Pasing:"Operation am offenen Herzen"

Die Sanierung der denkmalgeschützten Kuvertfabrik ist komplexer als angenommen. Indes kommt der Wohnungsbau in dem Karree an der Landsberger Straße planmäßig voran

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Wie ein abgenagtes Gerippe sieht er aus, der Dachstuhl der Kuvertfabrik. Da und dort hängen Plastik-Planen über den noch verbliebenen Balken und Sparren, als Schutz gegen Regen und Schnee. "Das ist eine Operation am offenen Herzen, was wir hier machen", ruft Christian Schulz, seine Stimme muss sich gegen den Baulärm durchsetzen. Irgendwo ganz in der Nähe wird geschweißt. Der eisige Dezemberwind fährt dem Projektleiter von Bauwerk Development ins Maskengesicht. Seine Gäste bei dieser Baustellen-Tour müssen sich schon recht anstrengen, um Schulz' Ausführungen über den Baufortschritt am Pasinger Industrie-Denkmal überhaupt zu verstehen und gleichzeitig den nötigen Abstand zu wahren. Man fragt sich kurz, wo genau das Herz der Kupa, wie die ehemalige Fabrik genannt wird, überhaupt noch schlagen könnte. Der Bau, der bis vor sechs Jahren ein lebendiges Atelier- und Kulturhaus mit Werkstätten, einer Ballettschule und sogar einer Moschee war, ist nicht wiederzuerkennen.

Schon einmal, im Juli 2019, hatte man mit Schulz hier im Dachgeschoss gestanden. Es war der Tag der Grundsteinlegung für ein Wohnbau-Projekt, wie es in Pasing viele gibt. In diesem Fall aber mit der Besonderheit, dass ein Baudenkmal, also die Kupa, zum Zentrum dieses neuen Quartiers erklärt wurde, das nun auch öffentlichkeitswirksam ihren Namen trägt. In fünf Gebäuden, die sich um die ehemalige Fabrik auf dem insgesamt 10 000 Quadratmeter großen Grundstück gruppieren, realisiert die Bauwerk Capital GmbH & Co. KG 167 Eigentumswohnungen. In der 1992 stillgelegten Fabrik mit ihren vier Etagen sind nach der Sanierung auf rund 4550 Quadratmetern Bruttogeschossfläche "moderne Bürowelten" vorgesehen. Mittlerweile gehört das Denkmal der Stadtsparkasse München, für die Bauwerk Development die Sanierung fortführt und der die Entwickler wohl einige unerfreuliche Überraschungen überbringen mussten.

Am Tag der Grundsteinlegung also war es nicht nur 27 Grad wärmer, die alte Kupa hatte den Bauherren auch noch nicht alle ihre Geheimnisse offenbart. Christian Schulz etwa sprach damals noch vom "sehr guten Zustand", in dem sich die originale hölzerne Dachkonstruktion mit acht Metern Firsthöhe befinde, lediglich eine neue Eindeckung werde das Kupa-Dach bekommen. Doch kaum waren die Ziegel entfernt und genauere Holzproben genommen, entdeckte man schadhafte oder verfaulte Balken und Sparren. Sie mussten aus der aufwendigen Konstruktion herausgenommen werden. "Der Dachstuhl muss nun komplett rekonstruiert werden", berichtet Schulz. Mit den Original-Hölzern aus dem Entstehungsjahr 1906, darauf besteht das Denkmalamt. Nur jene, die verrottet sind, dürfen durch neue ersetzt werden. Auch die beiden instabilen Giebelwände, die nun komplett frei stehen, müssen nachgemauert werden.

"Das hat unsere zeitliche Schiene auseinander geworfen", räumt Schulz ein. Nicht nur das Dach stellte die Sanierer vor Herausforderungen, mit denen sie nicht gerechnet hatten, obwohl laut Schulz zuvor an die 25 Gutachten auf der Basis von Stichproben erstellt worden seien. "Alles war perfekt vorbereitet", bekräftigt er. Doch nun: Auch die Putzfassade der Kupa muss komplett entfernt werden, weil sie sich als nicht mehr tragfähig erwiesen hat. Und ein riesiges Loch klafft nun auch im Inneren des Denkmals. Dort wird über alle Etagen hinweg ein neuer Treppenhausturm eingebaut, samt Aufzugskern und neuem Eingangsbereich. Dabei mussten die Sanierer - der Statiker ist laut Schulz ständig auf der Baustelle präsent - ebenfalls Materialermüdungen in tragendem Mauerwerk feststellen. Wer historische Bausubstanz saniere, so beeilt sich Schulz zu betonen, müsse eben immer mit Überraschungen rechnen, das sei Alltagsgeschäft. Nachjustieren müssen die Sanierer auch beim historischen Jugendstiltreppenhaus auf der Westseite des Baus, das nun unter einer dicken Staubschicht liegt, aber immerhin noch in seiner alten Schönheit zu erahnen ist. In seinem derzeitigen Zustand hält es die sogenannten F 90-Auflagen des Brandschutzes nicht ein, das heißt, der dort verwendete Baustoff würde einem Feuer weniger als 90 Minuten standhalten.

Wenn einst im Herbst 2021 die schönen neuen Bürowelten in der Kuvertfabrik bezogen werden können, werden auch die Eigentümer der 167 Apartments ringsum schon mit ihren Möbelwagen vorgefahren sein. Die meisten der fünf Wohngebäude, die vom Münchner Architekturbüro Allmann Sattler Wappner entworfen worden sind, sind heute deutlich weiter als die Kupa, auch wenn die Bauherren darauf geachtet haben, dass in fünf Zeitachsen gearbeitet wird. Christian Schulz führt bei der Baustellenbesichtigung ins Haus F, das im südwestlichen Teil des Grundstückes liegt. Dort sind sogar schon die Badewannen eingebaut. Im 130-Quadratmeter-Loft mit eigener Dachterrasse, Kaufpreis 1,3 Millionen Euro, hat man einen Panoramablick auf Pasing. Von hier aus werden die Bewohner nicht nur den neuen Paseo betrachten können, jenen Fuß- und Radweg, der bis zum Pasinger Bahnhof führt und schon beinahe fertig ist. Wer hier auf der Dachterrasse gen Osten, Richtung Stadt blickt, wird in den kommenden Jahren auch "L 438" wachsen sehen, das 60-Meter-Hochhaus, das an der Landsberger Straße entstehen soll. Die ersten Arbeiten für dieses als künftiges Wahrzeichen Pasings postulierte Bauwerk haben nun begonnen.

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