Pasing:Neuzugang fürs Ensemble

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof gibt einem Eigentümer recht, der in der denkmalgeschützten Pasinger Kolonie I verdichten will. Das Projekt könnte den historischen Charakter der Siedlung weiter verändern

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Hängt es allein vom jeweiligen Sachbearbeiter in der städtischen Lokalbaukommission ab, ob ein so bedeutendes, denkmalgeschütztes Ensemble wie die Villenkolonie I in Pasing sein Gesicht verliert oder nicht? Richter Hans-Joachim Dösing löste mit diesem Gedankenspiel in einer mündlichen Verhandlung am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof sichtlich Unbehagen auf der Bank der Beklagten aus. Vor ihm saßen dort Vertreter von Stadt und Landesdenkmalamt sowie Jörg Spennemann von der Landesanwaltschaft. Der räumte eine "gewisse Fassungslosigkeit" ein über eine Entscheidung der Lokalbaukommission aus dem Jahr 2015. Diese Entscheidung, so scheint es, ist der Behörde nun in einem aktuellen Gerichtsfall vor die Füße gefallen.

Damals hatte die Lokalbaukommission auf einem Grundstück im Pasinger Ensemble an der Fritz-Reuter-Straße gegen Proteste aus der Kolonie den Bau einer stattlichen Mehrparteien-Villa genehmigt. Nun war man im Sitzungssaal 3 an der Ludwigstraße zusammengekommen, weil die Stadt auf einem bebauten Gartengrundstück nur eine Querstraße von jenem Neubau entfernt die Errichtung eines weiteren Hauses für unzulässig erklärt hatte - mit Verweis auf den Ensembleschutz. Der Kläger, der Grundstückseigentümer, sah darin einen Fall von Ungleichbehandlung, wie sein Anwalt vor Gericht darlegte. Für die Villen-Kolonie wiederum ist es ein weiterer Fall von Nachverdichtung. Und eine Bewohner-Initiative im Quartier hatte von Anfang an befürchtet, dass mit Genehmigung der Großvilla der Dominostein gefallen sei für immer mehr Projekte in ihrer historischen Siedlung, die zwischen dem Nymphenburger Kanal, dem Pasinger Bahnhof und der Offenbachstraße liegt und seit 1973 größtenteils unter Ensembleschutz steht. Die Ironie der Geschichte: Nun war es die Stadt, die jenen Stein, dem sie selbst einen heftigen Tritt versetzt hat, vor Gericht aufzuhalten versuchte.

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"Dass das ganze Städtchen ein einziger, grosser, schattiger Garten werde...", schrieb August Exter im Werbeprospekt von 1897, in dem er seine Villen vorstellte.

(Foto: Sammlung Bernhard Möllmann)

Eines der Argumente, die Stadt und Denkmalschutz im aktuellen Fall ins Feld führten, gleicht auffällig jenem, welche die Kolonie-Initiative seit Jahrzehnten predigt: Ließe man das Bauvorhaben des Eigentümers zu, wäre ein Kernelement des Ensembles, nämlich die großen Gartenflächen, nicht mehr erkennbar. Just aus diesem Grund hatte die Stadt dem Eigentümer den Vorbescheid für das Projekt verweigert. Der wollte das nicht hinnehmen, klagte vor dem Verwaltungsgericht München. Dieses verpflichtete die Stadt in erster Instanz dazu, über die denkmalschutzrechtliche Zulässigkeit neu zu entscheiden. Ein Beschluss, der aber weder Kläger noch Beklagte zufriedenstellte. Eigentümer wie Stadt gingen in die Berufung. Das Verfahren wanderte vor den Verwaltungsgerichtshof. Der hatte nun zu klären, ob die Stadt den Vorbescheid neu bearbeiten muss, beziehungsweise, ob der Kläger Anspruch auf einen positiven Bescheid hat. Die Kernfrage lautete für das Gericht: Welche Bedeutung haben die Gärten in der Siedlung für den Ensembleschutz?

