Bürger organisieren sich selbst:Pasing will die Wärmewende

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Aus einer Streusalzbox wird eine Spielkiste: Im Österreicher-Viertel sind auch die Kinder in aktive Rollen geschlüpft. (Foto: Robert Haas)

Die Anwohner des Österreicher-Viertels machen ihr Quartier fit für die Zukunft. Sie wollen den Verkehrsraum gerechter verteilen, aber auch Lösungen für veraltete Heizsysteme finden. Warum die Aktivitäten in der Stadtverwaltung auf große Resonanz stoßen.

Von Ellen Draxel

Die "Kremser Wiese" in Pasings Österreicher-Viertel ist ein beliebter Treffpunkt. An diesem Sonntagnachmittag Ende April aber geht es dort richtig rund. Offene Farbtuben stehen auf einem Mäuerchen, Kinder hantieren mit Pinsel und Fingern, um eine Kiste, die aussieht wie ein Streusalz-Behälter, fröhlich bunt zu gestalten. Sie sind mit Feuereifer bei der Sache, schließlich geht es hier um "ihre" Kiste: In der Box befinden sich Spielsachen, die künftig für jeden im Quartier nutzbar sein sollen.

Was auf den ersten Blick aussieht wie ein gewöhnliches Animationsprojekt, ist weit mehr: Die mit Blumen, der Tigerente, Sandspielzeug und einem Monster bemalte Kiste symbolisiert eines der ersten sichtbaren Ergebnisse eines Pilotprojekts, das stadtweit Schule machen soll.

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Siedlungen wie die zwischen Attersee-, Agnes-Bernauer-, Willibald- und Landsberger Straße gibt es in München viele. Beschauliche Orte mit Reihen- und Einfamilienhäusern aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Eitel Sonnenschein ist aber auch in diesen Quartieren nicht alles - etwa, weil reger Durchgangsverkehr herrscht, da Straßen als Schleichwege benutzt werden. Oder weil Dauerparker Straßen verstopfen. Aus energetischer Sicht sind auch die oft veralteten Öl- oder Gasheizungen ein Problem.

Pasings Lokalpolitiker kennen diese Defizite. Und sie haben beschlossen, etwas daran zu ändern, das Österreicher-Viertel - als Modellquartier - fit für die Zukunft zu machen. Vor einem Jahr trafen sich auf Initiative des Bezirksausschusses hin erstmals rund hundert Anwohner. Sie sollten selbst entscheiden, was sie verbessern möchten - und wie das geschehen soll. Es folgten Workshops zu Verkehrsthemen, zur Begrünung, zum Klimaschutz und zu mehr Miteinander. 30 000 Euro wurden investiert, als Anschubfinanzierung, nun endet die Förderung. Vieles ist noch nicht in trockenen Tüchern, auch wenn bereits drei "bunte Bretter", nutzbar als Plakatwände, im Quartier hängen.

Erstes Ergebnis: Bunte Bretter dienen als Informationsmedien im Viertel. (Foto: Robert Haas)
Die fertige Spielkiste ist bunt angemalt. (Foto: privat)

"Die Arbeit", weiß Maximilian Radlmayr, "geht jetzt erst los". Er ist Sprecher der Arbeitsgruppe "Grünflächen", die Idee zur Kinderkiste stammt aus seinem Team. Wo sie geboren ist, gibt es noch weitere Konzepte: Hochbeete zum Beispiel, die auf der Kremser Wiese, aber auch andernorts entstehen könnten. Ein Trinkbrunnen. Mehr Sitzgelegenheiten. Eine Streuobstwiese und ein Wasserspielplatz. Momentan suchen Radlmayr und seine Mitstreiter Grünpaten, die etwa Baumscheiben bepflanzen. Auch eine Begrünung der Garagenhöfe wird aktuell geprüft. "Wir fangen klein an und wollen die Begrünung sukzessive ausbreiten", sagt Radlmayr.

