statt, um die komplexe Schadensituation sowie die weitere Vorgehensweise mit dem Eigentümer zu besprechen. Bautechnisch kann der Neubau des Spielplatzes bedauerlicherweise nicht vor Behebung des Baumangels realisiert werden." Die technische Umsetzung der Wiederherstellung des Dachaufbaus sei jedoch relevant für die Beauftragung einer Spielplatzfirma. Andernfalls würden sowohl für den Spielplatz als auch für die Räume unterhalb des Spielplatzes sicherheitsrechtliche Bedenken bestehen.

Mittlerweile aber hätten die Ursachen für den Schaden festgestellt werden können. Der Eigentümer sei aktuell dabei eine Firma zu betrauen, welche Angebote für den Dachaufbau einhole. Parallel hierzu hole auch die Regierung von Oberbayern Angebote für Spielgeräte für Kinder von vier bis zwölf Jahren ein. "Da uns seitens des Eigentümers kein Zeitplan vorliegt und das weitere Vorgehen hiervon abhängt, kann keine zeitliche Aussage getätigt werden, bis wann mit dem Wiederaufbau des Spielplatzes gerechnet werden kann", so Herrmann. Die Regierung von Oberbayern stelle in der Zwischenzeit als Übergangslösung einen Sandkasten im hinteren Bereich des Grundstückes zur Verfügung.

Eine Antwort, die Evelyn Lang sprachlos macht, wie sie mitteilt: "Einen Sandkasten für Kinder von sechs bis zwölf Jahren. Diese Kinder brauchen Möglichkeiten, sich körperlich auszupowern, keine Sandburgen! Ich kenne keine Kinder, die in diesem Alter im Sandkasten spielen." Lang kennt die Kinder der Gemeinschaftsunterkunft ziemlich gut. Am 9. Juli waren einige von ihnen wieder zu Gast in der Kindersprechstundes des BA. Sie berichteten, darüber schreibt auch Frieder Vogelsgesang in seinem Brief an die Regierungspräsidentin, dass der Sandkasten nun zwar da sei, aber für sie tabu, weil er sich hinter einem Bauzaun befinde. Die kleinen Bewohnerinnen und Bewohner der Unterkunft haben in der Sprechstunden auch von ihrem Alltag während der harten Phasen des Corona-Lockdowns erzählt. Sie hätten ihre Wohnungen nicht verlassen dürfen, auch das Spielen im Hof sei nicht erlaubt gewesen. Sie hätten sogar angeboten, mit ihrem Taschengeld, eine Rutsche oder einen kleinen Pool zu finanzieren, doch auch das sei ihnen untersagt gewesen.

"Sie werden mir beipflichten, dass diese Umstände bei über 100 Kindern im Haus ein nicht tragbarer Zustand sind", wendet sich Frieder Vogelsgesang an Maria Els. Die Kinder würden nun große Hoffnungen in sie setzen.

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SZ vom 27.07.2021
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