Das Landesamt für Denkmalpflege sieht im Pasinger Ensemble das "erste Beispiel von organisiertem Einfamilienhausbau außerhalb des damaligen städtischen Burgfriedens von München". Architekt August Exter, Erbauer der Villenkolonie, hatte in seinen Verkaufsprospekten das Münchner Groß- und Kleinbürgertum heftig umworben. Interessenten konnten die Häuser schlüsselfertig bestellen, die architektonisch den damaligen Zeitgeschmack widerspiegelten, mit einem recht breiten Spektrum aus bayerisch-tirolerischem Landhausstil, mittelalterlichem Fachwerk oder gar Rokokoschlösschen-Zitaten. Exter legte den künftigen Eigenheimern die Vorzüge eines Gartens nahe, der ihnen "die gesundheitlich so notwendige freie Bewegung in frischer, reiner Luft" ermögliche. "Im Allgemeinen soll jedes Haus frei im Garten liegen und zwar in beliebiger Entfernung von der Baulinie", schrieb er im Verkaufsprospekt von 1893. Offensichtlich wollte der Architekt keine langweiligen Häuserreihen, sondern eine ländliche Siedlung mit Villen, "die zwischen hohen Bäumen hervorlugen".

Das gilt auch für Gebäude in Ensembles oder in der Nähe von Baudenkmälern,

Heute ist der Anblick von Baugruben in der historischen Villen-Kolonie längst keine Seltenheit mehr.

(Foto: Privat)

Auch heute noch gibt es viele große Gärten mit frei stehenden Villen in der Kolonie. Und sie sind deshalb attraktives Umfeld für Investoren wie jenen aus der Fritz-Reuter-Straße, die ihren Bau der Großvilla dort, Zitat aus der Eigenwerbung, als "behutsame Verdichtung" und "Beitrag zur Baukultur" sehen. Die Mehrparteien-Villa wurde nun in der Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof als eines der jüngsten Negativbeispiele angeführt, wie im Ensemble in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten teils massiv nachverdichtet wurde.

"Wir streiten über zwei Instanzen und zwei Häuser weiter wird dieser Klotz genehmigt", empörte sich Ferdinand Kuchler, Anwalt des Klägers. Für ihn stellte sich deshalb die generelle Frage, auf welchen Zeitpunkt in der Geschichte der Kolonie man blickt bei der Bewertung des Ensemble-Merkmals "Einzelbauwerk in großzügiger Gartenanlage". Seiner Ansicht nach ist dieser historische Charakter längst "untergegangen". Somit könne das Vorhaben seines Mandanten, auf seinem 1200 Quadratmeter großen Grundstück zusätzlich zu dem bestehenden zweistöckigen Einfamilienhaus ein weiteres mit einer überschaubaren Grundfläche von 80 Quadratmetern zu errichten, gar keine Beeinträchtigung darstellen.

Gemeinsamer Schutz

Nach dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz, das 1973 in Kraft trat, gibt es neben Einzeldenkmälern auch Ensembles, die als Baudenkmäler gelten. Darunter sind sowohl Gruppen von Gebäuden zu verstehen als auch Straßenzüge, Plätze oder ganze Stadtviertel von besonderer städtebaulicher Qualität. Meist stehen Ensembles für beispielhafte architektur- und siedlungsgeschichtliche Themen und Bauepochen. In München gibt es derzeit 79 Ensembles, darunter die Villen-Kolonie I von August Exter mit ihren noch etwa 100 Einzeldenkmälern in Pasing.

Wer Baudenkmäler oder Teile davon beseitigen oder verändern will, benötigt eine Erlaubnis nach dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz. Kritiker sehen im denkmalrechtlichen Ensembleschutz ein eher zahnloses Abwehrinstrument gegen Nachverdichtung und verweisen auf den Paragrafen 34 des Baugesetzbuches, der in Gebieten ohne Bebauungsplan greift. Bei Neubauten kann der größte Baukörper in der Umgebung als Bezugsfall genommen werden. Ein einziges vom Charakter abweichendes Gebäude kann so zur Gefahr für ein Ensemble werden.czg

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat sich am Ende dem Antrag des Klägers angeschlossen und die Stadt verpflichtet, den Bauvorbescheid des Eigentümers denkmalschutzrechtlich zu genehmigen.

Quellen: "Architekt August Exter, Villen Colonien Pasing", Buchendorfer Verlag, 1993. Und: "Pasing. Vom Dorf zur Stadt zum Stadtteil", Bernhard Möllmann, Volk Verlag, 2016.

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