Eine andere Gruppe Aktiver will den öffentlichen Raum besser beleben, breite Fahrbahnen im Binnenverkehr den Anliegern zurückgeben. Die AG nennt sich "Verkehrsberuhigung", "aber eine Beruhigung des Verkehrs", sagt Quartiersbewohner Christoph Bücheler, "brauchen wir nicht. Es stehen ja jetzt schon überall Autos rum". Das Ziel dieses Teams: den Verkehrsraum gerechter zu verteilen, durch Baumpflanzungen, ein Lkw-Durchfahrtsverbot, Tempo 20 oder 30, um auch auf Straßen Begegnungszonen zu schaffen. Mit Wünschen allein allerdings, weiß Bücheler, ist es nicht getan. "Das Pilotprojekt muss auch auf der Ebene der Stadtplanung weitergedacht werden. Wir sollten die Straßenverkehrsordnung neu denken, ausweiten, Neues ausprobieren." Das müsse sich die Stadt allerdings auch trauen.

Um den Parkraum zu entlasten, hat sich ein drittes Team speziell des Themas Carsharing angenommen. Sieben Standorte sieht der Vorschlag vor - für stationsbasiertes Carsharing, für Free-Floating, bei dem das Fahrzeug angemietet und dann einfach irgendwo innerhalb des Geschäftsgebiets wieder abgestellt werden kann, und für das sogenannte Peer-to-Peer-Modell. Letzteres funktioniert nachbarschaftlich: Autos werden, in der Regel über Internetplattformen, über ein Entgelt privat vermietet. "Wir haben dieses Konzept mit viel Elan gestartet, inzwischen habe ich aber gelernt, dass ich mich in Geduld üben muss", sagt Gruppensprecher Markus Kapser. Denn der Vorschlag muss eingebettet werden, bis 2026 will die Kommune stadtweit 600 Stellplätze für Carsharing-Anbieter reservieren.

Das Projekt ist etwas Besonderes, weil es von den Bürgern kommt

Beim Mobilitätsreferat jedenfalls kommen die verkehrlichen Ansätze gut an. Man wolle, sagt Anke Scherb, bei der Behörde zuständig für den Integrierten Quartiersansatz, die Vorschläge prüfen. "Dieses Projekt im Österreicher-Viertel", sagt sie, "ist auch für uns ein sehr Besonderes, weil es von den Bürgern direkt kommt".

Bleibt die Frage der Heizung. Die Ergebnisse der Gruppe, die sich um das Thema Quartierswärme kümmert, dürften weit über München hinaus von Interesse sein. "Mit diesem Thema", weiß Andrea Vildósola, "betreten wir absolutes Neuland". Ein Viertel wie das in Pasing, erklärt die Sprecherin, brauche nicht solitäre Wärmepumpen in jedem Haus, es brauche große Wärmespeicher. Dass die große Mehrheit der Anwohner an einer gemeinschaftlichen Wärmelösung für die Gebäude der Siedlung interessiert ist, weiß man längst beim Referat für Umwelt- und Klimaschutz (RKU).

Die Behörde hat deshalb bereits eine Studie in Auftrag gegeben: Ein Ingenieurbüro wird in den kommenden Wochen verschiedene Wärmelösungen untersuchen, etwa unter Nutzung des Grundwassers mit Heizzentrale oder dezentralen Wärmepumpen oder mit Hilfe eines Anschlusses an das städtische Fernwärmenetz. "Wie müssen außerdem rechtliche Punkte klären", sagt Natalie Neuhausen vom RKU. "Auch dazu soll es ein Gutachten geben." Wann erste Erkenntnisse vorliegen sollen, dazu will sich die Expertin nicht äußern, nur so viel: "Inmitten der Untersuchung wird es einen Workshop geben, weil auch die Fernwärme mit angeschaut werden soll." Anvisierter Termin: zweite Jahreshälfte.

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